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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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mia" der man gerade diese Uneinigkeit zum Verbrechen macht. *)
Was nun den Druck betrifft, den die polnischen Edelleute ausübten,
so wäre es besser, unsere nationalen schwiegen davon und riefen nicht
die alten Gespenster unserer noch nicht ganz verwesten Geschichte der
letzten Jahrhunderte der Welt in's Gedächtniß. Lagen wir denn etwa
auf Rosen zu jener Zeit? Der Reichstag war ein Puppenspiel, die
Reichskammer eine Parodie, die Reichsarmee ein Spottwort ge¬
worden. Und wie saugten sich die Igel voll an dem ohnehin erschlaff¬
ten Mark des Volkes. Je kleiner sie waren, je gieriger sogen sie.
Wo ist der polnische Edelmann, der schlimmer gehaust als jener wür-
tenbergische Karl Eugen, der den allerärmsten Mann des Landes be¬
steuerte, und die Reichen durch Kerker zur Bezahlung derer maßlosesten
Brandschatzung zwang/ der mit bewaffneter Macht den Leuten seine
schändlichen Lotterieloose aufdrang, der die Aemter vertausendfachte, um
sie zu verkaufen, die Kirchengüter plünderte, die Töchter seiner Rathe
auf den Bällen gewaltsam entehrte, der Hunderte von Mädchen für
seine Lüste requirirte, der Prälaten berauschte, um sie mit der un¬
züchtigsten und fürchterlichsten Krankheit anstecken zu lassen und der
fu n fz i g Jahre regierte, bis 1794, bis zwanzig Jahre später noch nachdem
jenes Polen zur Strafe für den Mißbrauch, den seine Edelleute trieben, ge¬
theilt worden war. Nur deshalb hebe ich den einen hervor unter den
Hunderten und laufenden seiner Genossen, die im vorigen Jahrhundert
mehr als polnische Wirthschaft in deutschen Ländern trieben. Jener starke
sächsische August, der 3ü2 Kinder mit Maitressen aus allen Himmels¬
strichen erzeugte, von der eine einzige ihm zwanzig Millionen Thaler
kostete, der sein aufgehängtes Land in ein Theater umschuf, der die



Oesterreich und Preußen, die durch den ungeheuren Anwachst der russi¬
schen Macht zunächst bedroht waren, erkannten sehr wohl die Gefahr, welche
ihnen die Einmischung Katharina's i" die polnische Angelegenheit bringen
Zonnte. Friedrich II. und Joseph hielten in Neisse und ein Jahr später in
Mährisch-Neustadt (1770) zwei merkwürdige Zusammenkünfte, wo der Ver¬
such gemacht wurde, endlich eine einmüthige deutsche Politik zu bilden und
Polen zu schützen. "Die Schuld, daß man nicht übereinkam" -- sagt der
Preuße Wolfgang Menzel -- "lag an Friedrich" -- "Oesterreich hatte be¬
reits dem König von Polen die Hand einer Erzherzogin und der überwiegen¬
den katholischen Partei im polnischen Adel seine Hilfe angetragen. Hätte
sich nun Preußen zur Rettung Polens an Oesterreich angeschlossen, so hätte
es zwar den russischen Einfluß geschwächt, aber desto mehr den österreichischen
verstärkt und selbst nichts gewonnen. Aus diesem Grunde glaubte Friedrich
die Russen schonen, sich der Russen sogar gegen Oesterreich bedienen zu müssen.
Sein Bruder Heinrich, den er nach Petersburg schickte, handelte in diesem
Sinn. Nun hielten die Oesterreicher einen Kriegsrath, in welchem die Frage,
ob sie es wagen dürfen, Rußland den Krieg zu erklären, wenn Preußen nicht
auf ihrer, sondern wohl gar auf russischer Seite stünde? verneinend entschie¬
den wurde (1771). Von diesem Augenblicke war die Theilung Polens ent¬
schieden,"

mia" der man gerade diese Uneinigkeit zum Verbrechen macht. *)
Was nun den Druck betrifft, den die polnischen Edelleute ausübten,
so wäre es besser, unsere nationalen schwiegen davon und riefen nicht
die alten Gespenster unserer noch nicht ganz verwesten Geschichte der
letzten Jahrhunderte der Welt in's Gedächtniß. Lagen wir denn etwa
auf Rosen zu jener Zeit? Der Reichstag war ein Puppenspiel, die
Reichskammer eine Parodie, die Reichsarmee ein Spottwort ge¬
worden. Und wie saugten sich die Igel voll an dem ohnehin erschlaff¬
ten Mark des Volkes. Je kleiner sie waren, je gieriger sogen sie.
Wo ist der polnische Edelmann, der schlimmer gehaust als jener wür-
tenbergische Karl Eugen, der den allerärmsten Mann des Landes be¬
steuerte, und die Reichen durch Kerker zur Bezahlung derer maßlosesten
Brandschatzung zwang/ der mit bewaffneter Macht den Leuten seine
schändlichen Lotterieloose aufdrang, der die Aemter vertausendfachte, um
sie zu verkaufen, die Kirchengüter plünderte, die Töchter seiner Rathe
auf den Bällen gewaltsam entehrte, der Hunderte von Mädchen für
seine Lüste requirirte, der Prälaten berauschte, um sie mit der un¬
züchtigsten und fürchterlichsten Krankheit anstecken zu lassen und der
fu n fz i g Jahre regierte, bis 1794, bis zwanzig Jahre später noch nachdem
jenes Polen zur Strafe für den Mißbrauch, den seine Edelleute trieben, ge¬
theilt worden war. Nur deshalb hebe ich den einen hervor unter den
Hunderten und laufenden seiner Genossen, die im vorigen Jahrhundert
mehr als polnische Wirthschaft in deutschen Ländern trieben. Jener starke
sächsische August, der 3ü2 Kinder mit Maitressen aus allen Himmels¬
strichen erzeugte, von der eine einzige ihm zwanzig Millionen Thaler
kostete, der sein aufgehängtes Land in ein Theater umschuf, der die



Oesterreich und Preußen, die durch den ungeheuren Anwachst der russi¬
schen Macht zunächst bedroht waren, erkannten sehr wohl die Gefahr, welche
ihnen die Einmischung Katharina's i» die polnische Angelegenheit bringen
Zonnte. Friedrich II. und Joseph hielten in Neisse und ein Jahr später in
Mährisch-Neustadt (1770) zwei merkwürdige Zusammenkünfte, wo der Ver¬
such gemacht wurde, endlich eine einmüthige deutsche Politik zu bilden und
Polen zu schützen. „Die Schuld, daß man nicht übereinkam" — sagt der
Preuße Wolfgang Menzel — „lag an Friedrich" — „Oesterreich hatte be¬
reits dem König von Polen die Hand einer Erzherzogin und der überwiegen¬
den katholischen Partei im polnischen Adel seine Hilfe angetragen. Hätte
sich nun Preußen zur Rettung Polens an Oesterreich angeschlossen, so hätte
es zwar den russischen Einfluß geschwächt, aber desto mehr den österreichischen
verstärkt und selbst nichts gewonnen. Aus diesem Grunde glaubte Friedrich
die Russen schonen, sich der Russen sogar gegen Oesterreich bedienen zu müssen.
Sein Bruder Heinrich, den er nach Petersburg schickte, handelte in diesem
Sinn. Nun hielten die Oesterreicher einen Kriegsrath, in welchem die Frage,
ob sie es wagen dürfen, Rußland den Krieg zu erklären, wenn Preußen nicht
auf ihrer, sondern wohl gar auf russischer Seite stünde? verneinend entschie¬
den wurde (1771). Von diesem Augenblicke war die Theilung Polens ent¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/126>, abgerufen am 23.07.2024.