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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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lichen Bücher an 15W Bände von Leipzig mir nachschicken ließ. Ich
hatte mir gleich bei meiner Ankunft Aurückgezogenheit und möglichstes
Stillleben zur Aufgabe gemacht und hatte mich bald in meinen Arbeiten
so recht hinein gelebt. Da erhielt ich abermals eine Vorladung. Dies¬
mal erwartete ich sicher die Ertheilung meiner Aufenthaltskarte. Einer
meiner Freunde, der Stadtverordnete V., der grade zu Besuche bei
mir war, als ich mich ankleidete, um der Vorladung Folge zu leisten,
begleitete mich bis zu dem Polizei-Gebäude und da wir uns verabredet
hatten, mit einander zu Tische zu gehen, so wartete er am Eingange
auf meine Rückkunft. Aber statt des gehofften Aufenthaltscheins wurde
mir zu meinem größten Erstaunen eine Verfügung des Polizei-Präsidi¬
ums vorgelesen, daß ich in kürzester Zeit Berlin zu verlassen habe.
Vergebens ersuchte ich um Angabe der Ursache; der Polizei-Beamte
rieth mir blos, daß ich ihn nach Verlauf von drei Tagen zu
Zwangsmaßregeln veranlassen würde, wenn ich bis dahin nicht die Stadt
verlasse. Betroffen erzählte ich meinem unten wartenden Freunde den
ungeahnten Vorfall. Dieser eilte gleich in das Bureau des Herrn Po¬
lizei-Präsidenten von P., den er persönlich kannte, um über die Motive
dieser plötzlichen Ausweisung einigen Aufschluß zu erhalten und nöthigen-
falls Bürgschaft für mich zu leisten. Der Herr Polizei-Präsident äußerte
hierauf, was er an demselben Nachmittage auch mir selbst wiederholte,
daß gegen meine Person und mein Privatleben auch nicht
die mindeste Beschwerde vorliege, daß aber wahrscheinlich die
von mir redigirte Zeitschrift die Veranlassung zu diesem Ministerialbe-
fehle sei. An dem ferneren Aufenthalte in Berlin lag mir ziemlich we¬
nig; wohl aber war es mir wichtig, den wahren Motiven dieser Aus¬
weisung auf den Grund zu schauen. Ist es wirklich möglich, daß in
Preußen eine Zeitschrift, die in Leipzig erscheint und allen gesetzlichen
Vorschriften Genüge leistet, der Person ihres Redacteurs Verfolgung
zuziehen kann? Ich trachtete, eine Unterredung mit dem Herrn Minister
des Innern zu erhalten und erfuhr nun hier aus dem Munde Sr. Ex¬
cellenz selbst, daß die Grenzboten und nur die Grenzboten die Ursache
meiner Ausweisung seien, indem meine Zeitschrift dem Herrn Minister
als ein der preußischen Regierung feindseliges Blatt bezeichnet sei, das
zwar nicht im Ganzen, wohl aber im Einzelnen Abneigung gegen das
preußische Gouvernement manifestire.

Es wäre unklug und indiscret, wenn ich mich über die vielfachen
Details dieser Audienz hier äußern wollte. Der Herr Minister bestand
darauf, die Grenzboten seien ein für Preußen gehässiges Blatt und wollt"
den Umstand, daß ich mich streng in den Grenzen der Censur halte, als
keine Rechtfertigung anerkennen, indem "die Censur nicht ausreiche und
der Redacteur auch noch persönlich und moralisch für sein Blatt verant¬
wortlich sei/' Ich ersuchte vergebens, mir die angeklagten Stellen mit¬
theilen zu wollen; ich stellte Sr. Excellenz vor, daß meine Zeitschrift we¬
der republicanische, noch kommunistische Tendenzen verfolge, daß sie es stets
vermeide, die Person des Monarchen mit in's Spiel zu bringen, daß sie
Scandal und Persönlichkeiten gern ausweicht, daß sie aber allerdings


lichen Bücher an 15W Bände von Leipzig mir nachschicken ließ. Ich
hatte mir gleich bei meiner Ankunft Aurückgezogenheit und möglichstes
Stillleben zur Aufgabe gemacht und hatte mich bald in meinen Arbeiten
so recht hinein gelebt. Da erhielt ich abermals eine Vorladung. Dies¬
mal erwartete ich sicher die Ertheilung meiner Aufenthaltskarte. Einer
meiner Freunde, der Stadtverordnete V., der grade zu Besuche bei
mir war, als ich mich ankleidete, um der Vorladung Folge zu leisten,
begleitete mich bis zu dem Polizei-Gebäude und da wir uns verabredet
hatten, mit einander zu Tische zu gehen, so wartete er am Eingange
auf meine Rückkunft. Aber statt des gehofften Aufenthaltscheins wurde
mir zu meinem größten Erstaunen eine Verfügung des Polizei-Präsidi¬
ums vorgelesen, daß ich in kürzester Zeit Berlin zu verlassen habe.
Vergebens ersuchte ich um Angabe der Ursache; der Polizei-Beamte
rieth mir blos, daß ich ihn nach Verlauf von drei Tagen zu
Zwangsmaßregeln veranlassen würde, wenn ich bis dahin nicht die Stadt
verlasse. Betroffen erzählte ich meinem unten wartenden Freunde den
ungeahnten Vorfall. Dieser eilte gleich in das Bureau des Herrn Po¬
lizei-Präsidenten von P., den er persönlich kannte, um über die Motive
dieser plötzlichen Ausweisung einigen Aufschluß zu erhalten und nöthigen-
falls Bürgschaft für mich zu leisten. Der Herr Polizei-Präsident äußerte
hierauf, was er an demselben Nachmittage auch mir selbst wiederholte,
daß gegen meine Person und mein Privatleben auch nicht
die mindeste Beschwerde vorliege, daß aber wahrscheinlich die
von mir redigirte Zeitschrift die Veranlassung zu diesem Ministerialbe-
fehle sei. An dem ferneren Aufenthalte in Berlin lag mir ziemlich we¬
nig; wohl aber war es mir wichtig, den wahren Motiven dieser Aus¬
weisung auf den Grund zu schauen. Ist es wirklich möglich, daß in
Preußen eine Zeitschrift, die in Leipzig erscheint und allen gesetzlichen
Vorschriften Genüge leistet, der Person ihres Redacteurs Verfolgung
zuziehen kann? Ich trachtete, eine Unterredung mit dem Herrn Minister
des Innern zu erhalten und erfuhr nun hier aus dem Munde Sr. Ex¬
cellenz selbst, daß die Grenzboten und nur die Grenzboten die Ursache
meiner Ausweisung seien, indem meine Zeitschrift dem Herrn Minister
als ein der preußischen Regierung feindseliges Blatt bezeichnet sei, das
zwar nicht im Ganzen, wohl aber im Einzelnen Abneigung gegen das
preußische Gouvernement manifestire.

Es wäre unklug und indiscret, wenn ich mich über die vielfachen
Details dieser Audienz hier äußern wollte. Der Herr Minister bestand
darauf, die Grenzboten seien ein für Preußen gehässiges Blatt und wollt«
den Umstand, daß ich mich streng in den Grenzen der Censur halte, als
keine Rechtfertigung anerkennen, indem „die Censur nicht ausreiche und
der Redacteur auch noch persönlich und moralisch für sein Blatt verant¬
wortlich sei/' Ich ersuchte vergebens, mir die angeklagten Stellen mit¬
theilen zu wollen; ich stellte Sr. Excellenz vor, daß meine Zeitschrift we¬
der republicanische, noch kommunistische Tendenzen verfolge, daß sie es stets
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[0518] lichen Bücher an 15W Bände von Leipzig mir nachschicken ließ. Ich hatte mir gleich bei meiner Ankunft Aurückgezogenheit und möglichstes Stillleben zur Aufgabe gemacht und hatte mich bald in meinen Arbeiten so recht hinein gelebt. Da erhielt ich abermals eine Vorladung. Dies¬ mal erwartete ich sicher die Ertheilung meiner Aufenthaltskarte. Einer meiner Freunde, der Stadtverordnete V., der grade zu Besuche bei mir war, als ich mich ankleidete, um der Vorladung Folge zu leisten, begleitete mich bis zu dem Polizei-Gebäude und da wir uns verabredet hatten, mit einander zu Tische zu gehen, so wartete er am Eingange auf meine Rückkunft. Aber statt des gehofften Aufenthaltscheins wurde mir zu meinem größten Erstaunen eine Verfügung des Polizei-Präsidi¬ ums vorgelesen, daß ich in kürzester Zeit Berlin zu verlassen habe. Vergebens ersuchte ich um Angabe der Ursache; der Polizei-Beamte rieth mir blos, daß ich ihn nach Verlauf von drei Tagen zu Zwangsmaßregeln veranlassen würde, wenn ich bis dahin nicht die Stadt verlasse. Betroffen erzählte ich meinem unten wartenden Freunde den ungeahnten Vorfall. Dieser eilte gleich in das Bureau des Herrn Po¬ lizei-Präsidenten von P., den er persönlich kannte, um über die Motive dieser plötzlichen Ausweisung einigen Aufschluß zu erhalten und nöthigen- falls Bürgschaft für mich zu leisten. Der Herr Polizei-Präsident äußerte hierauf, was er an demselben Nachmittage auch mir selbst wiederholte, daß gegen meine Person und mein Privatleben auch nicht die mindeste Beschwerde vorliege, daß aber wahrscheinlich die von mir redigirte Zeitschrift die Veranlassung zu diesem Ministerialbe- fehle sei. An dem ferneren Aufenthalte in Berlin lag mir ziemlich we¬ nig; wohl aber war es mir wichtig, den wahren Motiven dieser Aus¬ weisung auf den Grund zu schauen. Ist es wirklich möglich, daß in Preußen eine Zeitschrift, die in Leipzig erscheint und allen gesetzlichen Vorschriften Genüge leistet, der Person ihres Redacteurs Verfolgung zuziehen kann? Ich trachtete, eine Unterredung mit dem Herrn Minister des Innern zu erhalten und erfuhr nun hier aus dem Munde Sr. Ex¬ cellenz selbst, daß die Grenzboten und nur die Grenzboten die Ursache meiner Ausweisung seien, indem meine Zeitschrift dem Herrn Minister als ein der preußischen Regierung feindseliges Blatt bezeichnet sei, das zwar nicht im Ganzen, wohl aber im Einzelnen Abneigung gegen das preußische Gouvernement manifestire. Es wäre unklug und indiscret, wenn ich mich über die vielfachen Details dieser Audienz hier äußern wollte. Der Herr Minister bestand darauf, die Grenzboten seien ein für Preußen gehässiges Blatt und wollt« den Umstand, daß ich mich streng in den Grenzen der Censur halte, als keine Rechtfertigung anerkennen, indem „die Censur nicht ausreiche und der Redacteur auch noch persönlich und moralisch für sein Blatt verant¬ wortlich sei/' Ich ersuchte vergebens, mir die angeklagten Stellen mit¬ theilen zu wollen; ich stellte Sr. Excellenz vor, daß meine Zeitschrift we¬ der republicanische, noch kommunistische Tendenzen verfolge, daß sie es stets vermeide, die Person des Monarchen mit in's Spiel zu bringen, daß sie Scandal und Persönlichkeiten gern ausweicht, daß sie aber allerdings

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/518>, abgerufen am 24.07.2024.