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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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hören aber unmolestirt zu lassen. Das Proletariat ist bevorzugten
Menschen und Thieren ein Gräuel.

Als die Hinterpferde mit einem Ruck den Wagen nach der mo-
mentanen Stockung vorwärts rissen, sahen die erschreckten Damen noch,
wie der zerlumpte Mensch aufsprang und bittend eine Hand nach den
Vornehmen ausstreckte, die ihn mit einem Brocken ihres Reichthums,
wie sie ihn täglich für Spielerei und Feste der Langeweile wegwerfen,
auf sein ganzes Leben beglücken konnten. Umsonst! die Gräfin blickte
überrascht und bedauernd auf, die Mädchen klagten um den Arme",
aber'das Viergespann brauste weiter, und nur die Jüngste, welche sich
von ihrem Rücksitze aus dem Schlage bog, sah, wie der Mensch mit
rasender Schnelligkeit etwas unternahm. Ein Strick rollte auf -- die
junge Gräfin sah mit ihren scharfen Augen, wie der Bettler an dem
Baume empor kletterte, sie wußte nicht und dachte es sich nicht, was
er damit wolle, da machte der Weg seine Krümmung, daß die Wald -
bäume dazwischen traten; noch im letzten Momente glaubte das Mäd¬
chen wahrzunehmen, daß der Mensch von oben herabsprang, dann war
Alles ihren Blicken entrückt. Die Birken säuselten friedlich im Abend¬
winde, die Sonnenstrahlen spielten mit goldgrünen Lichtern im weichen
Laube, Vögel riefen durch den Wald. Die Natur war so still und
selig und kein Zeichen verrieth, daß sich eben ein Schrecknis) der Ver¬
zweiflung hier zugetragen habe. Wohl sprachen die Damen von dem
armen Menschen und bedauerten, daß sie ihm in der Eile nichts hatten
schenken können -- was die junge Gräfin gesehen, wurde kaum beach¬
tet; wie hätten die Gedanken der Damen in jenen schwarzen Abgrund
sinken können? Es störte ihre Heiterkeit nur momentan, sie fanden die
Blumen, welche sie sich wünschten, genossen den Wohlgeschmack der
südlichen Trauben und als die Sonne sank, traten sie befriedigt die
Heimfahrt an.

Der Weg, welcher nur für die herrschaftliche Benutzung angelegt
war und sonst keine Communication bezweckte, blieb gewöhnlich ein¬
sam, es war eine Seltenheit, noch dazu eine unerlaubte, hier Jemand
zu begegnen. Jokei und Kutscher hatten sich daher schon über den
frechen Bettler geärgert, der sich in den Park eingedrängt und ihnen
die Pferde scheu gemacht hatte. Als sie sich der Stelle wieder näher¬
ten, richtete sich auf einmal der Jokei in den Bügeln auf und sah
scharf vor sich hin. "Hol'ö der Teufel! Ja wahrhaftig!" sagte er
halblaut, sich ein wenig zum Kutscher umwendend. Der hatte es von
seinem hohen Bocksitze auch schon gesehen.


hören aber unmolestirt zu lassen. Das Proletariat ist bevorzugten
Menschen und Thieren ein Gräuel.

Als die Hinterpferde mit einem Ruck den Wagen nach der mo-
mentanen Stockung vorwärts rissen, sahen die erschreckten Damen noch,
wie der zerlumpte Mensch aufsprang und bittend eine Hand nach den
Vornehmen ausstreckte, die ihn mit einem Brocken ihres Reichthums,
wie sie ihn täglich für Spielerei und Feste der Langeweile wegwerfen,
auf sein ganzes Leben beglücken konnten. Umsonst! die Gräfin blickte
überrascht und bedauernd auf, die Mädchen klagten um den Arme»,
aber'das Viergespann brauste weiter, und nur die Jüngste, welche sich
von ihrem Rücksitze aus dem Schlage bog, sah, wie der Mensch mit
rasender Schnelligkeit etwas unternahm. Ein Strick rollte auf — die
junge Gräfin sah mit ihren scharfen Augen, wie der Bettler an dem
Baume empor kletterte, sie wußte nicht und dachte es sich nicht, was
er damit wolle, da machte der Weg seine Krümmung, daß die Wald -
bäume dazwischen traten; noch im letzten Momente glaubte das Mäd¬
chen wahrzunehmen, daß der Mensch von oben herabsprang, dann war
Alles ihren Blicken entrückt. Die Birken säuselten friedlich im Abend¬
winde, die Sonnenstrahlen spielten mit goldgrünen Lichtern im weichen
Laube, Vögel riefen durch den Wald. Die Natur war so still und
selig und kein Zeichen verrieth, daß sich eben ein Schrecknis) der Ver¬
zweiflung hier zugetragen habe. Wohl sprachen die Damen von dem
armen Menschen und bedauerten, daß sie ihm in der Eile nichts hatten
schenken können — was die junge Gräfin gesehen, wurde kaum beach¬
tet; wie hätten die Gedanken der Damen in jenen schwarzen Abgrund
sinken können? Es störte ihre Heiterkeit nur momentan, sie fanden die
Blumen, welche sie sich wünschten, genossen den Wohlgeschmack der
südlichen Trauben und als die Sonne sank, traten sie befriedigt die
Heimfahrt an.

Der Weg, welcher nur für die herrschaftliche Benutzung angelegt
war und sonst keine Communication bezweckte, blieb gewöhnlich ein¬
sam, es war eine Seltenheit, noch dazu eine unerlaubte, hier Jemand
zu begegnen. Jokei und Kutscher hatten sich daher schon über den
frechen Bettler geärgert, der sich in den Park eingedrängt und ihnen
die Pferde scheu gemacht hatte. Als sie sich der Stelle wieder näher¬
ten, richtete sich auf einmal der Jokei in den Bügeln auf und sah
scharf vor sich hin. „Hol'ö der Teufel! Ja wahrhaftig!" sagte er
halblaut, sich ein wenig zum Kutscher umwendend. Der hatte es von
seinem hohen Bocksitze auch schon gesehen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/161>, abgerufen am 24.11.2024.