Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band."Sie werden verzeihen, Herr Postsecretär," sagte die Frau mit einer Kein Wort erwiederte die Wittwe auf diese unfreundliche Abfer¬ 3. In der Fabrik des Herrn Masser war die regste Thätigkeit. Der "Lieber Baltz," sagte er, "ich finde, daß die Totale ungeheuer „Sie werden verzeihen, Herr Postsecretär," sagte die Frau mit einer Kein Wort erwiederte die Wittwe auf diese unfreundliche Abfer¬ 3. In der Fabrik des Herrn Masser war die regste Thätigkeit. Der „Lieber Baltz," sagte er, „ich finde, daß die Totale ungeheuer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182571"/> <p xml:id="ID_390"> „Sie werden verzeihen, Herr Postsecretär," sagte die Frau mit einer<lb/> halbmännlichen Stimme, „hat sich vielleicht im Postwagen ein kleines<lb/> Päckchen gefunden, ich bin unterwegs abgestiegen —" — „Ja, gegen alle<lb/> Ordnung!" unterbrach sie der Beamte. „Unterwegs soll gar Niemand<lb/> absteigen." — „Ich habe mein Passagiergeld bezahlt und den Wagen<lb/> nicht warten lassen," sagte die Frau, ohne eingeschüchtert zu sein. „Es<lb/> wird mir doch frei stehen, abzuspringen, wenn ich will." — „Oho!<lb/> Wir wollen Ihr die Grobheit legen," versetzte der Postsecretär. —<lb/> „Ich bin nicht grob, ich wollte nur anfragen wegen des Päckchens,<lb/> das mir beim Ausspringen aus der Tasche gefallen sein muß," sagte<lb/> das Weib. — „Nun, was war denn drin?" fragte der Secretär.<lb/> „Das muß ich vorher wissen." — „Zwei Kindermützen, gewebte, und<lb/> einige Papiere, auch mein Paß," antwortete sie. — „Wie heißt Sie<lb/> denn?" fragte der Secretär. — „Wittwe Greschel." — „Ja, ja,<lb/> Greschel! Ich habe schon von ihr gehört," sagte der Beamte. —<lb/> „Kann nur in allen Ehren gewesen sein," versetzte die Frau trotzig.<lb/> „Ist mein Packet hier?" — „Herr Masser hat es an sich genommen,<lb/> dort kann Sie es abholen," erwiederte der Secretär. Bei dieser Nach¬<lb/> richt erschrak die Frau und die Flügel ihrer langen Nase schwollen<lb/> zornig empor. -— „Wer hat dem meine Sachen gegeben?" rief sie<lb/> heftig. „Wie kommt der dazu?" — „Jetzt packe Sie sich!" schnob<lb/> sie der Beamte an. „Ich habe keine Lust, mich weiter mit Ihr einzu¬<lb/> lassen. Sie weiß, wo Sie Ihren Bettel findet — marschir' Sie!"</p><lb/> <p xml:id="ID_391"> Kein Wort erwiederte die Wittwe auf diese unfreundliche Abfer¬<lb/> tigung, sondern drehte sich kurz um und entfernte sich, worauf der<lb/> Secretär, seinen schwarzen Scheitel glättend, wieder zu der angeneh¬<lb/> men Lectüre schritt, deren innerster Kern ihm doch unenthüllt blieb.</p><lb/> </div> <div n="2"> <head> 3.</head><lb/> <p xml:id="ID_392"> In der Fabrik des Herrn Masser war die regste Thätigkeit. Der<lb/> Tag neigte sich bereits zu Ende, es war ein Sonnabend. Nach ge¬<lb/> thaner Arbeit sollte der Wochenlohn ausgezahlt werden, der Fabrik¬<lb/> herr war damit beschäftigt, die Berechnung desselben, welche ihm stets<lb/> vorgelegt wurde, durchzusehen und dann die erforderlichen Summen<lb/> zu überweisen.</p><lb/> <p xml:id="ID_393" next="#ID_394"> „Lieber Baltz," sagte er, „ich finde, daß die Totale ungeheuer<lb/> steigt." — „Wir haben auch viel mehr Arbeiter und ich muß sagen,<lb/> daß sie es nicht an sich kommen lassen," war die Antwort. — „Wenig<lb/> Abzüge bemerke ich>" sagte Masser. „Sie lassen doch genaue Aufsicht</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0148]
„Sie werden verzeihen, Herr Postsecretär," sagte die Frau mit einer
halbmännlichen Stimme, „hat sich vielleicht im Postwagen ein kleines
Päckchen gefunden, ich bin unterwegs abgestiegen —" — „Ja, gegen alle
Ordnung!" unterbrach sie der Beamte. „Unterwegs soll gar Niemand
absteigen." — „Ich habe mein Passagiergeld bezahlt und den Wagen
nicht warten lassen," sagte die Frau, ohne eingeschüchtert zu sein. „Es
wird mir doch frei stehen, abzuspringen, wenn ich will." — „Oho!
Wir wollen Ihr die Grobheit legen," versetzte der Postsecretär. —
„Ich bin nicht grob, ich wollte nur anfragen wegen des Päckchens,
das mir beim Ausspringen aus der Tasche gefallen sein muß," sagte
das Weib. — „Nun, was war denn drin?" fragte der Secretär.
„Das muß ich vorher wissen." — „Zwei Kindermützen, gewebte, und
einige Papiere, auch mein Paß," antwortete sie. — „Wie heißt Sie
denn?" fragte der Secretär. — „Wittwe Greschel." — „Ja, ja,
Greschel! Ich habe schon von ihr gehört," sagte der Beamte. —
„Kann nur in allen Ehren gewesen sein," versetzte die Frau trotzig.
„Ist mein Packet hier?" — „Herr Masser hat es an sich genommen,
dort kann Sie es abholen," erwiederte der Secretär. Bei dieser Nach¬
richt erschrak die Frau und die Flügel ihrer langen Nase schwollen
zornig empor. -— „Wer hat dem meine Sachen gegeben?" rief sie
heftig. „Wie kommt der dazu?" — „Jetzt packe Sie sich!" schnob
sie der Beamte an. „Ich habe keine Lust, mich weiter mit Ihr einzu¬
lassen. Sie weiß, wo Sie Ihren Bettel findet — marschir' Sie!"
Kein Wort erwiederte die Wittwe auf diese unfreundliche Abfer¬
tigung, sondern drehte sich kurz um und entfernte sich, worauf der
Secretär, seinen schwarzen Scheitel glättend, wieder zu der angeneh¬
men Lectüre schritt, deren innerster Kern ihm doch unenthüllt blieb.
3.
In der Fabrik des Herrn Masser war die regste Thätigkeit. Der
Tag neigte sich bereits zu Ende, es war ein Sonnabend. Nach ge¬
thaner Arbeit sollte der Wochenlohn ausgezahlt werden, der Fabrik¬
herr war damit beschäftigt, die Berechnung desselben, welche ihm stets
vorgelegt wurde, durchzusehen und dann die erforderlichen Summen
zu überweisen.
„Lieber Baltz," sagte er, „ich finde, daß die Totale ungeheuer
steigt." — „Wir haben auch viel mehr Arbeiter und ich muß sagen,
daß sie es nicht an sich kommen lassen," war die Antwort. — „Wenig
Abzüge bemerke ich>" sagte Masser. „Sie lassen doch genaue Aufsicht
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