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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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dem forschenden Geistlichen die bedenklichsten Zeichen erschienen. Jung
war der Mann und dennoch hatte er eine gefurchte Stirn und eine
bleiche, keineswegs füllreiche Wange; statt des heitern Blickes, der
seinen Jahren zukommt und jeder Sorge Trotz bietet -- der Pastor
dachte an seine eigene brodlose Kandidatenzeit, wo er dennoch "fideler"
gewesen, als jetzt -- statt dieses heitern Blickes hatte das Auge des jun¬
gen Mannes einen so ernsten, beinahe strengen Ausdruck! Keine Frage,
das war einer von den Wölfen unsrer Zeit, welche den Pferch der guten
Heerde einreisten und die Lämmlein fortschleppen, Stück für Stück!
Vielleicht gar einer der fahrenden Reformatoren. --

Ob die junge neugierige Pfarrerstochter gleiche Besorgnisse vor
ihrem Nachbar hegte, war zweifelhaft. Sie hatte ihm schon ein Paar
hurtige Seitenblicke geschenkt, sich gradeaus gesetzt, gleichsam in Positur,
um die Anrede, die sie von einem "galanten" Nachbar erwartete, in
Empfang zu nehmen; da er aber schwieg, ließ sie ihr Auge weiter for^
sehen. Neben dem Vater saß, mit den Händen in seines Paletots
geräumigen Taschen, ein Mann des Besitzes, ein reicher Fabrikherr,
den sie kannte; sein dickes, rothes Gesicht auf dem kurzen Halse bot
ihr wenig Interesse. Drüben in der Ecke bemerkte sie noch ein ärmlich
gekleidetes Weib, das ihr großes, grobes Tuch über den Kopf gezo¬
gen hatte, so daß von ihrem Gesichte nichts zu sehen war, als eine
vogelartig gekrümmte Nase.

Der Pfarrer knüpfte mit dem Fabrikanten ein Gespräch an und
dieser klagte über die schlechten Conjunctnren: "Man muß Spott¬
preise stellen! Und das Material ist so theuer --- der Arbeitslohn dito"

-- "Und die Arbeiter sind undankbar, nicht wahr?" sagte der Fremde,
welcher ihm gegenüber saß mit einem fremdartigen Accent, der unter
der glattrollenden Mundart der Einheimischen hart und scharf klang.

-- "Hin! Bei mir hat's noch keinen Skandal gegeben," antwortete
der Fabrikant. -- "Kann aber noch kommen, Herr Masser!" entgeg-
nete die Frau in der Ecke, indem sie ihr großes Tuch vom Kopfe
zurück schob. Der Fabrikant sah sie mit augenscheinlicher Betroffen¬
heit an. -- "Sie kennen mich wohl gar nicht mehr?" fragte das
Weib, indem sie sich zu ihm herüber bog. -- "Was Geier! Frau
Greschel! Ja, ich sehe sehr schlecht -- kaum auf drei Schritt erkenne
ich die Menschen," sagte der Fabrikant, und nahm sich zusammen.
"Wo kommt Sie denn her? Ich denke, Sie ist über alle Berge mit
Ihrem ganzen Kram? Sie hielt sich so stille die ganze Nacht, wie
eine Maus -- el seh' Sie mal! War's nichts mit Amerika?" --


dem forschenden Geistlichen die bedenklichsten Zeichen erschienen. Jung
war der Mann und dennoch hatte er eine gefurchte Stirn und eine
bleiche, keineswegs füllreiche Wange; statt des heitern Blickes, der
seinen Jahren zukommt und jeder Sorge Trotz bietet — der Pastor
dachte an seine eigene brodlose Kandidatenzeit, wo er dennoch „fideler"
gewesen, als jetzt — statt dieses heitern Blickes hatte das Auge des jun¬
gen Mannes einen so ernsten, beinahe strengen Ausdruck! Keine Frage,
das war einer von den Wölfen unsrer Zeit, welche den Pferch der guten
Heerde einreisten und die Lämmlein fortschleppen, Stück für Stück!
Vielleicht gar einer der fahrenden Reformatoren. —

Ob die junge neugierige Pfarrerstochter gleiche Besorgnisse vor
ihrem Nachbar hegte, war zweifelhaft. Sie hatte ihm schon ein Paar
hurtige Seitenblicke geschenkt, sich gradeaus gesetzt, gleichsam in Positur,
um die Anrede, die sie von einem „galanten" Nachbar erwartete, in
Empfang zu nehmen; da er aber schwieg, ließ sie ihr Auge weiter for^
sehen. Neben dem Vater saß, mit den Händen in seines Paletots
geräumigen Taschen, ein Mann des Besitzes, ein reicher Fabrikherr,
den sie kannte; sein dickes, rothes Gesicht auf dem kurzen Halse bot
ihr wenig Interesse. Drüben in der Ecke bemerkte sie noch ein ärmlich
gekleidetes Weib, das ihr großes, grobes Tuch über den Kopf gezo¬
gen hatte, so daß von ihrem Gesichte nichts zu sehen war, als eine
vogelartig gekrümmte Nase.

Der Pfarrer knüpfte mit dem Fabrikanten ein Gespräch an und
dieser klagte über die schlechten Conjunctnren: „Man muß Spott¬
preise stellen! Und das Material ist so theuer —- der Arbeitslohn dito"

— „Und die Arbeiter sind undankbar, nicht wahr?" sagte der Fremde,
welcher ihm gegenüber saß mit einem fremdartigen Accent, der unter
der glattrollenden Mundart der Einheimischen hart und scharf klang.

— „Hin! Bei mir hat's noch keinen Skandal gegeben," antwortete
der Fabrikant. — „Kann aber noch kommen, Herr Masser!" entgeg-
nete die Frau in der Ecke, indem sie ihr großes Tuch vom Kopfe
zurück schob. Der Fabrikant sah sie mit augenscheinlicher Betroffen¬
heit an. — „Sie kennen mich wohl gar nicht mehr?" fragte das
Weib, indem sie sich zu ihm herüber bog. — „Was Geier! Frau
Greschel! Ja, ich sehe sehr schlecht — kaum auf drei Schritt erkenne
ich die Menschen," sagte der Fabrikant, und nahm sich zusammen.
„Wo kommt Sie denn her? Ich denke, Sie ist über alle Berge mit
Ihrem ganzen Kram? Sie hielt sich so stille die ganze Nacht, wie
eine Maus -- el seh' Sie mal! War's nichts mit Amerika?" —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/142>, abgerufen am 23.07.2024.