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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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entfernen. Wie er aber mit seiner Haushälterin stand, durfte er nicht
daran denken, ihr eine solche Zumuthung zu machen. -- "So? Wer
hat Ihnen denn das Packet gegeben?" rief die Wittwe. -- Der Post-
secretär, weil ich Sie kenne und Ihr den Fund am ersten wieder zu¬
stellen konnte." -- "Gut. Aber es ist versiegelt gewesen mit dem
Stempel. Wer hat denn das Siegel aufgebrochen?" -- "Der Post-
secretär hat es mir erbrochen übergeben, frage Sie ihn selbst. Es
thut mir leid, wenn Ihr etwas dabei verloren gegangen ist, aber mir
wird Sie doch die Schuld nicht geben." -- "Wem sonst?" rief die
Wittwe, stemmte die Hände in die Seite und sah den Fabrikherm
so glühenden Blickes an, daß dieser beinah fassungslos die Augen
senkte. "Sie sollten nicht wissen, was mir aus dem Packet heraus¬
genommen ist?" -- "Ich?!" flüsterte Masser, auf sich selbst wüthend,
daß er seine Feigheit nicht bemeistern konnte, wüthend auf seine hoch
aufhorchende Dienerin und bis zum tödtlichsten Ingrimm auf die
alte Frau, welche vor ihm stand. -- "Sie! Ja!" rief die Wittwe
mit Heftigkeit. "Sie werden mir'ö nicht herausgeben, das weiß ich,
Sie Haben's gewiß schon verbrannt, es riecht in der ganzen Stube
danach -- aber es soll Ihnen nichts helfen: Gott lebt noch, Herr
Masser, und wir werden uns schon einmal sprechen." -- "Sie ereifert
sich," brachte Masser etwas gefaßter zum Vorschein, "ich weiß nicht,
was Sie will. Mir fällt ein, daß Ihr Packet durch viele Hände ge¬
gangen ist, eh' ich es bekam. Die Mamsell hat es gefunden, dann
nahm es der schwarze Fremde, ich habe mich erst gar nicht darum be¬
kümmert. Lasse Sie mich deshalb in Ruhe, ich denke, wir sind mit
einander fertig, Frau Greschel." -- "Ja, das denken Sie wohl!''
versetzte die Wittwe mit einem furchtbaren Hohne. "Ich aber denke
anders. Sie sind der reiche Mann, mit Geld kann man Alles machen,
nicht wahr? Die Leute auf's Zuchthaus bringen oder hängen las¬
sen! Aber es kommt einmal ein Abrechnungstag, wo wir die Bücher
führen und da sollen Sie sich wundern, Herr Masser!"

Mit diesen beinah schreiend ausgesprochenen Worten entfernte sich
die Erzürnte und der Fabrikherr wischte sich den Schweiß ab. Er¬
schöpft setzte er sich in seinen Lehnstuhl. "Was willst Du noch,
Mine?" fragte er nach einer Weile mit heiserer Stimme. -- "So
fragen Sie mich doch sonst nicht," entgegnete die Haushälterin unge-
scheut. "Sie müssen doch mit der Greschel eine schlimme Geschichte
gehabt haben." -- "neugieriges Mädel! Nicht der Rede werth," ant¬
wortete Masser. "Die alte Here hat den Teufel, ich weiß nicht, was


entfernen. Wie er aber mit seiner Haushälterin stand, durfte er nicht
daran denken, ihr eine solche Zumuthung zu machen. — „So? Wer
hat Ihnen denn das Packet gegeben?" rief die Wittwe. — Der Post-
secretär, weil ich Sie kenne und Ihr den Fund am ersten wieder zu¬
stellen konnte." — „Gut. Aber es ist versiegelt gewesen mit dem
Stempel. Wer hat denn das Siegel aufgebrochen?" — „Der Post-
secretär hat es mir erbrochen übergeben, frage Sie ihn selbst. Es
thut mir leid, wenn Ihr etwas dabei verloren gegangen ist, aber mir
wird Sie doch die Schuld nicht geben." — „Wem sonst?" rief die
Wittwe, stemmte die Hände in die Seite und sah den Fabrikherm
so glühenden Blickes an, daß dieser beinah fassungslos die Augen
senkte. „Sie sollten nicht wissen, was mir aus dem Packet heraus¬
genommen ist?" — „Ich?!" flüsterte Masser, auf sich selbst wüthend,
daß er seine Feigheit nicht bemeistern konnte, wüthend auf seine hoch
aufhorchende Dienerin und bis zum tödtlichsten Ingrimm auf die
alte Frau, welche vor ihm stand. — „Sie! Ja!" rief die Wittwe
mit Heftigkeit. „Sie werden mir'ö nicht herausgeben, das weiß ich,
Sie Haben's gewiß schon verbrannt, es riecht in der ganzen Stube
danach — aber es soll Ihnen nichts helfen: Gott lebt noch, Herr
Masser, und wir werden uns schon einmal sprechen." — „Sie ereifert
sich," brachte Masser etwas gefaßter zum Vorschein, „ich weiß nicht,
was Sie will. Mir fällt ein, daß Ihr Packet durch viele Hände ge¬
gangen ist, eh' ich es bekam. Die Mamsell hat es gefunden, dann
nahm es der schwarze Fremde, ich habe mich erst gar nicht darum be¬
kümmert. Lasse Sie mich deshalb in Ruhe, ich denke, wir sind mit
einander fertig, Frau Greschel." — „Ja, das denken Sie wohl!''
versetzte die Wittwe mit einem furchtbaren Hohne. „Ich aber denke
anders. Sie sind der reiche Mann, mit Geld kann man Alles machen,
nicht wahr? Die Leute auf's Zuchthaus bringen oder hängen las¬
sen! Aber es kommt einmal ein Abrechnungstag, wo wir die Bücher
führen und da sollen Sie sich wundern, Herr Masser!"

Mit diesen beinah schreiend ausgesprochenen Worten entfernte sich
die Erzürnte und der Fabrikherr wischte sich den Schweiß ab. Er¬
schöpft setzte er sich in seinen Lehnstuhl. „Was willst Du noch,
Mine?" fragte er nach einer Weile mit heiserer Stimme. — „So
fragen Sie mich doch sonst nicht," entgegnete die Haushälterin unge-
scheut. „Sie müssen doch mit der Greschel eine schlimme Geschichte
gehabt haben." — „neugieriges Mädel! Nicht der Rede werth," ant¬
wortete Masser. „Die alte Here hat den Teufel, ich weiß nicht, was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/153>, abgerufen am 24.11.2024.