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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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glaub' ich, ein halb Dutzend Handschuh für meine Wirthschaften!:
eingewickelt. Machen Sie das Ding nur auf."

Der Postbeamte erbrach sein eignes vor Kurzem erst ausgedrücktes
Siegel und wickelte das schmuzige Papier aus einander, wobei ihm
der Fabrikant gierigen Blickes auf die Finger sah. Es kamen aber
weder Brustbonbons, noch Handschuh zum Vorschein, sondern zwei
gewirkte Kinderhändchen, niedlich genug, wenn auch nicht von der
feinsten Art.

' "El, el, Herr Masser!" sagte der Postsecretär zweideutig lächelnd,
denn der Fabrikant war ein alter Hagestolz. -- "Das ist doch mein
Packet nicht, geben Sie einmal her --" erwiederte Masser und nahm
das Packet in die Hand, um es weiter aufzuwickeln. "Hin! hin! --
wird der Grescheln gehören -- die Grescheln fuhr mit uns -- ja!
sehen Sie hier!" Er hatte einige Papiere gefunden, von denen er
eins nach flüchtiger Einsicht dem Postsecretär vorhielt. "Sehen Sie:
Johanna, verwittwete Greschel, Alter: 58 Jahr u. s. w." Rasch fal¬
tete er den Paß wieder zusammen und sagte: "Ich werde es der alten
Frau zustellen." -- "Zeigen Sie doch!" sagte der Postsecretär. "Was
enthalten denn die andern Papiere?" -- "El, wir werden doch nicht
Privatangelegenheiten untersuchen," entgegnete Masser. "Nein, nein!
Ich stecke die ganze Geschichte in die Tasche und werde sie der Alten
ungelesen wiedergeben." -- "Aber sie kommt gewiß zuerst hierher," wandte
der Secretär ein. "Ohne Paß kann sie ja in Verlegenheit kommen."
"Den braucht sie nicht mehr," erwiederte der Fabrikant. "War zum
Auswandern bestimmt, nun ist sie aber wieder hier und wird nicht
weit laufen. Necommandire mich, Herr Postsecretär." -- "Ihr Packet
ist also verloren, Herr Masser?" sagte der Beamte bedauernd. --
"Meins?" erwiederte der Fabrikant. "Ja so! Ja, meines wird ver¬
loren sein, wenn's nicht im Wagen geblieben ist. Hat übrigens nichts
zu sagen, es war mir nur um die Cigarren --" -- "Ich denke, Brust¬
bonbons und Handschuh?" versetzte der Secretär. -- "Auch! Auch!
Aber es hat nichts zu sagen," erwiederte der Fabrikant. "Guten Mor¬
gen, Verehrtester."

Hastig eilte er über den Marktplatz, wo ihn, den Reichen, den
Brodherrn vieler Stadtkinder, die Leute angelegentlich grüßten. Er
steuerte dem Thore zu, das in entgegengesetzter Richtung in das Freie,
an das Ufer eines Sees führte, dessen abströmende Gewässer das
Rädergetriebe in Masser's Fabrik bewegten. Als er die Pappelallee
erreicht hatte und den Fußsteig menschenleer sah, gönnte er sich Muße,


glaub' ich, ein halb Dutzend Handschuh für meine Wirthschaften!:
eingewickelt. Machen Sie das Ding nur auf."

Der Postbeamte erbrach sein eignes vor Kurzem erst ausgedrücktes
Siegel und wickelte das schmuzige Papier aus einander, wobei ihm
der Fabrikant gierigen Blickes auf die Finger sah. Es kamen aber
weder Brustbonbons, noch Handschuh zum Vorschein, sondern zwei
gewirkte Kinderhändchen, niedlich genug, wenn auch nicht von der
feinsten Art.

' „El, el, Herr Masser!" sagte der Postsecretär zweideutig lächelnd,
denn der Fabrikant war ein alter Hagestolz. — „Das ist doch mein
Packet nicht, geben Sie einmal her —" erwiederte Masser und nahm
das Packet in die Hand, um es weiter aufzuwickeln. „Hin! hin! —
wird der Grescheln gehören — die Grescheln fuhr mit uns — ja!
sehen Sie hier!" Er hatte einige Papiere gefunden, von denen er
eins nach flüchtiger Einsicht dem Postsecretär vorhielt. „Sehen Sie:
Johanna, verwittwete Greschel, Alter: 58 Jahr u. s. w." Rasch fal¬
tete er den Paß wieder zusammen und sagte: „Ich werde es der alten
Frau zustellen." — „Zeigen Sie doch!" sagte der Postsecretär. „Was
enthalten denn die andern Papiere?" — „El, wir werden doch nicht
Privatangelegenheiten untersuchen," entgegnete Masser. „Nein, nein!
Ich stecke die ganze Geschichte in die Tasche und werde sie der Alten
ungelesen wiedergeben." — „Aber sie kommt gewiß zuerst hierher," wandte
der Secretär ein. „Ohne Paß kann sie ja in Verlegenheit kommen."
„Den braucht sie nicht mehr," erwiederte der Fabrikant. „War zum
Auswandern bestimmt, nun ist sie aber wieder hier und wird nicht
weit laufen. Necommandire mich, Herr Postsecretär." — „Ihr Packet
ist also verloren, Herr Masser?" sagte der Beamte bedauernd. —
„Meins?" erwiederte der Fabrikant. „Ja so! Ja, meines wird ver¬
loren sein, wenn's nicht im Wagen geblieben ist. Hat übrigens nichts
zu sagen, es war mir nur um die Cigarren —" — „Ich denke, Brust¬
bonbons und Handschuh?" versetzte der Secretär. — „Auch! Auch!
Aber es hat nichts zu sagen," erwiederte der Fabrikant. „Guten Mor¬
gen, Verehrtester."

Hastig eilte er über den Marktplatz, wo ihn, den Reichen, den
Brodherrn vieler Stadtkinder, die Leute angelegentlich grüßten. Er
steuerte dem Thore zu, das in entgegengesetzter Richtung in das Freie,
an das Ufer eines Sees führte, dessen abströmende Gewässer das
Rädergetriebe in Masser's Fabrik bewegten. Als er die Pappelallee
erreicht hatte und den Fußsteig menschenleer sah, gönnte er sich Muße,


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[0146] glaub' ich, ein halb Dutzend Handschuh für meine Wirthschaften!: eingewickelt. Machen Sie das Ding nur auf." Der Postbeamte erbrach sein eignes vor Kurzem erst ausgedrücktes Siegel und wickelte das schmuzige Papier aus einander, wobei ihm der Fabrikant gierigen Blickes auf die Finger sah. Es kamen aber weder Brustbonbons, noch Handschuh zum Vorschein, sondern zwei gewirkte Kinderhändchen, niedlich genug, wenn auch nicht von der feinsten Art. ' „El, el, Herr Masser!" sagte der Postsecretär zweideutig lächelnd, denn der Fabrikant war ein alter Hagestolz. — „Das ist doch mein Packet nicht, geben Sie einmal her —" erwiederte Masser und nahm das Packet in die Hand, um es weiter aufzuwickeln. „Hin! hin! — wird der Grescheln gehören — die Grescheln fuhr mit uns — ja! sehen Sie hier!" Er hatte einige Papiere gefunden, von denen er eins nach flüchtiger Einsicht dem Postsecretär vorhielt. „Sehen Sie: Johanna, verwittwete Greschel, Alter: 58 Jahr u. s. w." Rasch fal¬ tete er den Paß wieder zusammen und sagte: „Ich werde es der alten Frau zustellen." — „Zeigen Sie doch!" sagte der Postsecretär. „Was enthalten denn die andern Papiere?" — „El, wir werden doch nicht Privatangelegenheiten untersuchen," entgegnete Masser. „Nein, nein! Ich stecke die ganze Geschichte in die Tasche und werde sie der Alten ungelesen wiedergeben." — „Aber sie kommt gewiß zuerst hierher," wandte der Secretär ein. „Ohne Paß kann sie ja in Verlegenheit kommen." „Den braucht sie nicht mehr," erwiederte der Fabrikant. „War zum Auswandern bestimmt, nun ist sie aber wieder hier und wird nicht weit laufen. Necommandire mich, Herr Postsecretär." — „Ihr Packet ist also verloren, Herr Masser?" sagte der Beamte bedauernd. — „Meins?" erwiederte der Fabrikant. „Ja so! Ja, meines wird ver¬ loren sein, wenn's nicht im Wagen geblieben ist. Hat übrigens nichts zu sagen, es war mir nur um die Cigarren —" — „Ich denke, Brust¬ bonbons und Handschuh?" versetzte der Secretär. — „Auch! Auch! Aber es hat nichts zu sagen," erwiederte der Fabrikant. „Guten Mor¬ gen, Verehrtester." Hastig eilte er über den Marktplatz, wo ihn, den Reichen, den Brodherrn vieler Stadtkinder, die Leute angelegentlich grüßten. Er steuerte dem Thore zu, das in entgegengesetzter Richtung in das Freie, an das Ufer eines Sees führte, dessen abströmende Gewässer das Rädergetriebe in Masser's Fabrik bewegten. Als er die Pappelallee erreicht hatte und den Fußsteig menschenleer sah, gönnte er sich Muße,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/146>, abgerufen am 24.11.2024.