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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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in der Emigration sich befinden. Zu solchen Behauptungen führt
freilich die Thesis: Polen sei schon lange gestorben gewesen, ehe es
getheilt wurde! Aber eine Nation von zwanzig Millionen Seelen
stirbt nicht, und noch viel weniger eine Nation mit solcher Geschichte
und mit solchem unverlöschlichem Nationalgefühl, sie stirbt ebenso
wenig als Deutschland gestorben ist trotz seiner Zersplitterung und
trotz seines lang erlittenen Druckes. Gerade der Leichtsinn, die toll¬
kühne Wuth des so eben versuchten Aufstandes ist ein neuer Beweis,
wie unauslöschlich dieses Nationalgefühl, das man mit dem Worte
Pvlcnthum abzuthun glaubt, in den unbeugsamen Sarmatenherzen glüht.
Freilich sagt man, es sei blos eine Adelsverschwörung gewesen, der
Bauer blieb treu. Aber in Posen, wo zwischen Adel und Bauer be¬
reits ein Mittelstand sich herangebildet hat, ist dieser zum Theil mit-
compromittirt und liegt der Beweis dort auf der Hand, daß es nicht
blos eine Satrapen-, sondern eine Nationalverschwörung war. Oester¬
reich kann sich nicht verhehlen, daß mit der Gesammtbildung auch
das Gefühl der Nationalität wachst, es hat dieses in Böhmen und
in Ungarn aus Erfahrung kennen gelernt. Auch Magyaren- und
Czechenthum waren lange Zeit eingeschlafen und erhoben sich dennoch
wieder, freilich in friedlicher Art, weil hier die Stellung, die Ten¬
denz und die Geschichte eine ganz andere ist.

Wir glauben, wer es mit Oesterreich und Preußen ehrlich meint,
der sollte nicht aufhören, es daran zu erinnern, daß in Galizien und
Posen zwei der verwundbarsten Seiten ihres Staatslebens liegen, die
der Schonung und der sorgsamsten Pflege bedürfen. Und die Aufl
gäbe Oesterreichs ist dabei gewissermaßen noch leichter als die Preu¬
ßens. Letzterer als ein durchaus deutscher Staat ist feiner Stellung gemäß
mehr zur Centralisation getrieben, wahrend Oesterreich jede Nationa¬
lität in ihrem Recht schützen kann. Aber auch Preußen sollte jener
altpreußischen Politik, die zur Gcrmanisntion i>, lo"t "rix in Posen
räth, das Ohr verschließen. Das neunzehnte Jahrhundert ist nicht
mehr die Zeit gewaltsamer Nationalzerstörung. Diese Barbarei mag
Rußland ganz allein heimfallen tyrd furchtbar wird sie einst an ihm
sich rächen. Die Aufgabe deutscher Fürsten ist eine andere als die
moskowitischer Czaaren, deutsche Bildung ein besseres Eroberungs¬
mittel als russische Kunden. Wir glauben die Ausgabe deutscher Politik
weit entfernt in der Begrabung des Polenthums zu liegen, liegt vielmehr
in einer sorgsamen mit deutschen Elementen vermischten Ausbildung dessel¬
ben. Wenn Preußen und Oesterreich erst den polnischen Bauern das Be¬
wußtsein eines gesicherten Rechtszustandes und freien Eigenthums ein¬
geimpft, wenn im polnischen Mittelstande deutscher Gewerbfleiß und
Ordnungssinn sich eingewurzelt, wenn die beiden Hauptfactoren eines
jeden Staates, Bürger und Bauer, nach deutscher Weise -- wenn
auch in po lui sah er Landessprache -- sich herangebildet, dann kann man


in der Emigration sich befinden. Zu solchen Behauptungen führt
freilich die Thesis: Polen sei schon lange gestorben gewesen, ehe es
getheilt wurde! Aber eine Nation von zwanzig Millionen Seelen
stirbt nicht, und noch viel weniger eine Nation mit solcher Geschichte
und mit solchem unverlöschlichem Nationalgefühl, sie stirbt ebenso
wenig als Deutschland gestorben ist trotz seiner Zersplitterung und
trotz seines lang erlittenen Druckes. Gerade der Leichtsinn, die toll¬
kühne Wuth des so eben versuchten Aufstandes ist ein neuer Beweis,
wie unauslöschlich dieses Nationalgefühl, das man mit dem Worte
Pvlcnthum abzuthun glaubt, in den unbeugsamen Sarmatenherzen glüht.
Freilich sagt man, es sei blos eine Adelsverschwörung gewesen, der
Bauer blieb treu. Aber in Posen, wo zwischen Adel und Bauer be¬
reits ein Mittelstand sich herangebildet hat, ist dieser zum Theil mit-
compromittirt und liegt der Beweis dort auf der Hand, daß es nicht
blos eine Satrapen-, sondern eine Nationalverschwörung war. Oester¬
reich kann sich nicht verhehlen, daß mit der Gesammtbildung auch
das Gefühl der Nationalität wachst, es hat dieses in Böhmen und
in Ungarn aus Erfahrung kennen gelernt. Auch Magyaren- und
Czechenthum waren lange Zeit eingeschlafen und erhoben sich dennoch
wieder, freilich in friedlicher Art, weil hier die Stellung, die Ten¬
denz und die Geschichte eine ganz andere ist.

Wir glauben, wer es mit Oesterreich und Preußen ehrlich meint,
der sollte nicht aufhören, es daran zu erinnern, daß in Galizien und
Posen zwei der verwundbarsten Seiten ihres Staatslebens liegen, die
der Schonung und der sorgsamsten Pflege bedürfen. Und die Aufl
gäbe Oesterreichs ist dabei gewissermaßen noch leichter als die Preu¬
ßens. Letzterer als ein durchaus deutscher Staat ist feiner Stellung gemäß
mehr zur Centralisation getrieben, wahrend Oesterreich jede Nationa¬
lität in ihrem Recht schützen kann. Aber auch Preußen sollte jener
altpreußischen Politik, die zur Gcrmanisntion i>, lo»t »rix in Posen
räth, das Ohr verschließen. Das neunzehnte Jahrhundert ist nicht
mehr die Zeit gewaltsamer Nationalzerstörung. Diese Barbarei mag
Rußland ganz allein heimfallen tyrd furchtbar wird sie einst an ihm
sich rächen. Die Aufgabe deutscher Fürsten ist eine andere als die
moskowitischer Czaaren, deutsche Bildung ein besseres Eroberungs¬
mittel als russische Kunden. Wir glauben die Ausgabe deutscher Politik
weit entfernt in der Begrabung des Polenthums zu liegen, liegt vielmehr
in einer sorgsamen mit deutschen Elementen vermischten Ausbildung dessel¬
ben. Wenn Preußen und Oesterreich erst den polnischen Bauern das Be¬
wußtsein eines gesicherten Rechtszustandes und freien Eigenthums ein¬
geimpft, wenn im polnischen Mittelstande deutscher Gewerbfleiß und
Ordnungssinn sich eingewurzelt, wenn die beiden Hauptfactoren eines
jeden Staates, Bürger und Bauer, nach deutscher Weise — wenn
auch in po lui sah er Landessprache — sich herangebildet, dann kann man


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[0129] in der Emigration sich befinden. Zu solchen Behauptungen führt freilich die Thesis: Polen sei schon lange gestorben gewesen, ehe es getheilt wurde! Aber eine Nation von zwanzig Millionen Seelen stirbt nicht, und noch viel weniger eine Nation mit solcher Geschichte und mit solchem unverlöschlichem Nationalgefühl, sie stirbt ebenso wenig als Deutschland gestorben ist trotz seiner Zersplitterung und trotz seines lang erlittenen Druckes. Gerade der Leichtsinn, die toll¬ kühne Wuth des so eben versuchten Aufstandes ist ein neuer Beweis, wie unauslöschlich dieses Nationalgefühl, das man mit dem Worte Pvlcnthum abzuthun glaubt, in den unbeugsamen Sarmatenherzen glüht. Freilich sagt man, es sei blos eine Adelsverschwörung gewesen, der Bauer blieb treu. Aber in Posen, wo zwischen Adel und Bauer be¬ reits ein Mittelstand sich herangebildet hat, ist dieser zum Theil mit- compromittirt und liegt der Beweis dort auf der Hand, daß es nicht blos eine Satrapen-, sondern eine Nationalverschwörung war. Oester¬ reich kann sich nicht verhehlen, daß mit der Gesammtbildung auch das Gefühl der Nationalität wachst, es hat dieses in Böhmen und in Ungarn aus Erfahrung kennen gelernt. Auch Magyaren- und Czechenthum waren lange Zeit eingeschlafen und erhoben sich dennoch wieder, freilich in friedlicher Art, weil hier die Stellung, die Ten¬ denz und die Geschichte eine ganz andere ist. Wir glauben, wer es mit Oesterreich und Preußen ehrlich meint, der sollte nicht aufhören, es daran zu erinnern, daß in Galizien und Posen zwei der verwundbarsten Seiten ihres Staatslebens liegen, die der Schonung und der sorgsamsten Pflege bedürfen. Und die Aufl gäbe Oesterreichs ist dabei gewissermaßen noch leichter als die Preu¬ ßens. Letzterer als ein durchaus deutscher Staat ist feiner Stellung gemäß mehr zur Centralisation getrieben, wahrend Oesterreich jede Nationa¬ lität in ihrem Recht schützen kann. Aber auch Preußen sollte jener altpreußischen Politik, die zur Gcrmanisntion i>, lo»t »rix in Posen räth, das Ohr verschließen. Das neunzehnte Jahrhundert ist nicht mehr die Zeit gewaltsamer Nationalzerstörung. Diese Barbarei mag Rußland ganz allein heimfallen tyrd furchtbar wird sie einst an ihm sich rächen. Die Aufgabe deutscher Fürsten ist eine andere als die moskowitischer Czaaren, deutsche Bildung ein besseres Eroberungs¬ mittel als russische Kunden. Wir glauben die Ausgabe deutscher Politik weit entfernt in der Begrabung des Polenthums zu liegen, liegt vielmehr in einer sorgsamen mit deutschen Elementen vermischten Ausbildung dessel¬ ben. Wenn Preußen und Oesterreich erst den polnischen Bauern das Be¬ wußtsein eines gesicherten Rechtszustandes und freien Eigenthums ein¬ geimpft, wenn im polnischen Mittelstande deutscher Gewerbfleiß und Ordnungssinn sich eingewurzelt, wenn die beiden Hauptfactoren eines jeden Staates, Bürger und Bauer, nach deutscher Weise — wenn auch in po lui sah er Landessprache — sich herangebildet, dann kann man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/129>, abgerufen am 23.07.2024.