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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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bei den Enkeln worden. Das Uebel greift aber noch weiter, als man
glaubt. Die besoldeten Agenten sind nicht eben die zahlreichsten, allein
es finden sich allerlei verdorbene Individuell, die nach ähnlichen Po¬
sten streben oder sich in den Augen der Behörde ein besonderes Ver¬
dienst erwerben wollen. Diese treiben sofort das leidige Denunciations¬
geschäft auf eigene Faust. Das Entscheidende aber ist der Druck,
welcher in Folge einer Institution, deren Umfang und Gliederung
Niemandem bekannt ist, auf den Gemüthern lastet. Es ist bedauer¬
licher Weise so weit gekommen, daß Menschen, die weitentfernt sind
von dem Gedanken, sich zu solchen Diensten verwenden zu lassen, blos
deshalb, weil sie die Politik angelegentlicher im Munde führen, als
sich der allergehorsainst dressirte Wiener unterfängt, für Sendlinge
der geheimen Polizei angesehen werden. Spricht Einen konservativ,
so ist er's ganz gewiß; spricht er liberal, so ist er's noch gewisser.
Zwischen dieser gefährlichen Scylla und Charybdis führt ihn selbst der
Hinblick auf ein unbescholtenes Privatleben und rege Geschäftsthätig¬
keit nicht immer hindurch. Diese Erscheinung wiederholt sich oft, so
systematisch, daß man diese gespenstige Polizcifurcht, diese durch optische
Kunst vervielfältigte, und in's Unendliche vergrößerte Idee eines wahr¬
scheinlich weit einfacher organisirten Institutes, als ein Hauptmittel
bezeichnen muß, wodurch der Freimuth, das öffentliche Vertrauen, die
offene, männliche Gesinnung hier in der kläglichsten Schwebe erhalten
werden.

Wollten sich die Furchtsamen an den ehrlichen, deutschen Spruch
erinnern: "Thue Recht und scheue Niemand!" Wollten sie bedenken,
daß es nicht blos ein Recht, sondern eine Pflicht aller Gebildeten ist,
sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, ihr partikuläres,
egoistisches Interesse stets im Begriffe des Staatsganzen aufzulösen,
daß es nirgends geschrieben steht, eine offene, ehrliche und anständige
Besprechung wirklicher Mängel sei verboten, daß es gar keine Gewalt
geben solle und dürfe, welche sich anmaßt, dieser irgend eine Hemm¬
schranke zu setzen, daß Oublietten, plötzliche Arrestationm u. tgi. Noth
und Hilfsmittel Gottlob! aus der Mode gekommen sind; -- wollten
namentlich Diejenigen, welche unabhängig vom Staate sind, und
dessen Gunst oder Ungunst nicht zu berücksichtigen haben, ihr unver¬
äußerliches Recht des freien Worts gebrauchen! Die Polizei würde
zuhören, sich's n"wen nehmen, aber dabei würde es auch bleiben.




bei den Enkeln worden. Das Uebel greift aber noch weiter, als man
glaubt. Die besoldeten Agenten sind nicht eben die zahlreichsten, allein
es finden sich allerlei verdorbene Individuell, die nach ähnlichen Po¬
sten streben oder sich in den Augen der Behörde ein besonderes Ver¬
dienst erwerben wollen. Diese treiben sofort das leidige Denunciations¬
geschäft auf eigene Faust. Das Entscheidende aber ist der Druck,
welcher in Folge einer Institution, deren Umfang und Gliederung
Niemandem bekannt ist, auf den Gemüthern lastet. Es ist bedauer¬
licher Weise so weit gekommen, daß Menschen, die weitentfernt sind
von dem Gedanken, sich zu solchen Diensten verwenden zu lassen, blos
deshalb, weil sie die Politik angelegentlicher im Munde führen, als
sich der allergehorsainst dressirte Wiener unterfängt, für Sendlinge
der geheimen Polizei angesehen werden. Spricht Einen konservativ,
so ist er's ganz gewiß; spricht er liberal, so ist er's noch gewisser.
Zwischen dieser gefährlichen Scylla und Charybdis führt ihn selbst der
Hinblick auf ein unbescholtenes Privatleben und rege Geschäftsthätig¬
keit nicht immer hindurch. Diese Erscheinung wiederholt sich oft, so
systematisch, daß man diese gespenstige Polizcifurcht, diese durch optische
Kunst vervielfältigte, und in's Unendliche vergrößerte Idee eines wahr¬
scheinlich weit einfacher organisirten Institutes, als ein Hauptmittel
bezeichnen muß, wodurch der Freimuth, das öffentliche Vertrauen, die
offene, männliche Gesinnung hier in der kläglichsten Schwebe erhalten
werden.

Wollten sich die Furchtsamen an den ehrlichen, deutschen Spruch
erinnern: „Thue Recht und scheue Niemand!" Wollten sie bedenken,
daß es nicht blos ein Recht, sondern eine Pflicht aller Gebildeten ist,
sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, ihr partikuläres,
egoistisches Interesse stets im Begriffe des Staatsganzen aufzulösen,
daß es nirgends geschrieben steht, eine offene, ehrliche und anständige
Besprechung wirklicher Mängel sei verboten, daß es gar keine Gewalt
geben solle und dürfe, welche sich anmaßt, dieser irgend eine Hemm¬
schranke zu setzen, daß Oublietten, plötzliche Arrestationm u. tgi. Noth
und Hilfsmittel Gottlob! aus der Mode gekommen sind; — wollten
namentlich Diejenigen, welche unabhängig vom Staate sind, und
dessen Gunst oder Ungunst nicht zu berücksichtigen haben, ihr unver¬
äußerliches Recht des freien Worts gebrauchen! Die Polizei würde
zuhören, sich's n»wen nehmen, aber dabei würde es auch bleiben.




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[0548] bei den Enkeln worden. Das Uebel greift aber noch weiter, als man glaubt. Die besoldeten Agenten sind nicht eben die zahlreichsten, allein es finden sich allerlei verdorbene Individuell, die nach ähnlichen Po¬ sten streben oder sich in den Augen der Behörde ein besonderes Ver¬ dienst erwerben wollen. Diese treiben sofort das leidige Denunciations¬ geschäft auf eigene Faust. Das Entscheidende aber ist der Druck, welcher in Folge einer Institution, deren Umfang und Gliederung Niemandem bekannt ist, auf den Gemüthern lastet. Es ist bedauer¬ licher Weise so weit gekommen, daß Menschen, die weitentfernt sind von dem Gedanken, sich zu solchen Diensten verwenden zu lassen, blos deshalb, weil sie die Politik angelegentlicher im Munde führen, als sich der allergehorsainst dressirte Wiener unterfängt, für Sendlinge der geheimen Polizei angesehen werden. Spricht Einen konservativ, so ist er's ganz gewiß; spricht er liberal, so ist er's noch gewisser. Zwischen dieser gefährlichen Scylla und Charybdis führt ihn selbst der Hinblick auf ein unbescholtenes Privatleben und rege Geschäftsthätig¬ keit nicht immer hindurch. Diese Erscheinung wiederholt sich oft, so systematisch, daß man diese gespenstige Polizcifurcht, diese durch optische Kunst vervielfältigte, und in's Unendliche vergrößerte Idee eines wahr¬ scheinlich weit einfacher organisirten Institutes, als ein Hauptmittel bezeichnen muß, wodurch der Freimuth, das öffentliche Vertrauen, die offene, männliche Gesinnung hier in der kläglichsten Schwebe erhalten werden. Wollten sich die Furchtsamen an den ehrlichen, deutschen Spruch erinnern: „Thue Recht und scheue Niemand!" Wollten sie bedenken, daß es nicht blos ein Recht, sondern eine Pflicht aller Gebildeten ist, sich um öffentliche Angelegenheiten zu bekümmern, ihr partikuläres, egoistisches Interesse stets im Begriffe des Staatsganzen aufzulösen, daß es nirgends geschrieben steht, eine offene, ehrliche und anständige Besprechung wirklicher Mängel sei verboten, daß es gar keine Gewalt geben solle und dürfe, welche sich anmaßt, dieser irgend eine Hemm¬ schranke zu setzen, daß Oublietten, plötzliche Arrestationm u. tgi. Noth und Hilfsmittel Gottlob! aus der Mode gekommen sind; — wollten namentlich Diejenigen, welche unabhängig vom Staate sind, und dessen Gunst oder Ungunst nicht zu berücksichtigen haben, ihr unver¬ äußerliches Recht des freien Worts gebrauchen! Die Polizei würde zuhören, sich's n»wen nehmen, aber dabei würde es auch bleiben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/548>, abgerufen am 24.07.2024.