Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.Nachts, gibt Appert zu, sei in der That die Absonderung der Gefan¬ Nachts, gibt Appert zu, sei in der That die Absonderung der Gefan¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0168" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182591"/> <p xml:id="ID_468" prev="#ID_467" next="#ID_469"> Nachts, gibt Appert zu, sei in der That die Absonderung der Gefan¬<lb/> genen zweckmäßig, als immerwährende Vereinsamung aber sei sie höchst<lb/> grausam, der Religion zuwider und weit entfernt das Ergebniß her¬<lb/> vorzubringen, welches ihre Vertheidiger ihr beimessen. Diese -Verthei¬<lb/> diger des Systems sind in Appert's Augen Theoretiker,^JdeeMger<lb/> ohne wirkliche Seelenkunde, ohne Beobachtung, ohne Erfahrung, ohne<lb/> Praris. Die immerwährende Absonderung und Vereinsamung, die<lb/> Ausschließung alles Verkehres mit Angehörigen, mit Theilnehmenden,<lb/> mit Allem was die Seele weich und liebevoll stimme, wirke zerstörend auf<lb/> die Seele nicht allein, sondern auch auf den Leib, vernichte den Men¬<lb/> schen, überliesere ihn der Verzweiflung, anstatt ihn zu bessern, anstatt<lb/> die guten Jnstincte, die noch vorhanden sind, zu wecken und zu ent¬<lb/> wickeln. Vielmehr müsse man den Verbrecher wie einen Kranken be¬<lb/> handeln, den man zu heilen habe; nachgerade fingen alle wahrhaft<lb/> aufgeklärten Männer der ganzen civilisirten Welt zu begreifen an, daß<lb/> es nicht darum zu thun sei, den Verbrecher zu bestrafen, sondern ihn<lb/> zu bessern und zur Sittlichkeit zu führen. Um diesen Zweck zu errei¬<lb/> chen, dürfe man denn weder von vornherein überhaupt alle menschli¬<lb/> chen Beziehungen, diese Anknüpfungspunkte für gute, gesellige Regun¬<lb/> gen und Gefühle dem Sträfling abschneiden, noch insbesondere die<lb/> verschiedenartigen Individualitäten, mit denen man es in den Gefäng¬<lb/> nissen zu thun habe, über einerlei Kamm scheeren; es müsse vielmehr<lb/> dafür gesorgt werden, daß die Charaktere, die früheren Verhältnisse,<lb/> die besondern Anlagen und Neigungen eines Jeden, seine körperlichen<lb/> und geistigen Fähigkeiten, sein Lebensalter, sein Geschlecht, sein Gesund¬<lb/> heitszustand in Rechnung gezogen würden, und "daß man die Behand¬<lb/> lung jedes Einzelnen nach allen diesen Bedingungen abmessen könnte.<lb/> Die Grundsätze, die man nicht aus den Augen verlieren dürfe, seien:<lb/> Vergessen alles dessen was dahinten liegt, Aufmunterung, Belohnung<lb/> in der Gegenwart und Hoffnung für die Zukunft. Appert ist Phi¬<lb/> lanthrop, sein Strafsystem ist Besserungssystem. Der oberste Grundsatz,<lb/> von welchem er ausgeht, ist dieser: „Strafen heißt, den Geist verhin¬<lb/> dern sich den Leidenschaften zu überlassen, indem man ihn zwingt seine<lb/> eigene Verderbtheit zu erkennen und zu beklagen." „Die Verderbtheit<lb/> ist eine Art Wahnsinn, eine Krankheit des Gehirnes und zwar eine<lb/> fast immer heilbare, wofern man nur das Uebel mit seiner Wurzel<lb/> ausrottet." Seine Heilmethode im Allgemeinen beschreibt Appert so :<lb/> «Ich suche mir das Vertrauen, die Zuneigung meines Kranken zu<lb/> gewinnen, damit meine Rathschläge den Weg zu seinem Herzen finden.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0168]
Nachts, gibt Appert zu, sei in der That die Absonderung der Gefan¬
genen zweckmäßig, als immerwährende Vereinsamung aber sei sie höchst
grausam, der Religion zuwider und weit entfernt das Ergebniß her¬
vorzubringen, welches ihre Vertheidiger ihr beimessen. Diese -Verthei¬
diger des Systems sind in Appert's Augen Theoretiker,^JdeeMger
ohne wirkliche Seelenkunde, ohne Beobachtung, ohne Erfahrung, ohne
Praris. Die immerwährende Absonderung und Vereinsamung, die
Ausschließung alles Verkehres mit Angehörigen, mit Theilnehmenden,
mit Allem was die Seele weich und liebevoll stimme, wirke zerstörend auf
die Seele nicht allein, sondern auch auf den Leib, vernichte den Men¬
schen, überliesere ihn der Verzweiflung, anstatt ihn zu bessern, anstatt
die guten Jnstincte, die noch vorhanden sind, zu wecken und zu ent¬
wickeln. Vielmehr müsse man den Verbrecher wie einen Kranken be¬
handeln, den man zu heilen habe; nachgerade fingen alle wahrhaft
aufgeklärten Männer der ganzen civilisirten Welt zu begreifen an, daß
es nicht darum zu thun sei, den Verbrecher zu bestrafen, sondern ihn
zu bessern und zur Sittlichkeit zu führen. Um diesen Zweck zu errei¬
chen, dürfe man denn weder von vornherein überhaupt alle menschli¬
chen Beziehungen, diese Anknüpfungspunkte für gute, gesellige Regun¬
gen und Gefühle dem Sträfling abschneiden, noch insbesondere die
verschiedenartigen Individualitäten, mit denen man es in den Gefäng¬
nissen zu thun habe, über einerlei Kamm scheeren; es müsse vielmehr
dafür gesorgt werden, daß die Charaktere, die früheren Verhältnisse,
die besondern Anlagen und Neigungen eines Jeden, seine körperlichen
und geistigen Fähigkeiten, sein Lebensalter, sein Geschlecht, sein Gesund¬
heitszustand in Rechnung gezogen würden, und "daß man die Behand¬
lung jedes Einzelnen nach allen diesen Bedingungen abmessen könnte.
Die Grundsätze, die man nicht aus den Augen verlieren dürfe, seien:
Vergessen alles dessen was dahinten liegt, Aufmunterung, Belohnung
in der Gegenwart und Hoffnung für die Zukunft. Appert ist Phi¬
lanthrop, sein Strafsystem ist Besserungssystem. Der oberste Grundsatz,
von welchem er ausgeht, ist dieser: „Strafen heißt, den Geist verhin¬
dern sich den Leidenschaften zu überlassen, indem man ihn zwingt seine
eigene Verderbtheit zu erkennen und zu beklagen." „Die Verderbtheit
ist eine Art Wahnsinn, eine Krankheit des Gehirnes und zwar eine
fast immer heilbare, wofern man nur das Uebel mit seiner Wurzel
ausrottet." Seine Heilmethode im Allgemeinen beschreibt Appert so :
«Ich suche mir das Vertrauen, die Zuneigung meines Kranken zu
gewinnen, damit meine Rathschläge den Weg zu seinem Herzen finden.
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