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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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schen Dobrczisch und Prczibram dahin fuhr. Ein Bauer aus meinem
Dorfe saß an meiner Seite. Mit einem Male zeigte er mit der Hand
nach einem Lichte, das aus einem Dorfe links von der Straße her¬
überleuchtete. Seht Ihr, sagte er in böhmischer Sprache, in diesem
Dorfe wohnen lauter Helvetj, verfluchte Leute, die nicht an die heilige
Jungfrau glauben, ebenso wenig wie an die anderen Heiligen und
sich vor keinem Kreuze auf dem Wege bekreuzen. Verfluchtes Volk,
das sammt und sonders in die Holle kommt. -- Aber warum sprichst
du denn so leise? fragte ich ihn.

Er zeigte auf den Fuhrmann, der vorn bei den Pferden saß und
sagte mir in's Ohr: Das ist auch so einer, der ist auch aus dem Dorfe.

Ich war überrascht, mit einem Male zu erfahren, daß ich mit
einem Calvinisten auf einem und demselben Wagen fahre und beugte
mich vorwärts, um zu sehen, wie so ein Mensch aussähe. Aber der
Bauer zog mich zurück und sagte: Laßt den sein. Es ist nicht gut,
mit denen anzufangen; die machen sich gleich über Alles lustig.

Nach einigen Minuten fuhren wir an einem Kreuze vorüber, das
man noch heute sehen kann. Im selben Augenblicke wandte sich unser
Fuhrmann, der Calvinist um und sagte spöttisch zu dem Bauer: Hast
Du Dich auch gehörig bekreuzt, Gevatter? Da stand ja ein Kreuz
am Wege. Halte Dich bereit, bald kommen wir an eine heilige Jung¬
frau, daß Du mir nicht vergißt Deine Pflicht zu thun, sonst sage ich
es Deinem Pfarrer und Du mußt drei Lichter in die Kirche geben,
drei Groschen in den Klingelbeutel und hundert Messen für Deine
arme Seele lesen lassen.

Der Fuhrmann schwieg und hieb auf die Pferde los, aber auch
der Bauer erwiederte kein Wörtlein auf den Spott des Calvinisten.
Es ist nicht gut, mit denen zu sprechen, sagte er mir gutmüthig in's
Ohr, sonst weiß so ein "Helvit" nicht, wann aufzuhören und er bringt
Lästerungen hervor, die nur anzuhören schon eine Sünde ist. Ein ver¬
fluchtes Volk! --

Aber sein Schweigen nützte wenig. Der Calvinist wandte sich
um und versuchte den Bauer durch allerlei Witze, Spöttereien zum
Dispute zu reizen. AIs auch das nichts half, stellte er sich im Wa¬
gen auf und begann, unbekümmert um das Schweigen des Bauern,
mit Hilfe von Bibelsprüchen seinen Glauben zu preisen und den Ka¬
tholicismus zu kritisiren. Nach und nach verschwand der Spott und
mit einem tiefen Ernste sprach er von der Reinheit und Heiligkeit sei¬
nes Glaubens und mit einem solchen Feuer, als ob der Wagen eine


schen Dobrczisch und Prczibram dahin fuhr. Ein Bauer aus meinem
Dorfe saß an meiner Seite. Mit einem Male zeigte er mit der Hand
nach einem Lichte, das aus einem Dorfe links von der Straße her¬
überleuchtete. Seht Ihr, sagte er in böhmischer Sprache, in diesem
Dorfe wohnen lauter Helvetj, verfluchte Leute, die nicht an die heilige
Jungfrau glauben, ebenso wenig wie an die anderen Heiligen und
sich vor keinem Kreuze auf dem Wege bekreuzen. Verfluchtes Volk,
das sammt und sonders in die Holle kommt. — Aber warum sprichst
du denn so leise? fragte ich ihn.

Er zeigte auf den Fuhrmann, der vorn bei den Pferden saß und
sagte mir in's Ohr: Das ist auch so einer, der ist auch aus dem Dorfe.

Ich war überrascht, mit einem Male zu erfahren, daß ich mit
einem Calvinisten auf einem und demselben Wagen fahre und beugte
mich vorwärts, um zu sehen, wie so ein Mensch aussähe. Aber der
Bauer zog mich zurück und sagte: Laßt den sein. Es ist nicht gut,
mit denen anzufangen; die machen sich gleich über Alles lustig.

Nach einigen Minuten fuhren wir an einem Kreuze vorüber, das
man noch heute sehen kann. Im selben Augenblicke wandte sich unser
Fuhrmann, der Calvinist um und sagte spöttisch zu dem Bauer: Hast
Du Dich auch gehörig bekreuzt, Gevatter? Da stand ja ein Kreuz
am Wege. Halte Dich bereit, bald kommen wir an eine heilige Jung¬
frau, daß Du mir nicht vergißt Deine Pflicht zu thun, sonst sage ich
es Deinem Pfarrer und Du mußt drei Lichter in die Kirche geben,
drei Groschen in den Klingelbeutel und hundert Messen für Deine
arme Seele lesen lassen.

Der Fuhrmann schwieg und hieb auf die Pferde los, aber auch
der Bauer erwiederte kein Wörtlein auf den Spott des Calvinisten.
Es ist nicht gut, mit denen zu sprechen, sagte er mir gutmüthig in's
Ohr, sonst weiß so ein „Helvit" nicht, wann aufzuhören und er bringt
Lästerungen hervor, die nur anzuhören schon eine Sünde ist. Ein ver¬
fluchtes Volk! —

Aber sein Schweigen nützte wenig. Der Calvinist wandte sich
um und versuchte den Bauer durch allerlei Witze, Spöttereien zum
Dispute zu reizen. AIs auch das nichts half, stellte er sich im Wa¬
gen auf und begann, unbekümmert um das Schweigen des Bauern,
mit Hilfe von Bibelsprüchen seinen Glauben zu preisen und den Ka¬
tholicismus zu kritisiren. Nach und nach verschwand der Spott und
mit einem tiefen Ernste sprach er von der Reinheit und Heiligkeit sei¬
nes Glaubens und mit einem solchen Feuer, als ob der Wagen eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/176>, abgerufen am 25.08.2024.