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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band.

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er zuckt mit den Schultern wegen der empfangenen Striemen, aber
-- er spielt, er übt wieder, die aufgegebenen fünfzig Male, und die
mitleidsvolle, oder auch vielleicht selbst ehrgeizige Mutter darf
dazu nichts sagen oder sagt nichts. Dies ist nicht im Geringsten
übertrieben, vielmehr noch zu leise und blaß aufgetragen, um die
Quälerei und Sklaverei an den hohläugigen, hagern, magern, blas¬
sen Virtuosen von neun Jahren nicht auffallender und greller zu
zeigen. Und welches ist der Zweck eines solchen Klavierlehrers mit
seinem Kinde? Etwa um das Resultat seiner gerechten Ueberzeu¬
gung und der Welt einen Genius zuliefern? Ach nein, sovielmnß
er wissen, daß der Genius nicht unter Sklavenfesseln, sondern nur
unter faullenzenden, umschatteten Träumen, im süßen Nichtsthun
wirklich gedeiht, wenn überhaupt der Grund und Quell zu einem
genialen Künstler wirklich vorhanden ist. Die Fertigkeit, die Hand¬
gelenkigkeit, welche der wahre geistige Künstler zum Ausdruck, zur
klaren Ordnung seiner Schöpfungen gebraucht, die ist nicht so schwer
und mühsam zu erwerben. Beethoven und Gluck waren keine
Virtuosen.

Was null denn der Vater, der "Klavierlehrer" mit seinem
Sohne? Zunächst einen Beweis liefern von der Trefflichkeit seiner
Methode und durch das gepeinigte, gequälte Modell Kunden an¬
locken, dann mit dem Opfer dieser Methode Geld verdienen und so
sich selbst der Arbeit, des Stundengebens überheben, auch mit Hülfe
des Concertgebenö Städte und Länder sehen, Wohlleben, beschenkt
werden durch das beschenkte Wunderkind, kurz sich gute Tage ma¬
chen. Der Vater reist mit seinem jungen Sohne umher nach allen
vier Weltgegenden, durch große und kleine Städte, um dort Con¬
cert zu geben, er gewöhnt den Knaben bald an Kriecherei, bald an
Aufgeblasenheit und bei alle dem an das unordentliche aufgelöste
Wirthshausleben. Auf diesen Reisen kommen Vater und Sohn
dann natürlich auch mit den Musikalienhändlern in Verbindung sie
können nichts anfangen ohne diese, und der Musikalienverleger ist
die zweite intriguante Macht, welcher der junge Virtuos zu Wu¬
cherzwecken in die Hände fällt,

Da der Knabe vom zweiten, dritten Jahre an mit Gewalt
zum Pianoforte hingetrieben und daran gefesselt worden ist, also in
jenen Jahren, wo die Natur noch ganz im Unbestimmten und Weich-


er zuckt mit den Schultern wegen der empfangenen Striemen, aber
— er spielt, er übt wieder, die aufgegebenen fünfzig Male, und die
mitleidsvolle, oder auch vielleicht selbst ehrgeizige Mutter darf
dazu nichts sagen oder sagt nichts. Dies ist nicht im Geringsten
übertrieben, vielmehr noch zu leise und blaß aufgetragen, um die
Quälerei und Sklaverei an den hohläugigen, hagern, magern, blas¬
sen Virtuosen von neun Jahren nicht auffallender und greller zu
zeigen. Und welches ist der Zweck eines solchen Klavierlehrers mit
seinem Kinde? Etwa um das Resultat seiner gerechten Ueberzeu¬
gung und der Welt einen Genius zuliefern? Ach nein, sovielmnß
er wissen, daß der Genius nicht unter Sklavenfesseln, sondern nur
unter faullenzenden, umschatteten Träumen, im süßen Nichtsthun
wirklich gedeiht, wenn überhaupt der Grund und Quell zu einem
genialen Künstler wirklich vorhanden ist. Die Fertigkeit, die Hand¬
gelenkigkeit, welche der wahre geistige Künstler zum Ausdruck, zur
klaren Ordnung seiner Schöpfungen gebraucht, die ist nicht so schwer
und mühsam zu erwerben. Beethoven und Gluck waren keine
Virtuosen.

Was null denn der Vater, der „Klavierlehrer" mit seinem
Sohne? Zunächst einen Beweis liefern von der Trefflichkeit seiner
Methode und durch das gepeinigte, gequälte Modell Kunden an¬
locken, dann mit dem Opfer dieser Methode Geld verdienen und so
sich selbst der Arbeit, des Stundengebens überheben, auch mit Hülfe
des Concertgebenö Städte und Länder sehen, Wohlleben, beschenkt
werden durch das beschenkte Wunderkind, kurz sich gute Tage ma¬
chen. Der Vater reist mit seinem jungen Sohne umher nach allen
vier Weltgegenden, durch große und kleine Städte, um dort Con¬
cert zu geben, er gewöhnt den Knaben bald an Kriecherei, bald an
Aufgeblasenheit und bei alle dem an das unordentliche aufgelöste
Wirthshausleben. Auf diesen Reisen kommen Vater und Sohn
dann natürlich auch mit den Musikalienhändlern in Verbindung sie
können nichts anfangen ohne diese, und der Musikalienverleger ist
die zweite intriguante Macht, welcher der junge Virtuos zu Wu¬
cherzwecken in die Hände fällt,

Da der Knabe vom zweiten, dritten Jahre an mit Gewalt
zum Pianoforte hingetrieben und daran gefesselt worden ist, also in
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[0105] er zuckt mit den Schultern wegen der empfangenen Striemen, aber — er spielt, er übt wieder, die aufgegebenen fünfzig Male, und die mitleidsvolle, oder auch vielleicht selbst ehrgeizige Mutter darf dazu nichts sagen oder sagt nichts. Dies ist nicht im Geringsten übertrieben, vielmehr noch zu leise und blaß aufgetragen, um die Quälerei und Sklaverei an den hohläugigen, hagern, magern, blas¬ sen Virtuosen von neun Jahren nicht auffallender und greller zu zeigen. Und welches ist der Zweck eines solchen Klavierlehrers mit seinem Kinde? Etwa um das Resultat seiner gerechten Ueberzeu¬ gung und der Welt einen Genius zuliefern? Ach nein, sovielmnß er wissen, daß der Genius nicht unter Sklavenfesseln, sondern nur unter faullenzenden, umschatteten Träumen, im süßen Nichtsthun wirklich gedeiht, wenn überhaupt der Grund und Quell zu einem genialen Künstler wirklich vorhanden ist. Die Fertigkeit, die Hand¬ gelenkigkeit, welche der wahre geistige Künstler zum Ausdruck, zur klaren Ordnung seiner Schöpfungen gebraucht, die ist nicht so schwer und mühsam zu erwerben. Beethoven und Gluck waren keine Virtuosen. Was null denn der Vater, der „Klavierlehrer" mit seinem Sohne? Zunächst einen Beweis liefern von der Trefflichkeit seiner Methode und durch das gepeinigte, gequälte Modell Kunden an¬ locken, dann mit dem Opfer dieser Methode Geld verdienen und so sich selbst der Arbeit, des Stundengebens überheben, auch mit Hülfe des Concertgebenö Städte und Länder sehen, Wohlleben, beschenkt werden durch das beschenkte Wunderkind, kurz sich gute Tage ma¬ chen. Der Vater reist mit seinem jungen Sohne umher nach allen vier Weltgegenden, durch große und kleine Städte, um dort Con¬ cert zu geben, er gewöhnt den Knaben bald an Kriecherei, bald an Aufgeblasenheit und bei alle dem an das unordentliche aufgelöste Wirthshausleben. Auf diesen Reisen kommen Vater und Sohn dann natürlich auch mit den Musikalienhändlern in Verbindung sie können nichts anfangen ohne diese, und der Musikalienverleger ist die zweite intriguante Macht, welcher der junge Virtuos zu Wu¬ cherzwecken in die Hände fällt, Da der Knabe vom zweiten, dritten Jahre an mit Gewalt zum Pianoforte hingetrieben und daran gefesselt worden ist, also in jenen Jahren, wo die Natur noch ganz im Unbestimmten und Weich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_365120/105>, abgerufen am 25.08.2024.