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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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enthielt auch der von Karl VI. abgelegte Krönungseid die ausdrück¬
liche Bestimmung: daß, ohne Einwilligung der Stände, an den Fun¬
damentalgesetzen des Landes nichts geändert werden dürfe. So heißt
es im Hofdecrete von 1791, das doch als die letzte Grundnorm der
ständischen Rechte angesehen werden muß, wörtlich: "die Vernehmung
"der Stände wird Platz greifen, wenn, wie Se. Majestät es schon
"mehr mal zu erkennen gegeben haben, es um die Festsetzung oder Ab¬
änderung der Constitution oder solcher Gesetze zu thun ist, so das
"ganze Land betreffen," -- und der Umstand, daß Kaiser Joseph II.,
welcher die ständische Verfassung gänzlich aufhob, sich nicht zum Kö¬
nige von Böhmen krönen ließ, verbirgt im Zusammenhange mit dem
Angeführten zur Genüge meine hier aufgestellte Behauptung.

Diese aus der Geschichte des Staates und nach den Grundsätzen
des Rechts ganz zweifellose Behauptung unterstützt sehr treffend die
Moral, nach deren erhabenen Principien unmöglich angenommen wer¬
den kann, daß ein Monarch, gegenüber der die Nation vertretenden
ständischen Corporation, die Aufrechthaltung ihrer Rechte und Privi¬
legien feierlich beschwören könne, wenn er zugleich im Sinne hätte,
dieselbe zu ändern, zu mehren :c.

Müßte nicht in den Tagen der Neuzeit, wo nicht die physische
Gewalt den Unterthanen an seinen Monarchen kettet, sondern wo das
moralische Uebergewicht der Regierung beide mit innigern Banden
umschließt, dieses durch einen solchen Eid völlig untergraben werden?
Würde nicht durch ein solches Beispiel der Staatsbürger veranlaßt,
den Eid als leichtes Mittel zu den größten Uebelthaten zu mißbrau¬
chen ?

Betrachten wir endlich die segensreiche Regierung unseres gelieb¬
ten Monarchen, der seinen erhabenen Wahlspruch: "liecta tueri" im
vollsten Sinne des Wortes verwirklicht, der noch vor Kurzem den
Ständen Ungarns Bitten genehmigte, deren Erhören die öffentliche
Meinung und die Ungarn kaum selbst vermutheten, der durch wieder¬
kehrende Reverse nach Herkommen die Aufrechthaltung ständischer Rechte
und Privilegien allergnädigst bestätigte, so dürfen wir sicherlich erwar¬
ten, daß auch unsere Stunde in ihren althergebrachten Rechten und
Privilegien nach dessen allerhöchstem Willen erhalten werden sollen.
Der in der erneuerten Landesordnung ausgesprochene Vorbehalt erhält
daher seine wahre und richtige Bedeutung dadurch, wenn wir ihn auf
die in derselben enthaltenen zahlreichern privatrechtlichen Bestimmun¬
gen beziehen.


Il-i-

enthielt auch der von Karl VI. abgelegte Krönungseid die ausdrück¬
liche Bestimmung: daß, ohne Einwilligung der Stände, an den Fun¬
damentalgesetzen des Landes nichts geändert werden dürfe. So heißt
es im Hofdecrete von 1791, das doch als die letzte Grundnorm der
ständischen Rechte angesehen werden muß, wörtlich: „die Vernehmung
„der Stände wird Platz greifen, wenn, wie Se. Majestät es schon
„mehr mal zu erkennen gegeben haben, es um die Festsetzung oder Ab¬
änderung der Constitution oder solcher Gesetze zu thun ist, so das
„ganze Land betreffen," — und der Umstand, daß Kaiser Joseph II.,
welcher die ständische Verfassung gänzlich aufhob, sich nicht zum Kö¬
nige von Böhmen krönen ließ, verbirgt im Zusammenhange mit dem
Angeführten zur Genüge meine hier aufgestellte Behauptung.

Diese aus der Geschichte des Staates und nach den Grundsätzen
des Rechts ganz zweifellose Behauptung unterstützt sehr treffend die
Moral, nach deren erhabenen Principien unmöglich angenommen wer¬
den kann, daß ein Monarch, gegenüber der die Nation vertretenden
ständischen Corporation, die Aufrechthaltung ihrer Rechte und Privi¬
legien feierlich beschwören könne, wenn er zugleich im Sinne hätte,
dieselbe zu ändern, zu mehren :c.

Müßte nicht in den Tagen der Neuzeit, wo nicht die physische
Gewalt den Unterthanen an seinen Monarchen kettet, sondern wo das
moralische Uebergewicht der Regierung beide mit innigern Banden
umschließt, dieses durch einen solchen Eid völlig untergraben werden?
Würde nicht durch ein solches Beispiel der Staatsbürger veranlaßt,
den Eid als leichtes Mittel zu den größten Uebelthaten zu mißbrau¬
chen ?

Betrachten wir endlich die segensreiche Regierung unseres gelieb¬
ten Monarchen, der seinen erhabenen Wahlspruch: „liecta tueri" im
vollsten Sinne des Wortes verwirklicht, der noch vor Kurzem den
Ständen Ungarns Bitten genehmigte, deren Erhören die öffentliche
Meinung und die Ungarn kaum selbst vermutheten, der durch wieder¬
kehrende Reverse nach Herkommen die Aufrechthaltung ständischer Rechte
und Privilegien allergnädigst bestätigte, so dürfen wir sicherlich erwar¬
ten, daß auch unsere Stunde in ihren althergebrachten Rechten und
Privilegien nach dessen allerhöchstem Willen erhalten werden sollen.
Der in der erneuerten Landesordnung ausgesprochene Vorbehalt erhält
daher seine wahre und richtige Bedeutung dadurch, wenn wir ihn auf
die in derselben enthaltenen zahlreichern privatrechtlichen Bestimmun¬
gen beziehen.


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[0085] enthielt auch der von Karl VI. abgelegte Krönungseid die ausdrück¬ liche Bestimmung: daß, ohne Einwilligung der Stände, an den Fun¬ damentalgesetzen des Landes nichts geändert werden dürfe. So heißt es im Hofdecrete von 1791, das doch als die letzte Grundnorm der ständischen Rechte angesehen werden muß, wörtlich: „die Vernehmung „der Stände wird Platz greifen, wenn, wie Se. Majestät es schon „mehr mal zu erkennen gegeben haben, es um die Festsetzung oder Ab¬ änderung der Constitution oder solcher Gesetze zu thun ist, so das „ganze Land betreffen," — und der Umstand, daß Kaiser Joseph II., welcher die ständische Verfassung gänzlich aufhob, sich nicht zum Kö¬ nige von Böhmen krönen ließ, verbirgt im Zusammenhange mit dem Angeführten zur Genüge meine hier aufgestellte Behauptung. Diese aus der Geschichte des Staates und nach den Grundsätzen des Rechts ganz zweifellose Behauptung unterstützt sehr treffend die Moral, nach deren erhabenen Principien unmöglich angenommen wer¬ den kann, daß ein Monarch, gegenüber der die Nation vertretenden ständischen Corporation, die Aufrechthaltung ihrer Rechte und Privi¬ legien feierlich beschwören könne, wenn er zugleich im Sinne hätte, dieselbe zu ändern, zu mehren :c. Müßte nicht in den Tagen der Neuzeit, wo nicht die physische Gewalt den Unterthanen an seinen Monarchen kettet, sondern wo das moralische Uebergewicht der Regierung beide mit innigern Banden umschließt, dieses durch einen solchen Eid völlig untergraben werden? Würde nicht durch ein solches Beispiel der Staatsbürger veranlaßt, den Eid als leichtes Mittel zu den größten Uebelthaten zu mißbrau¬ chen ? Betrachten wir endlich die segensreiche Regierung unseres gelieb¬ ten Monarchen, der seinen erhabenen Wahlspruch: „liecta tueri" im vollsten Sinne des Wortes verwirklicht, der noch vor Kurzem den Ständen Ungarns Bitten genehmigte, deren Erhören die öffentliche Meinung und die Ungarn kaum selbst vermutheten, der durch wieder¬ kehrende Reverse nach Herkommen die Aufrechthaltung ständischer Rechte und Privilegien allergnädigst bestätigte, so dürfen wir sicherlich erwar¬ ten, daß auch unsere Stunde in ihren althergebrachten Rechten und Privilegien nach dessen allerhöchstem Willen erhalten werden sollen. Der in der erneuerten Landesordnung ausgesprochene Vorbehalt erhält daher seine wahre und richtige Bedeutung dadurch, wenn wir ihn auf die in derselben enthaltenen zahlreichern privatrechtlichen Bestimmun¬ gen beziehen. Il-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/85>, abgerufen am 24.07.2024.