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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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von dem dienstthuenden Kammerdiener angemeldet, und wenn sich nicht
zufällig der König, die Prinzen oder andere bedeutende Personen bei
Ihrer Majestät befanden, jederzeit augenblicklich voll der Königin em¬
pfangen. Sobald ich zu Ihrer Majestät in's Zimmer trat, begrüßte
sie mich mit den Worten: "Guten Tag, Herr Appert, will¬
kommen," und hatte dann stets die Gnade hinzuzusetzen; "Setzen
Sie sich." Niemals hat mich Marie Amvlie in meinen Privat-
Audienzen vor sich stehen lassen, eine Auszeichnung, welche sie zweifels¬
ohne nur meinem Charakter als Abgeordneter der Armen zu
Theil werden ließ; denn stets habe ich selbst die höchsten Personen,
der Hof-Etikette gemäß, vor der Königin stehen sehen.

Diese Privat-Audienzen, in welchen die Königin mit dem höchsten
Wohlwollen zu mir sprach, hatten ein besonderes Interesse und wur¬
den für mich zu wahren Unterrichtsstunden der Tugend und Wohl¬
thätigkeit. In diesen Gesprächen zeigte sich der christliche Sinn und
das edle Herz dieser vortrefflichen Fürstin in seinem vollsten Glänze. Ohne
den Vorwurf der Schmeichelei zu fürchten, erkläre ich, daß ich .es für
unmöglich halte, von diesem ganz dem Wohlthun geweihten Leben ein
Bild zu entwerfen und niemals habe ich nach einer solchen Audienz
ohne das Gefühl der höchsten Bewunderung die Tuilerien verlassen
können.

Ueber die Bittschriften, deren Unterzeichner Theilnahme verdienen,
und welche, wie ich aus den am Rande stehenden Bemerkungen sah,
bereits die Aufmerksamkeit der Königin auf sich gezogen hatten, stattete
ich, meinen vorher eingezogenen Erkundigungen gemäß, münd¬
lichen Bericht ab. Kaum blieb mir außerdem etwas Anderes übrig,
als die Großmuth und Freigebigkeit der Königin nach den Umständen
zu mäßigen und ihr hin und wieder einen Fingerzeig für die seltsamere
Anwendung derselben zu geben. Die Rechnungen, welche ich alle vier¬
zehn Tage über die vertheilten Unterstützungen vorlegte, beliefen sich
auf 3500--3800 und in den Monaten Januar, April, Juli und Ok¬
tober, in welchen die Miethszahlungen fällig sind, selbst auf 4000 Fr.
Oftmals befahl mir Ihre Majestät in der zarten Absicht, den Namen
armer, durch Unglücksfälle heruntergekommener Personen zu verschwei¬
gen, neben der bewilligten Summe nichts Anderes auf die Liste zu
setzen als: "Ausgaben auf besonderen Befehl Ihrer Ma¬
jestät.

Diese Posten haben bei gewissen Palast-Beamten Aufmerksamkeit
erregt und sogar vielfachen Tadel gefunden. Jene Leute, welche nicht


von dem dienstthuenden Kammerdiener angemeldet, und wenn sich nicht
zufällig der König, die Prinzen oder andere bedeutende Personen bei
Ihrer Majestät befanden, jederzeit augenblicklich voll der Königin em¬
pfangen. Sobald ich zu Ihrer Majestät in's Zimmer trat, begrüßte
sie mich mit den Worten: „Guten Tag, Herr Appert, will¬
kommen," und hatte dann stets die Gnade hinzuzusetzen; „Setzen
Sie sich." Niemals hat mich Marie Amvlie in meinen Privat-
Audienzen vor sich stehen lassen, eine Auszeichnung, welche sie zweifels¬
ohne nur meinem Charakter als Abgeordneter der Armen zu
Theil werden ließ; denn stets habe ich selbst die höchsten Personen,
der Hof-Etikette gemäß, vor der Königin stehen sehen.

Diese Privat-Audienzen, in welchen die Königin mit dem höchsten
Wohlwollen zu mir sprach, hatten ein besonderes Interesse und wur¬
den für mich zu wahren Unterrichtsstunden der Tugend und Wohl¬
thätigkeit. In diesen Gesprächen zeigte sich der christliche Sinn und
das edle Herz dieser vortrefflichen Fürstin in seinem vollsten Glänze. Ohne
den Vorwurf der Schmeichelei zu fürchten, erkläre ich, daß ich .es für
unmöglich halte, von diesem ganz dem Wohlthun geweihten Leben ein
Bild zu entwerfen und niemals habe ich nach einer solchen Audienz
ohne das Gefühl der höchsten Bewunderung die Tuilerien verlassen
können.

Ueber die Bittschriften, deren Unterzeichner Theilnahme verdienen,
und welche, wie ich aus den am Rande stehenden Bemerkungen sah,
bereits die Aufmerksamkeit der Königin auf sich gezogen hatten, stattete
ich, meinen vorher eingezogenen Erkundigungen gemäß, münd¬
lichen Bericht ab. Kaum blieb mir außerdem etwas Anderes übrig,
als die Großmuth und Freigebigkeit der Königin nach den Umständen
zu mäßigen und ihr hin und wieder einen Fingerzeig für die seltsamere
Anwendung derselben zu geben. Die Rechnungen, welche ich alle vier¬
zehn Tage über die vertheilten Unterstützungen vorlegte, beliefen sich
auf 3500—3800 und in den Monaten Januar, April, Juli und Ok¬
tober, in welchen die Miethszahlungen fällig sind, selbst auf 4000 Fr.
Oftmals befahl mir Ihre Majestät in der zarten Absicht, den Namen
armer, durch Unglücksfälle heruntergekommener Personen zu verschwei¬
gen, neben der bewilligten Summe nichts Anderes auf die Liste zu
setzen als: „Ausgaben auf besonderen Befehl Ihrer Ma¬
jestät.

Diese Posten haben bei gewissen Palast-Beamten Aufmerksamkeit
erregt und sogar vielfachen Tadel gefunden. Jene Leute, welche nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/529>, abgerufen am 24.07.2024.