Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Pommern seinen Junkern. Ja selbst über Deutschland hinaus
hat die deutsche Poesie ihre Marken erstreckt; denn gehört Ungarn nicht
unserem edlen Magyaren Nicolaus Lenau und seinem Hintersassen
Carl Beck? -- und so gehört Thüringen als Provinz ganz allein dem
0>. Ludwig Bechstein, und bei ihm wirst du gewiß über Lage, Alter,
Charakter, Merkwürdigkeiten Eisenachs Auskunft finden. Mir fiel vor
Allem das malerische Mäntelchen auf, das junge und alte, hohe und
niedere Frauen in Eisenach tragen und zu den thüringischen Gesichtern
und schönen vollen Leibern so gut steht. Während ich ein solches
Mäntelchen verfolgen wollte, und darum von dem PostHause einige
Schritte zurückging -- da -- mit ernsten Blicken sah die alte Wart¬
burg von ihrer Höhe auf mich herab, wie ein alter Riese uralter
Zeiten. Schnell fuhr ich mit der Hand an meine Brieftasche, um zu
fühlen, ob ich den Empfehlungsbrief an den Schloßhauptmann Herrn
v. Arnswald noch habe, den mir eine verehrte Freundin in Weimar
mitgegeben. Sogleich ließ ich meine Sachen in's Gasthaus tragen,
ordnete meinen studentikosen Anzug und machte mich auf den Weg,
hinauf zur allein ehrwürdigen, herrlichen Wartburg. Die Sonne stand
noch hoch und brannte mit heißen Strahlen auf mich nieder. Aber
wie steil auch der Weg war, ich merkte die Hitze nicht, denn ich dachte
an jene Zeit, da ich zum ersten Male von der Wartburg gehört und
gelesen. Ich war noch ein sehr kleiner Junge, als mir das Drama
von Küffncr "Die Minnesänger auf der Wartburg" in die Hände
fiel: es mag ein sehr schlechtes Drama sein, aber mich machte es da¬
mals glücklich. Landgrafen, Minnesänger, Burgvögte, Zauberer, schöne
Frauen -- wie viel Stoff für eine junge Phantasie! -- Später kam
noch die Geschichte hinzu: Die heilige Elisabeth, Friedrich mit der ge¬
bissenen Wange, Ludwig der Eiserne, Luther -- das waren meine
Helden! -- und jetzt sollte ich den Schauplatz sehen! -- ich fühlte
mich so glücklich, wie damals, da ich das Küffner'sche Trauerspiel fern
von hier zum erstell Male gelesen. Der Schloßhauptmann v. Arns¬
wald nahm mich sehr freundlich auf, wie ein edler Burgvogt einen
fahrenden Minnesänger. Aus den kleinen mittelalterlichen Zimmern
mit gemalten Scheiben führte er mich in den Waffensaal, in die große
Landgrafenstube, in welcher der Kampf der Minnesänger geschlagen
ward, dann in das Lutherzimmer und in die beiden weimarischen
Staatsgefängnisse. -- Ich muß lachen, wenn ich an diese zwei Staats-
gefängnisse denke. Es muß nichts Angenehmeres geben, als in Wei¬
mar ein Hochverräther und hier eingekerkert zu werden. Nicht nur,


und Pommern seinen Junkern. Ja selbst über Deutschland hinaus
hat die deutsche Poesie ihre Marken erstreckt; denn gehört Ungarn nicht
unserem edlen Magyaren Nicolaus Lenau und seinem Hintersassen
Carl Beck? — und so gehört Thüringen als Provinz ganz allein dem
0>. Ludwig Bechstein, und bei ihm wirst du gewiß über Lage, Alter,
Charakter, Merkwürdigkeiten Eisenachs Auskunft finden. Mir fiel vor
Allem das malerische Mäntelchen auf, das junge und alte, hohe und
niedere Frauen in Eisenach tragen und zu den thüringischen Gesichtern
und schönen vollen Leibern so gut steht. Während ich ein solches
Mäntelchen verfolgen wollte, und darum von dem PostHause einige
Schritte zurückging — da — mit ernsten Blicken sah die alte Wart¬
burg von ihrer Höhe auf mich herab, wie ein alter Riese uralter
Zeiten. Schnell fuhr ich mit der Hand an meine Brieftasche, um zu
fühlen, ob ich den Empfehlungsbrief an den Schloßhauptmann Herrn
v. Arnswald noch habe, den mir eine verehrte Freundin in Weimar
mitgegeben. Sogleich ließ ich meine Sachen in's Gasthaus tragen,
ordnete meinen studentikosen Anzug und machte mich auf den Weg,
hinauf zur allein ehrwürdigen, herrlichen Wartburg. Die Sonne stand
noch hoch und brannte mit heißen Strahlen auf mich nieder. Aber
wie steil auch der Weg war, ich merkte die Hitze nicht, denn ich dachte
an jene Zeit, da ich zum ersten Male von der Wartburg gehört und
gelesen. Ich war noch ein sehr kleiner Junge, als mir das Drama
von Küffncr „Die Minnesänger auf der Wartburg" in die Hände
fiel: es mag ein sehr schlechtes Drama sein, aber mich machte es da¬
mals glücklich. Landgrafen, Minnesänger, Burgvögte, Zauberer, schöne
Frauen — wie viel Stoff für eine junge Phantasie! — Später kam
noch die Geschichte hinzu: Die heilige Elisabeth, Friedrich mit der ge¬
bissenen Wange, Ludwig der Eiserne, Luther — das waren meine
Helden! — und jetzt sollte ich den Schauplatz sehen! — ich fühlte
mich so glücklich, wie damals, da ich das Küffner'sche Trauerspiel fern
von hier zum erstell Male gelesen. Der Schloßhauptmann v. Arns¬
wald nahm mich sehr freundlich auf, wie ein edler Burgvogt einen
fahrenden Minnesänger. Aus den kleinen mittelalterlichen Zimmern
mit gemalten Scheiben führte er mich in den Waffensaal, in die große
Landgrafenstube, in welcher der Kampf der Minnesänger geschlagen
ward, dann in das Lutherzimmer und in die beiden weimarischen
Staatsgefängnisse. — Ich muß lachen, wenn ich an diese zwei Staats-
gefängnisse denke. Es muß nichts Angenehmeres geben, als in Wei¬
mar ein Hochverräther und hier eingekerkert zu werden. Nicht nur,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182613"/>
            <p xml:id="ID_513" prev="#ID_512" next="#ID_514"> und Pommern seinen Junkern. Ja selbst über Deutschland hinaus<lb/>
hat die deutsche Poesie ihre Marken erstreckt; denn gehört Ungarn nicht<lb/>
unserem edlen Magyaren Nicolaus Lenau und seinem Hintersassen<lb/>
Carl Beck? &#x2014; und so gehört Thüringen als Provinz ganz allein dem<lb/>
0&gt;. Ludwig Bechstein, und bei ihm wirst du gewiß über Lage, Alter,<lb/>
Charakter, Merkwürdigkeiten Eisenachs Auskunft finden. Mir fiel vor<lb/>
Allem das malerische Mäntelchen auf, das junge und alte, hohe und<lb/>
niedere Frauen in Eisenach tragen und zu den thüringischen Gesichtern<lb/>
und schönen vollen Leibern so gut steht. Während ich ein solches<lb/>
Mäntelchen verfolgen wollte, und darum von dem PostHause einige<lb/>
Schritte zurückging &#x2014; da &#x2014; mit ernsten Blicken sah die alte Wart¬<lb/>
burg von ihrer Höhe auf mich herab, wie ein alter Riese uralter<lb/>
Zeiten. Schnell fuhr ich mit der Hand an meine Brieftasche, um zu<lb/>
fühlen, ob ich den Empfehlungsbrief an den Schloßhauptmann Herrn<lb/>
v. Arnswald noch habe, den mir eine verehrte Freundin in Weimar<lb/>
mitgegeben. Sogleich ließ ich meine Sachen in's Gasthaus tragen,<lb/>
ordnete meinen studentikosen Anzug und machte mich auf den Weg,<lb/>
hinauf zur allein ehrwürdigen, herrlichen Wartburg. Die Sonne stand<lb/>
noch hoch und brannte mit heißen Strahlen auf mich nieder. Aber<lb/>
wie steil auch der Weg war, ich merkte die Hitze nicht, denn ich dachte<lb/>
an jene Zeit, da ich zum ersten Male von der Wartburg gehört und<lb/>
gelesen. Ich war noch ein sehr kleiner Junge, als mir das Drama<lb/>
von Küffncr &#x201E;Die Minnesänger auf der Wartburg" in die Hände<lb/>
fiel: es mag ein sehr schlechtes Drama sein, aber mich machte es da¬<lb/>
mals glücklich. Landgrafen, Minnesänger, Burgvögte, Zauberer, schöne<lb/>
Frauen &#x2014; wie viel Stoff für eine junge Phantasie! &#x2014; Später kam<lb/>
noch die Geschichte hinzu: Die heilige Elisabeth, Friedrich mit der ge¬<lb/>
bissenen Wange, Ludwig der Eiserne, Luther &#x2014; das waren meine<lb/>
Helden! &#x2014; und jetzt sollte ich den Schauplatz sehen! &#x2014; ich fühlte<lb/>
mich so glücklich, wie damals, da ich das Küffner'sche Trauerspiel fern<lb/>
von hier zum erstell Male gelesen. Der Schloßhauptmann v. Arns¬<lb/>
wald nahm mich sehr freundlich auf, wie ein edler Burgvogt einen<lb/>
fahrenden Minnesänger. Aus den kleinen mittelalterlichen Zimmern<lb/>
mit gemalten Scheiben führte er mich in den Waffensaal, in die große<lb/>
Landgrafenstube, in welcher der Kampf der Minnesänger geschlagen<lb/>
ward, dann in das Lutherzimmer und in die beiden weimarischen<lb/>
Staatsgefängnisse. &#x2014; Ich muß lachen, wenn ich an diese zwei Staats-<lb/>
gefängnisse denke. Es muß nichts Angenehmeres geben, als in Wei¬<lb/>
mar ein Hochverräther und hier eingekerkert zu werden. Nicht nur,</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] und Pommern seinen Junkern. Ja selbst über Deutschland hinaus hat die deutsche Poesie ihre Marken erstreckt; denn gehört Ungarn nicht unserem edlen Magyaren Nicolaus Lenau und seinem Hintersassen Carl Beck? — und so gehört Thüringen als Provinz ganz allein dem 0>. Ludwig Bechstein, und bei ihm wirst du gewiß über Lage, Alter, Charakter, Merkwürdigkeiten Eisenachs Auskunft finden. Mir fiel vor Allem das malerische Mäntelchen auf, das junge und alte, hohe und niedere Frauen in Eisenach tragen und zu den thüringischen Gesichtern und schönen vollen Leibern so gut steht. Während ich ein solches Mäntelchen verfolgen wollte, und darum von dem PostHause einige Schritte zurückging — da — mit ernsten Blicken sah die alte Wart¬ burg von ihrer Höhe auf mich herab, wie ein alter Riese uralter Zeiten. Schnell fuhr ich mit der Hand an meine Brieftasche, um zu fühlen, ob ich den Empfehlungsbrief an den Schloßhauptmann Herrn v. Arnswald noch habe, den mir eine verehrte Freundin in Weimar mitgegeben. Sogleich ließ ich meine Sachen in's Gasthaus tragen, ordnete meinen studentikosen Anzug und machte mich auf den Weg, hinauf zur allein ehrwürdigen, herrlichen Wartburg. Die Sonne stand noch hoch und brannte mit heißen Strahlen auf mich nieder. Aber wie steil auch der Weg war, ich merkte die Hitze nicht, denn ich dachte an jene Zeit, da ich zum ersten Male von der Wartburg gehört und gelesen. Ich war noch ein sehr kleiner Junge, als mir das Drama von Küffncr „Die Minnesänger auf der Wartburg" in die Hände fiel: es mag ein sehr schlechtes Drama sein, aber mich machte es da¬ mals glücklich. Landgrafen, Minnesänger, Burgvögte, Zauberer, schöne Frauen — wie viel Stoff für eine junge Phantasie! — Später kam noch die Geschichte hinzu: Die heilige Elisabeth, Friedrich mit der ge¬ bissenen Wange, Ludwig der Eiserne, Luther — das waren meine Helden! — und jetzt sollte ich den Schauplatz sehen! — ich fühlte mich so glücklich, wie damals, da ich das Küffner'sche Trauerspiel fern von hier zum erstell Male gelesen. Der Schloßhauptmann v. Arns¬ wald nahm mich sehr freundlich auf, wie ein edler Burgvogt einen fahrenden Minnesänger. Aus den kleinen mittelalterlichen Zimmern mit gemalten Scheiben führte er mich in den Waffensaal, in die große Landgrafenstube, in welcher der Kampf der Minnesänger geschlagen ward, dann in das Lutherzimmer und in die beiden weimarischen Staatsgefängnisse. — Ich muß lachen, wenn ich an diese zwei Staats- gefängnisse denke. Es muß nichts Angenehmeres geben, als in Wei¬ mar ein Hochverräther und hier eingekerkert zu werden. Nicht nur,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/190>, abgerufen am 24.11.2024.