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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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sie will." -- "Rum, nun," versetzte die Haushälterin, "es scheint Ih¬
nen doch schwer zu falle". Wollen Sie mir's nicht sagen?"-^ "Ein
ander Mal, Mine," sagte der Fabrikant. "Du wirst sehen, es ist gar
nichts. Besorge mir heute Abend eine Suppe, ich habe keinen Appe¬
tit." -- "Sehen Sie wohl, es drückt Sie!" rief das Mädchen.
"Sie sollten sich das Herz leicht machen." -- "Es ist nichts, Min¬
chen. Laß mich zufrieden, liebes Minchen," sagte Masser. "Du bist
ein gutes Mädel, nicht wahr, Du meinst es ehrlich mit mir?" --
"Ehrlicher, als Sie es mit mir gemeint haben," erwiederte das Mäd¬
chen vorwurfsvoll. "Sie denken nicht daran, Ihr Versprechen zu hal¬
ten." -- "Laß Dir nur Zeit, Mine. Es ging noch nicht, ich hatte
mit den Verwandten -- Du weißt ja. Laß Dir nur Zeit." -- "Zeit
habe ich mir genug gelassen, ich bin darüber alt und häßlich gewor¬
den," erwiederte sie. -- "Du Spaßvogel! Nun ein ander Mal
sprechen wir davon. Schaffe mir eine Suppe, mir ist miserabel zu
Muth."


4.

Die alte Frau lief mehr, als sie ging, durch die Pappelallee nach
der Stadt zurück. Sie sah starr vor sich hin, aber ihre Lippen be¬
wegten sich zuweilen und mehr als einmal focht sie mit den Armen
in der Luft, so daß sie ein wahrhaft unheimliches Ansehen hatte und
ein kleines Kind, das auf dem Arme eines kaum größern an ihr vor¬
bei geschleppt wurde, aus Furcht zu schreien anfing. Der klägliche
Ton weckte die Wittwe aus ihren wilden Gedanken und schien für
einen Moment sie zu mildern, denn sie blickte mitleidig auf, aber kaum
siel ihr Auge auf das Kind, das sein Gesicht auf der Schulter der
Schwester verbarg, als die Frau wie eine Furie über Beide herfiel,
dem Kleinen die Mütze vom Köpfchen riß und schrie: "Canaillen! Wo
habt Ihr das gestohlen?"

Das größere Mädchen fing nun auch an zu schreien und ein
wüthendes Weib, ihre Mutter, stürzte aus der Thüre der Hütte, wo
sich dieser Vorfall zutrug, um ihre Kinder zu schützen und zu rächen.
Es gab ein wüstes Schimpfen und Zanken und wäre gewiß zu Thät¬
lichkeiten gekommen, wenn nicht ein gemeinschaftlicher Bekannter, ein
alter zerlumpter Mensch, die Erhöhter getrennt hätte.

"I Frau Grescheln, Frau Hedemeuern! Was habt Ihr denn?
Schämt Euch doch!" -- "Was? Stehlen sollen wir?" schrie die be<
leidtgte Mutter und warf der Frau Greschel auch das zweite der Kilt-


sie will." — „Rum, nun," versetzte die Haushälterin, „es scheint Ih¬
nen doch schwer zu falle». Wollen Sie mir's nicht sagen?"-^ „Ein
ander Mal, Mine," sagte der Fabrikant. „Du wirst sehen, es ist gar
nichts. Besorge mir heute Abend eine Suppe, ich habe keinen Appe¬
tit." — „Sehen Sie wohl, es drückt Sie!" rief das Mädchen.
„Sie sollten sich das Herz leicht machen." — „Es ist nichts, Min¬
chen. Laß mich zufrieden, liebes Minchen," sagte Masser. „Du bist
ein gutes Mädel, nicht wahr, Du meinst es ehrlich mit mir?" —
„Ehrlicher, als Sie es mit mir gemeint haben," erwiederte das Mäd¬
chen vorwurfsvoll. „Sie denken nicht daran, Ihr Versprechen zu hal¬
ten." — „Laß Dir nur Zeit, Mine. Es ging noch nicht, ich hatte
mit den Verwandten — Du weißt ja. Laß Dir nur Zeit." — „Zeit
habe ich mir genug gelassen, ich bin darüber alt und häßlich gewor¬
den," erwiederte sie. — „Du Spaßvogel! Nun ein ander Mal
sprechen wir davon. Schaffe mir eine Suppe, mir ist miserabel zu
Muth."


4.

Die alte Frau lief mehr, als sie ging, durch die Pappelallee nach
der Stadt zurück. Sie sah starr vor sich hin, aber ihre Lippen be¬
wegten sich zuweilen und mehr als einmal focht sie mit den Armen
in der Luft, so daß sie ein wahrhaft unheimliches Ansehen hatte und
ein kleines Kind, das auf dem Arme eines kaum größern an ihr vor¬
bei geschleppt wurde, aus Furcht zu schreien anfing. Der klägliche
Ton weckte die Wittwe aus ihren wilden Gedanken und schien für
einen Moment sie zu mildern, denn sie blickte mitleidig auf, aber kaum
siel ihr Auge auf das Kind, das sein Gesicht auf der Schulter der
Schwester verbarg, als die Frau wie eine Furie über Beide herfiel,
dem Kleinen die Mütze vom Köpfchen riß und schrie: „Canaillen! Wo
habt Ihr das gestohlen?"

Das größere Mädchen fing nun auch an zu schreien und ein
wüthendes Weib, ihre Mutter, stürzte aus der Thüre der Hütte, wo
sich dieser Vorfall zutrug, um ihre Kinder zu schützen und zu rächen.
Es gab ein wüstes Schimpfen und Zanken und wäre gewiß zu Thät¬
lichkeiten gekommen, wenn nicht ein gemeinschaftlicher Bekannter, ein
alter zerlumpter Mensch, die Erhöhter getrennt hätte.

„I Frau Grescheln, Frau Hedemeuern! Was habt Ihr denn?
Schämt Euch doch!" — „Was? Stehlen sollen wir?" schrie die be<
leidtgte Mutter und warf der Frau Greschel auch das zweite der Kilt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/154>, abgerufen am 27.11.2024.