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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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doch schwerlich so wenig, als offenbar ihr Hr. Pfarrer, zu den starken
Geistern in irgend einem Sinne selbst gehörten, mit solch einer gefähr¬
lichen Nation bekannt zu machen, so war unser Schluß nicht unver¬
nünftig , es möge ganz eigentlich auf uns gemünzt und diese Gelegen¬
heit außerordentlichermaßen ergriffen sein, um mit der lieben hclgolan-
der Jugend diesmal eine Ercursion aus der Theologie in die Natur¬
geschichte zu machen und das Kapitel von den starken Geistern (Joao
8ita'vn5 inAvuii fortis ?et<zrs<znii, so heißt der Herr Pastor) zu künf¬
tiger Notiznahme, wenn den guten helgolander Jungen dereinst ein
solches Ungeheuer auf der See begegnen sollte, und zugleich zu uns
armer Leute Gemüthserschütterung abzuhandeln. Man sieht übrigens,
seinem Schicksal entläuft kein Mensch und die starken Geister verfolgt
ihr Fluch bis auf die Klippen im Meere. Wo bärge sich vollends
einer vor dem Antlitze eines frommen Pastoren! Aber, um aus dem
Spaße in den Ernst zurückzukehren, ist solcher sinnlos deklamatorische
Schnack, diese stete Polemik der Bornirten gegen die Gescheidtcn an
geweihter Stätte, vor dem Angesichte Himmels und der Erden, nicht
ein Pasquill auf die Religion? Freilich ist grade diese Polemik
einer der Haupthebel, durch welche Gott in seiner Kirche die Vernunft
auch aus dem Munde der (geistigen) Säuglinge und Unmündigen
verbreitet: kann denn etwas mehr Appetit machen, daß man ein ge-
scheidter und selbsturtheilender Mensch in religiösen Dingen wie in
andern zu werden suche, als grade dieser tobsüchtige Eifer, alles Selbst¬
denken und alle Vernunft in den Glaubenssachen mit Stumpf und
Stiel ausrotten zu wollen? In soweit also wäre es ganz gut, daß
die fanatisirten Schiefköpfe sich das eigene Haus über dem Kopf an¬
zünden, dürfte aber anderseits im Namen der Staatsweisheit und der
Cultur geduldet werden, daß die berufenen Repräsentanten der Reli¬
gion vor den edelsten Gottesgaben, durch die wir uns zugleich allein
und ausschließlich Religion aneignen (denn alle sogenannte Religion
ohne Vernunft, d. h. die nicht das schärfste Licht der Vernunft¬
forschung aushält, ist Verruchtheit, ist Götzendienst, nicht mehr noch
minder) verächtlich sprechen und sie als das von Gott Entfernende
dahinstellen? Wenn der Staat nicht die Rolle eines alten Wei¬
bes bis zu einem völligen Kehraus spielen will, was hat er am
ersten zu thun? Gewiß dies Eine, Alles in sich begreifende, sich alles
feigen, niederträchtigen und nur ihn in's Verderben stürzenden Ver-
nunfts- und, was Eins ist, Freiheitshasses mit einem endlichen großen


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doch schwerlich so wenig, als offenbar ihr Hr. Pfarrer, zu den starken
Geistern in irgend einem Sinne selbst gehörten, mit solch einer gefähr¬
lichen Nation bekannt zu machen, so war unser Schluß nicht unver¬
nünftig , es möge ganz eigentlich auf uns gemünzt und diese Gelegen¬
heit außerordentlichermaßen ergriffen sein, um mit der lieben hclgolan-
der Jugend diesmal eine Ercursion aus der Theologie in die Natur¬
geschichte zu machen und das Kapitel von den starken Geistern (Joao
8ita'vn5 inAvuii fortis ?et<zrs<znii, so heißt der Herr Pastor) zu künf¬
tiger Notiznahme, wenn den guten helgolander Jungen dereinst ein
solches Ungeheuer auf der See begegnen sollte, und zugleich zu uns
armer Leute Gemüthserschütterung abzuhandeln. Man sieht übrigens,
seinem Schicksal entläuft kein Mensch und die starken Geister verfolgt
ihr Fluch bis auf die Klippen im Meere. Wo bärge sich vollends
einer vor dem Antlitze eines frommen Pastoren! Aber, um aus dem
Spaße in den Ernst zurückzukehren, ist solcher sinnlos deklamatorische
Schnack, diese stete Polemik der Bornirten gegen die Gescheidtcn an
geweihter Stätte, vor dem Angesichte Himmels und der Erden, nicht
ein Pasquill auf die Religion? Freilich ist grade diese Polemik
einer der Haupthebel, durch welche Gott in seiner Kirche die Vernunft
auch aus dem Munde der (geistigen) Säuglinge und Unmündigen
verbreitet: kann denn etwas mehr Appetit machen, daß man ein ge-
scheidter und selbsturtheilender Mensch in religiösen Dingen wie in
andern zu werden suche, als grade dieser tobsüchtige Eifer, alles Selbst¬
denken und alle Vernunft in den Glaubenssachen mit Stumpf und
Stiel ausrotten zu wollen? In soweit also wäre es ganz gut, daß
die fanatisirten Schiefköpfe sich das eigene Haus über dem Kopf an¬
zünden, dürfte aber anderseits im Namen der Staatsweisheit und der
Cultur geduldet werden, daß die berufenen Repräsentanten der Reli¬
gion vor den edelsten Gottesgaben, durch die wir uns zugleich allein
und ausschließlich Religion aneignen (denn alle sogenannte Religion
ohne Vernunft, d. h. die nicht das schärfste Licht der Vernunft¬
forschung aushält, ist Verruchtheit, ist Götzendienst, nicht mehr noch
minder) verächtlich sprechen und sie als das von Gott Entfernende
dahinstellen? Wenn der Staat nicht die Rolle eines alten Wei¬
bes bis zu einem völligen Kehraus spielen will, was hat er am
ersten zu thun? Gewiß dies Eine, Alles in sich begreifende, sich alles
feigen, niederträchtigen und nur ihn in's Verderben stürzenden Ver-
nunfts- und, was Eins ist, Freiheitshasses mit einem endlichen großen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/69>, abgerufen am 04.07.2024.