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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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Tod begönne. Die furchtbare Frage, ob es nicht trotz aller socialen
Experimente doch dahin kommen würde, wenn nicht ein durchgreifen¬
des, der Natur der Sache nach freilich nur allmälig wirkendes Heil¬
mittel zur Anwendung gelangte, dieser furchtbaren Frage kann sich so
leicht Niemand auf die Dauer entziehen und der Vollgenuß einer
glänzenden Existenz, umgeben von allem Raffinement des Luxus und
der Bequemlichkeit dient eben nur dazu, einen beängstigenden Vergleich
anzustellen, wenn einmal der hohläugige Mangel, die Armuth, knir¬
schend am Rande des Verbrechens, in unmittelbare Anschauung tritt.

Zu den Besitzungen des Grafen gehörte auch ein benachbartes
Gut, das wegen seines Treibhauses in der ganzen Gegend berühmt
war. Er hatte es nach holländischem Vorbilde mit bedeutenden Kosten
einrichten lassen und seine Fruchttreiberei, nicht zum Verkauf, sondern
nur für sich und seine Verwandten und Bekannten, grenzte an Zau¬
berei. Die Damen fuhren, um sich von den ängstlichen Eindrücken
des Aufstandes zu zerstreuen, in ihrem eleganten Wagen, von einem
prächtigen Viergespann gezogen, herüber, sie wollten sich Blumen und
Früchte holen. Die Mutter saß still in der Ecke des Fonds, hatte die
Hände auf den Schooß gelegt, und ließ ihre sanften Augen über die
Gegend schweifen, wenn sie nicht durch irgend einen Ausbruch des
Frohsinns wohlwollend auf ihr jüngstes Kind gelenkt wurden, das
vom Rücksitz aus mit der Schwester gegenüber die harmloseste Unter¬
haltung pflog. Es war ein herzerquickender Anblick, die beiden jun¬
gen Mädchen zu sehen, Beide schön und zart, heiter und glücklich!
Noch keine Sorge, als um eine leicht zu erlangende Nichtigkeit, war
ihnen bis jetzt genaht, sie kannten von der Welt nichts, als die goldne,
schimmernde Region, in der sie geboren waren, nur Glanz, Ebenmaß
und Schönheit um sich her. Darum war der Ausdruck ihrer noch
halbkindlichen Gesichter auch so rührend für die Mutter und sie mußte
sich oft abwenden, um ihnen das zu verbergen -- denn ach! kann es
denn so bleiben?

An einer Waldecke scheute sich Plötzlich das Handvorderpferd,
prellte gegen das andere und wurde nur durch die Gewandtheit des
Jokei's gebändigt. Da lag, in einen Knäuel zusammengeballt, ein
menschliches Wesen, graue Lumpen bedeckten es kümmerlich und mach¬
ten es eben zu einem Gegenstande des Schreckens für das aristokra¬
tische Pferd, das nur anständige Leute zu sehen gewohnt war. Auch
Herrenhunde pflegen zerlumpte Bettler anzubellen, wohlgekleidete Per-


Tod begönne. Die furchtbare Frage, ob es nicht trotz aller socialen
Experimente doch dahin kommen würde, wenn nicht ein durchgreifen¬
des, der Natur der Sache nach freilich nur allmälig wirkendes Heil¬
mittel zur Anwendung gelangte, dieser furchtbaren Frage kann sich so
leicht Niemand auf die Dauer entziehen und der Vollgenuß einer
glänzenden Existenz, umgeben von allem Raffinement des Luxus und
der Bequemlichkeit dient eben nur dazu, einen beängstigenden Vergleich
anzustellen, wenn einmal der hohläugige Mangel, die Armuth, knir¬
schend am Rande des Verbrechens, in unmittelbare Anschauung tritt.

Zu den Besitzungen des Grafen gehörte auch ein benachbartes
Gut, das wegen seines Treibhauses in der ganzen Gegend berühmt
war. Er hatte es nach holländischem Vorbilde mit bedeutenden Kosten
einrichten lassen und seine Fruchttreiberei, nicht zum Verkauf, sondern
nur für sich und seine Verwandten und Bekannten, grenzte an Zau¬
berei. Die Damen fuhren, um sich von den ängstlichen Eindrücken
des Aufstandes zu zerstreuen, in ihrem eleganten Wagen, von einem
prächtigen Viergespann gezogen, herüber, sie wollten sich Blumen und
Früchte holen. Die Mutter saß still in der Ecke des Fonds, hatte die
Hände auf den Schooß gelegt, und ließ ihre sanften Augen über die
Gegend schweifen, wenn sie nicht durch irgend einen Ausbruch des
Frohsinns wohlwollend auf ihr jüngstes Kind gelenkt wurden, das
vom Rücksitz aus mit der Schwester gegenüber die harmloseste Unter¬
haltung pflog. Es war ein herzerquickender Anblick, die beiden jun¬
gen Mädchen zu sehen, Beide schön und zart, heiter und glücklich!
Noch keine Sorge, als um eine leicht zu erlangende Nichtigkeit, war
ihnen bis jetzt genaht, sie kannten von der Welt nichts, als die goldne,
schimmernde Region, in der sie geboren waren, nur Glanz, Ebenmaß
und Schönheit um sich her. Darum war der Ausdruck ihrer noch
halbkindlichen Gesichter auch so rührend für die Mutter und sie mußte
sich oft abwenden, um ihnen das zu verbergen — denn ach! kann es
denn so bleiben?

An einer Waldecke scheute sich Plötzlich das Handvorderpferd,
prellte gegen das andere und wurde nur durch die Gewandtheit des
Jokei's gebändigt. Da lag, in einen Knäuel zusammengeballt, ein
menschliches Wesen, graue Lumpen bedeckten es kümmerlich und mach¬
ten es eben zu einem Gegenstande des Schreckens für das aristokra¬
tische Pferd, das nur anständige Leute zu sehen gewohnt war. Auch
Herrenhunde pflegen zerlumpte Bettler anzubellen, wohlgekleidete Per-


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[0160] Tod begönne. Die furchtbare Frage, ob es nicht trotz aller socialen Experimente doch dahin kommen würde, wenn nicht ein durchgreifen¬ des, der Natur der Sache nach freilich nur allmälig wirkendes Heil¬ mittel zur Anwendung gelangte, dieser furchtbaren Frage kann sich so leicht Niemand auf die Dauer entziehen und der Vollgenuß einer glänzenden Existenz, umgeben von allem Raffinement des Luxus und der Bequemlichkeit dient eben nur dazu, einen beängstigenden Vergleich anzustellen, wenn einmal der hohläugige Mangel, die Armuth, knir¬ schend am Rande des Verbrechens, in unmittelbare Anschauung tritt. Zu den Besitzungen des Grafen gehörte auch ein benachbartes Gut, das wegen seines Treibhauses in der ganzen Gegend berühmt war. Er hatte es nach holländischem Vorbilde mit bedeutenden Kosten einrichten lassen und seine Fruchttreiberei, nicht zum Verkauf, sondern nur für sich und seine Verwandten und Bekannten, grenzte an Zau¬ berei. Die Damen fuhren, um sich von den ängstlichen Eindrücken des Aufstandes zu zerstreuen, in ihrem eleganten Wagen, von einem prächtigen Viergespann gezogen, herüber, sie wollten sich Blumen und Früchte holen. Die Mutter saß still in der Ecke des Fonds, hatte die Hände auf den Schooß gelegt, und ließ ihre sanften Augen über die Gegend schweifen, wenn sie nicht durch irgend einen Ausbruch des Frohsinns wohlwollend auf ihr jüngstes Kind gelenkt wurden, das vom Rücksitz aus mit der Schwester gegenüber die harmloseste Unter¬ haltung pflog. Es war ein herzerquickender Anblick, die beiden jun¬ gen Mädchen zu sehen, Beide schön und zart, heiter und glücklich! Noch keine Sorge, als um eine leicht zu erlangende Nichtigkeit, war ihnen bis jetzt genaht, sie kannten von der Welt nichts, als die goldne, schimmernde Region, in der sie geboren waren, nur Glanz, Ebenmaß und Schönheit um sich her. Darum war der Ausdruck ihrer noch halbkindlichen Gesichter auch so rührend für die Mutter und sie mußte sich oft abwenden, um ihnen das zu verbergen — denn ach! kann es denn so bleiben? An einer Waldecke scheute sich Plötzlich das Handvorderpferd, prellte gegen das andere und wurde nur durch die Gewandtheit des Jokei's gebändigt. Da lag, in einen Knäuel zusammengeballt, ein menschliches Wesen, graue Lumpen bedeckten es kümmerlich und mach¬ ten es eben zu einem Gegenstande des Schreckens für das aristokra¬ tische Pferd, das nur anständige Leute zu sehen gewohnt war. Auch Herrenhunde pflegen zerlumpte Bettler anzubellen, wohlgekleidete Per-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/160>, abgerufen am 28.11.2024.