Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.wenn auf dem Perron der Oberschles. Eisenbahn sechs Corresponden- wenn auf dem Perron der Oberschles. Eisenbahn sechs Corresponden- <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0134" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/182557"/> <p xml:id="ID_344" prev="#ID_343" next="#ID_345"> wenn auf dem Perron der Oberschles. Eisenbahn sechs Corresponden-<lb/> ten sechs deutscher Blatter einen polnischen Juden umstanden und<lb/> eifrig hörten, was der Sohn aus Israel meldete, trat der Inspector<lb/> Giese dazwischen und gebot dem gelockten <ÜI-u»ol- publiLO Still¬<lb/> schweigen. Nicht wahr, das ist doch eine systematische Censur! Das<lb/> heißt doch auf offener Straße einem has lebendige Wort vom Munde<lb/> wegschneiden. Man mußte übrigens wissen, was die Polizei wußte,<lb/> um diese Prävention zu begreifen. Und die Polizei wußte, daß an<lb/> einem schönen Abende unser friedliebendes Breslau revoltiren werde.<lb/> Schrecklich, entsetzlich! Die ganze Polizeimannschaft war wahrend der<lb/> Nacht bei ihrem Chef versammelt und horchte in die nächtlich-stille<lb/> Stadt hinein aufdas Zeichen des Alarms. Diese Nacht kostet der Staats¬<lb/> kasse einige sechszig Tassen schwarzen Kaffees. Es kamen überhaupt<lb/> wahrend dieser Zeit Dinge vor, die> waren sie nicht so traurig, die Auf¬<lb/> nahme in das Büchlein: „Du sollst und mußt lachen" verdienen.<lb/> Wehe dem Reisenden, dessen Physiognomie an den polnischen Typus<lb/> erinnerte. Eine polnische Mütze und ein Bart war fast ein Verbre¬<lb/> chen, das vorläufig mit Verationen aller Art bestraft wurde. Ich sah<lb/> einen galizischen Edelmann, der, aus Dresden hier angekommen, we¬<lb/> gen seiner viereckigen Mütze, der sogenannten Nogatka, festgehalten<lb/> wurde, wie er im Zorn und Unmuthe seine Mütze mit Faustschlaqen<lb/> tractirte. „Was life mirr Paß, da ich dich hab", sagte er. Ueberall<lb/> hört man von Arrestationen polnischer Insurgenten. Vor einigen<lb/> Tagen brachte man einen der Leiter des Aufstandes hier ein. Er war<lb/> in Magdeburg aufgehoben worden, weil er 36 Stunden hintereinan¬<lb/> der geschlafen hatte. Jetzt sitzt Mesarsky — so heißt der Gefangene<lb/> — hinter den Gitterfenstern unserer „Mater dolorosa" und träumt in<lb/> fieberhaften Traumen von der hanfenen Geliebten in Rußland, die<lb/> ihre Arme bald um seinen jungen Nacken schlingen wird. Was hilft<lb/> nun unserer Polizei wohl solche Brautwerberschaft? Ich höre, daß die<lb/> angesehensten Personen Breslau's, der Oberbürgermeister, der Fürst¬<lb/> bischof :c. in Jmmcdiat-Eingaben sich für die Polen, welchen Aus¬<lb/> lieferung an Rußland bevorsteht, verwenden wollen. Gabe Gott, daß<lb/> sie das Herz des Königs rühren! — Trotzdem daß Breslau derma¬<lb/> len auf der Oberfläche recht ruhig aussieht, gährt's doch im Innern<lb/> gewaltig. Ich meine natürlich nicht jene Gährung, die auf bedeu¬<lb/> tende Ereignisse hinweist, sondern eine Bewegung und Rührigkeit der<lb/> Geister in den verschiedenen Lagern der Religion und Politik. Leider<lb/> muß ich hier die Religion zuerst nennen; sie ist noch immer die be¬<lb/> vorzugte Tochter, der die Politik die Schleppe nachtrage. Es scheint<lb/> aber, als wenn sich das bald andern wird. Die lichtsreundliche Par¬<lb/> tei mit dem Senior Krause an der Spitze, hat sich um allen Credit<lb/> operirt, oder vielmehr nicht operirt; denn jedes ministerielle Schrei¬<lb/> ben machte sie muthlofer und unthätiger, so daß ihr Name beinahe<lb/> zum Spottnamen geworden ist. Die vorzugsweise politische Par-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0134]
wenn auf dem Perron der Oberschles. Eisenbahn sechs Corresponden-
ten sechs deutscher Blatter einen polnischen Juden umstanden und
eifrig hörten, was der Sohn aus Israel meldete, trat der Inspector
Giese dazwischen und gebot dem gelockten <ÜI-u»ol- publiLO Still¬
schweigen. Nicht wahr, das ist doch eine systematische Censur! Das
heißt doch auf offener Straße einem has lebendige Wort vom Munde
wegschneiden. Man mußte übrigens wissen, was die Polizei wußte,
um diese Prävention zu begreifen. Und die Polizei wußte, daß an
einem schönen Abende unser friedliebendes Breslau revoltiren werde.
Schrecklich, entsetzlich! Die ganze Polizeimannschaft war wahrend der
Nacht bei ihrem Chef versammelt und horchte in die nächtlich-stille
Stadt hinein aufdas Zeichen des Alarms. Diese Nacht kostet der Staats¬
kasse einige sechszig Tassen schwarzen Kaffees. Es kamen überhaupt
wahrend dieser Zeit Dinge vor, die> waren sie nicht so traurig, die Auf¬
nahme in das Büchlein: „Du sollst und mußt lachen" verdienen.
Wehe dem Reisenden, dessen Physiognomie an den polnischen Typus
erinnerte. Eine polnische Mütze und ein Bart war fast ein Verbre¬
chen, das vorläufig mit Verationen aller Art bestraft wurde. Ich sah
einen galizischen Edelmann, der, aus Dresden hier angekommen, we¬
gen seiner viereckigen Mütze, der sogenannten Nogatka, festgehalten
wurde, wie er im Zorn und Unmuthe seine Mütze mit Faustschlaqen
tractirte. „Was life mirr Paß, da ich dich hab", sagte er. Ueberall
hört man von Arrestationen polnischer Insurgenten. Vor einigen
Tagen brachte man einen der Leiter des Aufstandes hier ein. Er war
in Magdeburg aufgehoben worden, weil er 36 Stunden hintereinan¬
der geschlafen hatte. Jetzt sitzt Mesarsky — so heißt der Gefangene
— hinter den Gitterfenstern unserer „Mater dolorosa" und träumt in
fieberhaften Traumen von der hanfenen Geliebten in Rußland, die
ihre Arme bald um seinen jungen Nacken schlingen wird. Was hilft
nun unserer Polizei wohl solche Brautwerberschaft? Ich höre, daß die
angesehensten Personen Breslau's, der Oberbürgermeister, der Fürst¬
bischof :c. in Jmmcdiat-Eingaben sich für die Polen, welchen Aus¬
lieferung an Rußland bevorsteht, verwenden wollen. Gabe Gott, daß
sie das Herz des Königs rühren! — Trotzdem daß Breslau derma¬
len auf der Oberfläche recht ruhig aussieht, gährt's doch im Innern
gewaltig. Ich meine natürlich nicht jene Gährung, die auf bedeu¬
tende Ereignisse hinweist, sondern eine Bewegung und Rührigkeit der
Geister in den verschiedenen Lagern der Religion und Politik. Leider
muß ich hier die Religion zuerst nennen; sie ist noch immer die be¬
vorzugte Tochter, der die Politik die Schleppe nachtrage. Es scheint
aber, als wenn sich das bald andern wird. Die lichtsreundliche Par¬
tei mit dem Senior Krause an der Spitze, hat sich um allen Credit
operirt, oder vielmehr nicht operirt; denn jedes ministerielle Schrei¬
ben machte sie muthlofer und unthätiger, so daß ihr Name beinahe
zum Spottnamen geworden ist. Die vorzugsweise politische Par-
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