Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

läge stattlicher Hummern letzte (einige Loth gesottenen und in Essig
genossenen Hummerfleisches sind am Abend im Grunde -- des Magens
eben so viele Loch gesottenen Alabasters oder Marmors) machten wir
uns nach dem grünen Wasser auf. Das grüne Wasser ist weder
die See noch ein See, obwohl eine Art Hafen, nämlich für Leute, die
sich nach des Tages Last ein wenig gütlich thun und ein Tänzchen
machen oder mit ansehen wollen. Das grüne Wasser ist der sonn¬
tägige Tanzplatz der nationalen Helgolander, und wir sahen da unter
andern uoch einen wirklichen jütländischen Tanz, wobei sich die Paare
mit im Rücken kreuzweis verschlungenen Armen chassirend fortbewegten,
dann aber die Dame sich mit zierlichen Wendungen von ihrem Cha-
peau loszumachen und ihm zu entschlüpfen wußte; worauf letzterer
jene mit Händeklatschen vor sich hertrieb, was bei einigermaßen gra¬
ziösen Persönlichkeiten, an denen es grade unter der Mädchenwelt hier
nicht fehlte, sich recht artig ausnahm. Es kam auch hier wieder eine
immerhin hübsch lassende und einen Begriff harmloser Superiorität
der Schönheit über die Stärke darstellende Koketterie in der anmuthi¬
gen Art, mit der sich bei dieser Treibjagd Amors (dafür muß man es
doch wohl halten) die Tänzerinnen nach dem Tänzer umsahen, zum
Vorschein. Der Tanz hatte übrigens offenbar manche Verwandtschaft
mit der neuerdings so celebrirten Polka, was denn doch wohl heißen
muß, er hatte Charakter und poetischen Neiz. Dem Local übrigens
fehlte es freilich an erwünschter Geräumigkeit und Höhe, und die Ge¬
spräche eines bloßen Zuschauers solcher Musenspiele mußten bescheiden
sein; wir empfanden daher keine allzuandanernde Lust, uns bei dieser
Gelegenheit als starke Geister zu geriren und suchten nach einem
Stündchen das Weite.

Am andern Morgen, bei der Einschiffung zur Heimfahrt, hatte
sich eine frische Brise eingestellt, die bewegten Wellen zeigten jene auf¬
hüpfenden weißen Kegel, welche schon die Griechen Köpfe nannten
(denn bei gescheidten Leute"?, was die Seeleute mehr sind als die Land¬
leute, hat Alles Kopf), und die Meerfarbe hatte sich aus dem lebens¬
lustigen, lichthellen Gras- oder Gelbgrün in das stillbrütende, senti¬
mentale Flaschengrün durchaus verändert. Die Delphine sprangen
nicht, die Seehunde hatten sich verkrochen. Indeß kam es diesmal zu
keinem Sturme, den wir uns auch von der galanten Galatea von
ganzem Herzen für ein andermal ausbaten. Das, was die Alten von
der See und ihren Erlebnissen in prächtig passenden Metaphern auf
die Seelenstimmung übertragen, indem sie vom Tumultuiren, vom


läge stattlicher Hummern letzte (einige Loth gesottenen und in Essig
genossenen Hummerfleisches sind am Abend im Grunde — des Magens
eben so viele Loch gesottenen Alabasters oder Marmors) machten wir
uns nach dem grünen Wasser auf. Das grüne Wasser ist weder
die See noch ein See, obwohl eine Art Hafen, nämlich für Leute, die
sich nach des Tages Last ein wenig gütlich thun und ein Tänzchen
machen oder mit ansehen wollen. Das grüne Wasser ist der sonn¬
tägige Tanzplatz der nationalen Helgolander, und wir sahen da unter
andern uoch einen wirklichen jütländischen Tanz, wobei sich die Paare
mit im Rücken kreuzweis verschlungenen Armen chassirend fortbewegten,
dann aber die Dame sich mit zierlichen Wendungen von ihrem Cha-
peau loszumachen und ihm zu entschlüpfen wußte; worauf letzterer
jene mit Händeklatschen vor sich hertrieb, was bei einigermaßen gra¬
ziösen Persönlichkeiten, an denen es grade unter der Mädchenwelt hier
nicht fehlte, sich recht artig ausnahm. Es kam auch hier wieder eine
immerhin hübsch lassende und einen Begriff harmloser Superiorität
der Schönheit über die Stärke darstellende Koketterie in der anmuthi¬
gen Art, mit der sich bei dieser Treibjagd Amors (dafür muß man es
doch wohl halten) die Tänzerinnen nach dem Tänzer umsahen, zum
Vorschein. Der Tanz hatte übrigens offenbar manche Verwandtschaft
mit der neuerdings so celebrirten Polka, was denn doch wohl heißen
muß, er hatte Charakter und poetischen Neiz. Dem Local übrigens
fehlte es freilich an erwünschter Geräumigkeit und Höhe, und die Ge¬
spräche eines bloßen Zuschauers solcher Musenspiele mußten bescheiden
sein; wir empfanden daher keine allzuandanernde Lust, uns bei dieser
Gelegenheit als starke Geister zu geriren und suchten nach einem
Stündchen das Weite.

Am andern Morgen, bei der Einschiffung zur Heimfahrt, hatte
sich eine frische Brise eingestellt, die bewegten Wellen zeigten jene auf¬
hüpfenden weißen Kegel, welche schon die Griechen Köpfe nannten
(denn bei gescheidten Leute«?, was die Seeleute mehr sind als die Land¬
leute, hat Alles Kopf), und die Meerfarbe hatte sich aus dem lebens¬
lustigen, lichthellen Gras- oder Gelbgrün in das stillbrütende, senti¬
mentale Flaschengrün durchaus verändert. Die Delphine sprangen
nicht, die Seehunde hatten sich verkrochen. Indeß kam es diesmal zu
keinem Sturme, den wir uns auch von der galanten Galatea von
ganzem Herzen für ein andermal ausbaten. Das, was die Alten von
der See und ihren Erlebnissen in prächtig passenden Metaphern auf
die Seelenstimmung übertragen, indem sie vom Tumultuiren, vom


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0073" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183094"/>
            <p xml:id="ID_163" prev="#ID_162"> läge stattlicher Hummern letzte (einige Loth gesottenen und in Essig<lb/>
genossenen Hummerfleisches sind am Abend im Grunde &#x2014; des Magens<lb/>
eben so viele Loch gesottenen Alabasters oder Marmors) machten wir<lb/>
uns nach dem grünen Wasser auf. Das grüne Wasser ist weder<lb/>
die See noch ein See, obwohl eine Art Hafen, nämlich für Leute, die<lb/>
sich nach des Tages Last ein wenig gütlich thun und ein Tänzchen<lb/>
machen oder mit ansehen wollen. Das grüne Wasser ist der sonn¬<lb/>
tägige Tanzplatz der nationalen Helgolander, und wir sahen da unter<lb/>
andern uoch einen wirklichen jütländischen Tanz, wobei sich die Paare<lb/>
mit im Rücken kreuzweis verschlungenen Armen chassirend fortbewegten,<lb/>
dann aber die Dame sich mit zierlichen Wendungen von ihrem Cha-<lb/>
peau loszumachen und ihm zu entschlüpfen wußte; worauf letzterer<lb/>
jene mit Händeklatschen vor sich hertrieb, was bei einigermaßen gra¬<lb/>
ziösen Persönlichkeiten, an denen es grade unter der Mädchenwelt hier<lb/>
nicht fehlte, sich recht artig ausnahm. Es kam auch hier wieder eine<lb/>
immerhin hübsch lassende und einen Begriff harmloser Superiorität<lb/>
der Schönheit über die Stärke darstellende Koketterie in der anmuthi¬<lb/>
gen Art, mit der sich bei dieser Treibjagd Amors (dafür muß man es<lb/>
doch wohl halten) die Tänzerinnen nach dem Tänzer umsahen, zum<lb/>
Vorschein. Der Tanz hatte übrigens offenbar manche Verwandtschaft<lb/>
mit der neuerdings so celebrirten Polka, was denn doch wohl heißen<lb/>
muß, er hatte Charakter und poetischen Neiz. Dem Local übrigens<lb/>
fehlte es freilich an erwünschter Geräumigkeit und Höhe, und die Ge¬<lb/>
spräche eines bloßen Zuschauers solcher Musenspiele mußten bescheiden<lb/>
sein; wir empfanden daher keine allzuandanernde Lust, uns bei dieser<lb/>
Gelegenheit als starke Geister zu geriren und suchten nach einem<lb/>
Stündchen das Weite.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_164" next="#ID_165"> Am andern Morgen, bei der Einschiffung zur Heimfahrt, hatte<lb/>
sich eine frische Brise eingestellt, die bewegten Wellen zeigten jene auf¬<lb/>
hüpfenden weißen Kegel, welche schon die Griechen Köpfe nannten<lb/>
(denn bei gescheidten Leute«?, was die Seeleute mehr sind als die Land¬<lb/>
leute, hat Alles Kopf), und die Meerfarbe hatte sich aus dem lebens¬<lb/>
lustigen, lichthellen Gras- oder Gelbgrün in das stillbrütende, senti¬<lb/>
mentale Flaschengrün durchaus verändert. Die Delphine sprangen<lb/>
nicht, die Seehunde hatten sich verkrochen. Indeß kam es diesmal zu<lb/>
keinem Sturme, den wir uns auch von der galanten Galatea von<lb/>
ganzem Herzen für ein andermal ausbaten. Das, was die Alten von<lb/>
der See und ihren Erlebnissen in prächtig passenden Metaphern auf<lb/>
die Seelenstimmung übertragen, indem sie vom Tumultuiren, vom</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0073] läge stattlicher Hummern letzte (einige Loth gesottenen und in Essig genossenen Hummerfleisches sind am Abend im Grunde — des Magens eben so viele Loch gesottenen Alabasters oder Marmors) machten wir uns nach dem grünen Wasser auf. Das grüne Wasser ist weder die See noch ein See, obwohl eine Art Hafen, nämlich für Leute, die sich nach des Tages Last ein wenig gütlich thun und ein Tänzchen machen oder mit ansehen wollen. Das grüne Wasser ist der sonn¬ tägige Tanzplatz der nationalen Helgolander, und wir sahen da unter andern uoch einen wirklichen jütländischen Tanz, wobei sich die Paare mit im Rücken kreuzweis verschlungenen Armen chassirend fortbewegten, dann aber die Dame sich mit zierlichen Wendungen von ihrem Cha- peau loszumachen und ihm zu entschlüpfen wußte; worauf letzterer jene mit Händeklatschen vor sich hertrieb, was bei einigermaßen gra¬ ziösen Persönlichkeiten, an denen es grade unter der Mädchenwelt hier nicht fehlte, sich recht artig ausnahm. Es kam auch hier wieder eine immerhin hübsch lassende und einen Begriff harmloser Superiorität der Schönheit über die Stärke darstellende Koketterie in der anmuthi¬ gen Art, mit der sich bei dieser Treibjagd Amors (dafür muß man es doch wohl halten) die Tänzerinnen nach dem Tänzer umsahen, zum Vorschein. Der Tanz hatte übrigens offenbar manche Verwandtschaft mit der neuerdings so celebrirten Polka, was denn doch wohl heißen muß, er hatte Charakter und poetischen Neiz. Dem Local übrigens fehlte es freilich an erwünschter Geräumigkeit und Höhe, und die Ge¬ spräche eines bloßen Zuschauers solcher Musenspiele mußten bescheiden sein; wir empfanden daher keine allzuandanernde Lust, uns bei dieser Gelegenheit als starke Geister zu geriren und suchten nach einem Stündchen das Weite. Am andern Morgen, bei der Einschiffung zur Heimfahrt, hatte sich eine frische Brise eingestellt, die bewegten Wellen zeigten jene auf¬ hüpfenden weißen Kegel, welche schon die Griechen Köpfe nannten (denn bei gescheidten Leute«?, was die Seeleute mehr sind als die Land¬ leute, hat Alles Kopf), und die Meerfarbe hatte sich aus dem lebens¬ lustigen, lichthellen Gras- oder Gelbgrün in das stillbrütende, senti¬ mentale Flaschengrün durchaus verändert. Die Delphine sprangen nicht, die Seehunde hatten sich verkrochen. Indeß kam es diesmal zu keinem Sturme, den wir uns auch von der galanten Galatea von ganzem Herzen für ein andermal ausbaten. Das, was die Alten von der See und ihren Erlebnissen in prächtig passenden Metaphern auf die Seelenstimmung übertragen, indem sie vom Tumultuiren, vom

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/73
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/73>, abgerufen am 04.07.2024.