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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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keit der böhmischen Landesstände ungefähr in folgenden Grenzen: Sie
hatten Einfluß auf jeden Theil der Verfassung und Verwaltung des
Landes, die gesetzgebende, richterliche und ausübende Ge¬
walt, und bildeten so eine Constitution. Ihnen kam das Recht zu,
ihren Herrscher zu wählen, und wenn auch von Premysl bis
Wenzel III. (822--1306) die Herrseherwürde bei einem Stamme
blieb, so verdankten dennoch diese Fürsten Böhmens ihre Berufung
zum Throne der freien Wahl der böhmischen Stände. Erst durch
Karl IV. goldne Bulle wurde 7 Art. 134? mit Einwilligung der
Stände eine beständige Art von Thronfolge festgesetzt, factisch aber
blieben sie dennoch im Besitze des Rechtes der Herrscherwahl, was
unter andern die spätere Berufung des Sigmund, Albrecht, Wladis-
laus und Ferdinand I. darthut. Den Ständen waren ferner alle
Kriegs- und Friedensanstalten wie auch die L and esbegren¬
zung anvertraut; ihnen war das Recht der Jndigenatsverleihung vor¬
behalten. Vorzüglich aber war es das Recht der Steuerbewil¬
ligung, das ihnen stets ungeschmälert und unbestritten zuerkannt
wurde. Alle diese Rechte und Privilegien der Stände aufrecht zu er¬
halten, gelobte der jedesmalige neu antretende Herrscher in feierlichem
Krönungseide. In den Tagen Wenzel IV. wurden Keime gelegt zu
manchen für Böhmen wichtigen Ereignissen. Während die ^Geistlich-
keit, bei den unter seiner Regierung ausgebrochenen Religionsunruhen,
die Rechte einer geschlossenen, sich selbst vertretenden Corporation zu
verlieren anfing, suchten schon bei Lebzeiten und nach dem Tode die¬
ses Monarchen die Stände, ihre alten Rechte behauptend, neue zu er¬
ringen, bis ihr wachsendes Uebergewicht den König Ladislaus be¬
wog, die erste Landesordnung 1500 zu verfassen, der sich bald
unter seinem Sohne Ludwig, durch die fortwährenden Streitigkeiten
zwischen Adel und Bürgerstand hervorgerufen, der nach dem ledigen
Fundamentalgesetze XXXV. sub X. XII -- I.XXIX beigefügte
Se. Wenzels vertrag im Jahre 1517 anschloß. Unter der Regie¬
rung Ferdinand I. wurden im Jahre 15Z0 und 1550 zwei neue
Landesordnungen verfaßt, zufolge welcher den Ständen ein be¬
deutender Einfluß auf die Regierung des Landes belassen wurde. Ob¬
gleich übrigens nach dem Briefe Ferdinand I. prager Schloß am
Mittwoch nach Aegidi 1545 eine gesetzliche Norm für die Erbfolge
einführte, so blieb den Ständen das königliche Wahlrecht dennoch
in den Fällen belassen?
"wenn aus königlichem Stamme und Linien männlichen und weih-


keit der böhmischen Landesstände ungefähr in folgenden Grenzen: Sie
hatten Einfluß auf jeden Theil der Verfassung und Verwaltung des
Landes, die gesetzgebende, richterliche und ausübende Ge¬
walt, und bildeten so eine Constitution. Ihnen kam das Recht zu,
ihren Herrscher zu wählen, und wenn auch von Premysl bis
Wenzel III. (822—1306) die Herrseherwürde bei einem Stamme
blieb, so verdankten dennoch diese Fürsten Böhmens ihre Berufung
zum Throne der freien Wahl der böhmischen Stände. Erst durch
Karl IV. goldne Bulle wurde 7 Art. 134? mit Einwilligung der
Stände eine beständige Art von Thronfolge festgesetzt, factisch aber
blieben sie dennoch im Besitze des Rechtes der Herrscherwahl, was
unter andern die spätere Berufung des Sigmund, Albrecht, Wladis-
laus und Ferdinand I. darthut. Den Ständen waren ferner alle
Kriegs- und Friedensanstalten wie auch die L and esbegren¬
zung anvertraut; ihnen war das Recht der Jndigenatsverleihung vor¬
behalten. Vorzüglich aber war es das Recht der Steuerbewil¬
ligung, das ihnen stets ungeschmälert und unbestritten zuerkannt
wurde. Alle diese Rechte und Privilegien der Stände aufrecht zu er¬
halten, gelobte der jedesmalige neu antretende Herrscher in feierlichem
Krönungseide. In den Tagen Wenzel IV. wurden Keime gelegt zu
manchen für Böhmen wichtigen Ereignissen. Während die ^Geistlich-
keit, bei den unter seiner Regierung ausgebrochenen Religionsunruhen,
die Rechte einer geschlossenen, sich selbst vertretenden Corporation zu
verlieren anfing, suchten schon bei Lebzeiten und nach dem Tode die¬
ses Monarchen die Stände, ihre alten Rechte behauptend, neue zu er¬
ringen, bis ihr wachsendes Uebergewicht den König Ladislaus be¬
wog, die erste Landesordnung 1500 zu verfassen, der sich bald
unter seinem Sohne Ludwig, durch die fortwährenden Streitigkeiten
zwischen Adel und Bürgerstand hervorgerufen, der nach dem ledigen
Fundamentalgesetze XXXV. sub X. XII — I.XXIX beigefügte
Se. Wenzels vertrag im Jahre 1517 anschloß. Unter der Regie¬
rung Ferdinand I. wurden im Jahre 15Z0 und 1550 zwei neue
Landesordnungen verfaßt, zufolge welcher den Ständen ein be¬
deutender Einfluß auf die Regierung des Landes belassen wurde. Ob¬
gleich übrigens nach dem Briefe Ferdinand I. prager Schloß am
Mittwoch nach Aegidi 1545 eine gesetzliche Norm für die Erbfolge
einführte, so blieb den Ständen das königliche Wahlrecht dennoch
in den Fällen belassen?
„wenn aus königlichem Stamme und Linien männlichen und weih-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/76>, abgerufen am 04.07.2024.