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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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ihr Ton weniger schneidend, ihr Siegsgeschrci weniger frohlockend wäre,
wenn in ihren eigenen Worten schon die Milde sich abspiegeln würde,
die Deutschland, die Europa, die die ganze Humanität jetzt von den
Monarchen erwartet, in deren Hand die schönste aller Prärogativen!
das Gnadenrecht, liegt!

So viel im Allgemeinen. Im Besondern müssen wir unsern Wi¬
derspruch gegen zwei Punkte des vorstehenden Aufsatzes richten und
zwar im Namen der Vergangenheit wie im Namen der Zukunft.

Im Namen der Vergangenheit und der geschichtlichen Wahrheit
müssen wir den Satz: "Polen sei schon vor seiner Theilung an in¬
nerer Auflösung verschieden, es habe in dem Sinne, in welchem man
jetzt ein Volk versteht, nie gelebt, es sei mehr ein Institut des Mit¬
telalters als ein Staat im modernen Sinne gewesen -- " auf seinen
wahren Werth zurückführen. Wir haben diese Behauptung in letzte¬
rer Zeit zu oft sowohl von preußischer als von österreichischer Seite
wiederholen gehört, als daß man ihr nicht etwas näher in's Gesicht
schauen sollte.

Allerdings war Polen von hunderttausend besäbelten und besporn-
ten Edelleuten beherrscht, die, mit einander uneinig, sein" staatliche
Einheit zerspalteten, allerdings war das leibeigene, an die Scholle ge¬
bundene Volk so gut als null, allerdings riefen die Polen selbst fremde
Hilfe und fremde Soldaten in's eigene Land. Allein man vergißt
oder will vergessen, daß die erste Theilung Polens in den siebenziger
Jahren stattfand, das heißt zu einer Zeit, wo der Begriff des moder¬
nen Staates noch in den Windeln lag, und wo noch gar viele an¬
dere Staaten, die heute in Europa laut mitreden, nichts als "Insti¬
tute des Mittelalters" waren, von denen zu schweigen, die es bis zu
dieser Stunde geblieben sind. Werfen wir doch nur einen Mink auf
das damalige Deutschland, das zur Zeit der Theilung seiner Nachba¬
ren nur um wenige Millionen Menschen mehr zahlte. Waren die
Tausende von souveränen Edelleuten und Großedelleuten, die Deutsch¬
land regierten, etwa einiger? War die deutsche Wirthschaft viel besser
als die polnische? War der Bauer etwa nicht leibeigen? Riefen die
deutschen Reichsfürsten, die kleinen und großen Tyrannen, etwa nicht
fremde Waffen zur Entscheidung ihrer endlosen Händel herbei? Und
bezahlten sie nicht zuletzt mit dem Blute und dem Marke ihrer Völ¬
ker, mit ganzen Provinzen des deutschen Reichs die schmählichen
Hilfleistungcn der Fremde" ? Gewissenloser und weit unnatio¬
naler als Polen je gehandelt! Zu eben der Zeit, wo Polen getheilt und
wo die Uneinigkeit und der Druck der polnischen Edelleute die Theilung
"entschuldigen" soll, hatte Preußen und Oesterreich sammt den für oder
gegen den Kaiser kriegenden Reichsfürsten kaum erst den blutigen Säbel
in die Scheide gesteckt. Ja gerade diese Uneinigkeit der deutschen Großfür¬
sten war eine der Hauptursachen der Theilung "der jammervleichm Polo-


Gvmzboten, isiv. it.

ihr Ton weniger schneidend, ihr Siegsgeschrci weniger frohlockend wäre,
wenn in ihren eigenen Worten schon die Milde sich abspiegeln würde,
die Deutschland, die Europa, die die ganze Humanität jetzt von den
Monarchen erwartet, in deren Hand die schönste aller Prärogativen!
das Gnadenrecht, liegt!

So viel im Allgemeinen. Im Besondern müssen wir unsern Wi¬
derspruch gegen zwei Punkte des vorstehenden Aufsatzes richten und
zwar im Namen der Vergangenheit wie im Namen der Zukunft.

Im Namen der Vergangenheit und der geschichtlichen Wahrheit
müssen wir den Satz: „Polen sei schon vor seiner Theilung an in¬
nerer Auflösung verschieden, es habe in dem Sinne, in welchem man
jetzt ein Volk versteht, nie gelebt, es sei mehr ein Institut des Mit¬
telalters als ein Staat im modernen Sinne gewesen — " auf seinen
wahren Werth zurückführen. Wir haben diese Behauptung in letzte¬
rer Zeit zu oft sowohl von preußischer als von österreichischer Seite
wiederholen gehört, als daß man ihr nicht etwas näher in's Gesicht
schauen sollte.

Allerdings war Polen von hunderttausend besäbelten und besporn-
ten Edelleuten beherrscht, die, mit einander uneinig, sein« staatliche
Einheit zerspalteten, allerdings war das leibeigene, an die Scholle ge¬
bundene Volk so gut als null, allerdings riefen die Polen selbst fremde
Hilfe und fremde Soldaten in's eigene Land. Allein man vergißt
oder will vergessen, daß die erste Theilung Polens in den siebenziger
Jahren stattfand, das heißt zu einer Zeit, wo der Begriff des moder¬
nen Staates noch in den Windeln lag, und wo noch gar viele an¬
dere Staaten, die heute in Europa laut mitreden, nichts als „Insti¬
tute des Mittelalters" waren, von denen zu schweigen, die es bis zu
dieser Stunde geblieben sind. Werfen wir doch nur einen Mink auf
das damalige Deutschland, das zur Zeit der Theilung seiner Nachba¬
ren nur um wenige Millionen Menschen mehr zahlte. Waren die
Tausende von souveränen Edelleuten und Großedelleuten, die Deutsch¬
land regierten, etwa einiger? War die deutsche Wirthschaft viel besser
als die polnische? War der Bauer etwa nicht leibeigen? Riefen die
deutschen Reichsfürsten, die kleinen und großen Tyrannen, etwa nicht
fremde Waffen zur Entscheidung ihrer endlosen Händel herbei? Und
bezahlten sie nicht zuletzt mit dem Blute und dem Marke ihrer Völ¬
ker, mit ganzen Provinzen des deutschen Reichs die schmählichen
Hilfleistungcn der Fremde» ? Gewissenloser und weit unnatio¬
naler als Polen je gehandelt! Zu eben der Zeit, wo Polen getheilt und
wo die Uneinigkeit und der Druck der polnischen Edelleute die Theilung
„entschuldigen" soll, hatte Preußen und Oesterreich sammt den für oder
gegen den Kaiser kriegenden Reichsfürsten kaum erst den blutigen Säbel
in die Scheide gesteckt. Ja gerade diese Uneinigkeit der deutschen Großfür¬
sten war eine der Hauptursachen der Theilung „der jammervleichm Polo-


Gvmzboten, isiv. it.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/125>, abgerufen am 24.11.2024.