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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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zartfühlend genug waren, den wahren Grund dieser Verschwiegenheit
zu begreifen, ergingen sich in lächerlichen und zum Theil böswilligen
Vermuthungen, über die ich aus Großmuth gegen diese Herren nichts
sagen will. Die Wohlwollendsten unter ihnen meinten, diese Summen
wären Gratistcationen, welche ich von der Königin erhielte.

Wenn meine Audienz zu Ende war, so arbeitete die Königin ge¬
wöhnlich bis 3 Uhr mit ihren Secretairen, den Herren Fällt und
Gereute. Außerdem ward ihr täglich der Küchenzettel vorgelegt,
über den sie jederzeit selbst bestimmte. Ebenso besorgt Marie Am"lie
Alles, was die Königlichen Equipagen angeht und befiehlt dem Ober¬
stallmeister Marquis von Strada, zu welcher Zeit und wie viel
Wagen er für den König, für sie selbst und für die Prinzen und
Prinzessinnen bereit halten solle. Auch die Vertheilung der König¬
lichen Logen in den Theatern hat sich Ihre Majestät vorbehalten und
oft war sie so gnädig, mir die ihrige in der italienischen oder großen
Oper zU überlassen.

Ein kleiner Zug möge dem Leser einen Begriff von der Herzens¬
güte geben, mit welcher die Königin auch ihre Dienerschaft behandelt.
Eines Tages, als Marie Amvlie grade sehr mit Geschäften über¬
häuft war und sich daher bemühte, Alles rasch abzumachen, trat ein
neuer Bediente, der seinen Dienst noch nicht genau kannte, in den
Salon, in welchem Ihre Majestät sich mit mir befand, und ohne um
Erlaubniß zu bitten, lud er das Holz, welches er trug, vor dem Kamin
ab, rührte die Asche auf, suchte die Kohlen zusammen und legte mit
der größten Gemächlichkeit neues Holz auf. Erst nachdem er zehn
Minuten lang Lärm gemacht, ging er wieder weg. Als er das Zim¬
mer verlassen, sagte die Königin zu mir: "Sehen Sie, Herr Appert,
diesen Menschen, der ungeschickt und noch neu ist, habe ich deshalb
nicht schelten wollen, weil er sonst, wenn er vielleicht als unbrauchbar
seines Dienstes entlassen wird, glauben könnte, es sei um meinetwillen
geschehen."

Die außerordentliche Frömmigkeit der Königin ist bekannt. Sie
beobachtet für sich selbst auf das Strengste die von der Kirche vorge¬
schriebenen Fasten, namentlich den Charfreitag, hat aber auch in dieser
Beziehung gegen Andere die größte Nachsicht. Einmal sah sie im Vor¬
zimmer einen alten Bedienten, welcher ebenfalls regelmäßig die Gebote
der Kirche in Bezug auf die Fasten befolgte und der sehr leidend aus¬
sah. "Ihr scheint matt und krank zu sein," sagte Marie Amvlie
zu ihm, "geht nur und esset etwas, ich will den lieben Gott für Euch


zartfühlend genug waren, den wahren Grund dieser Verschwiegenheit
zu begreifen, ergingen sich in lächerlichen und zum Theil böswilligen
Vermuthungen, über die ich aus Großmuth gegen diese Herren nichts
sagen will. Die Wohlwollendsten unter ihnen meinten, diese Summen
wären Gratistcationen, welche ich von der Königin erhielte.

Wenn meine Audienz zu Ende war, so arbeitete die Königin ge¬
wöhnlich bis 3 Uhr mit ihren Secretairen, den Herren Fällt und
Gereute. Außerdem ward ihr täglich der Küchenzettel vorgelegt,
über den sie jederzeit selbst bestimmte. Ebenso besorgt Marie Am«lie
Alles, was die Königlichen Equipagen angeht und befiehlt dem Ober¬
stallmeister Marquis von Strada, zu welcher Zeit und wie viel
Wagen er für den König, für sie selbst und für die Prinzen und
Prinzessinnen bereit halten solle. Auch die Vertheilung der König¬
lichen Logen in den Theatern hat sich Ihre Majestät vorbehalten und
oft war sie so gnädig, mir die ihrige in der italienischen oder großen
Oper zU überlassen.

Ein kleiner Zug möge dem Leser einen Begriff von der Herzens¬
güte geben, mit welcher die Königin auch ihre Dienerschaft behandelt.
Eines Tages, als Marie Amvlie grade sehr mit Geschäften über¬
häuft war und sich daher bemühte, Alles rasch abzumachen, trat ein
neuer Bediente, der seinen Dienst noch nicht genau kannte, in den
Salon, in welchem Ihre Majestät sich mit mir befand, und ohne um
Erlaubniß zu bitten, lud er das Holz, welches er trug, vor dem Kamin
ab, rührte die Asche auf, suchte die Kohlen zusammen und legte mit
der größten Gemächlichkeit neues Holz auf. Erst nachdem er zehn
Minuten lang Lärm gemacht, ging er wieder weg. Als er das Zim¬
mer verlassen, sagte die Königin zu mir: „Sehen Sie, Herr Appert,
diesen Menschen, der ungeschickt und noch neu ist, habe ich deshalb
nicht schelten wollen, weil er sonst, wenn er vielleicht als unbrauchbar
seines Dienstes entlassen wird, glauben könnte, es sei um meinetwillen
geschehen."

Die außerordentliche Frömmigkeit der Königin ist bekannt. Sie
beobachtet für sich selbst auf das Strengste die von der Kirche vorge¬
schriebenen Fasten, namentlich den Charfreitag, hat aber auch in dieser
Beziehung gegen Andere die größte Nachsicht. Einmal sah sie im Vor¬
zimmer einen alten Bedienten, welcher ebenfalls regelmäßig die Gebote
der Kirche in Bezug auf die Fasten befolgte und der sehr leidend aus¬
sah. „Ihr scheint matt und krank zu sein," sagte Marie Amvlie
zu ihm, „geht nur und esset etwas, ich will den lieben Gott für Euch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/530>, abgerufen am 24.07.2024.