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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Gin vorläufiges Wort
über meine Ausweisung aus dem preußischen Staate.



Der Redacteur dieser Blätter hält sich seinen Lesern gegenüber für
verpflichtet, einige Worte der Aufklärung über eine Thatsache zu geben,
die ihn selbst betrifft. Wenn im vorigen Jahre die Gesammt-Stimme
deutscher Nation für die beiden Ehrenmänner sich erhob, denen eine
ähnliche Kränkung widerfahren, so war es ihr allgemein bekannter und
geehrter Charakter, der sie vor Verdächtigungen schützte. Nicht so ist es
mit einem vereinzelt dastehenden Schriftsteller. Sein geringes Verdienst
gibt ihm kein Anrecht auf das Interesse der Nation, sein geringer Ruf
setzt seinen Charakter um so leichter der Verdächtigung aus, je heftiger
und unerklärlicher die Maßregel erscheint, die eine so mächtige Regierung,
wie die preußische gegen ihn zu ergreifen für nöthig fand. Um so noth¬
wendiger scheint es ihm zur Rettung seiner Ehre, den wahren Her¬
gang darzustellen. Wenn er, trotz der tiefen Kränkung, die ihm wi¬
derfahren, mit Besonnenheit und Zurückhaltung sich ausdrückt, so wird
man vielleicht daraus schließen, wie wenig die Leidenschaftlichkeit seines
persönlichen Charakters Anlaß zu einem solchen Schritte geben konnte.

Ich kam im April d. I. nach Berlin mit dem Vorsatze, hier einige
Zeit zu bleiben, theils um die geistigen Bewegungen Berlins in der
Nähe kennen zu lernen, theils um hier eine literarische Arbeit zu voll¬
enden, welche geschichtliche Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts be¬
rührt, über welche in Berlin das meiste Material zu finden ist. Ich
schickte gleich bei meiner Ankunft meinen vollständig ordnungsgemäß
ausgestellten und visirten Paß auf die Polizei, um vorläufig eine Aufent¬
haltskarte auf 14 Tage holen zu lassen. Der Lohnbediente brachte mir
mit einiger Verwunderung die Karte, die wider alle Gewohnheit blos
auf 4 Tage ausgestellt war. Bald darauf erhielt ich eine Vorladung
zur Polizei. Hier wurde ein genaues Protokoll mit mir aufgenommen,
namentlich über den Zweck meines Aufenthalts und über die beabsichtigte
Dauer desselben. Hierauf verstrichen 6 Wochen, ohne daß mir die ver¬
langte Aufenthaltskarte zugesendet wurde. Ein höherer Beamter, zu dein
ich mich einmal verwundert darüber äußerte, war der Meinung, daß man
wahrscheinlich erst bei dem Ministerium über den mir zu bewilligenden
Aufenthalt angefragt haben mag. Ich dachte so wenig Arges, daß ich
eine Privatwohnung miethete, sie ausmeubliren ließ und meine sammt-


Grenzboten. III. Is"".
Gin vorläufiges Wort
über meine Ausweisung aus dem preußischen Staate.



Der Redacteur dieser Blätter hält sich seinen Lesern gegenüber für
verpflichtet, einige Worte der Aufklärung über eine Thatsache zu geben,
die ihn selbst betrifft. Wenn im vorigen Jahre die Gesammt-Stimme
deutscher Nation für die beiden Ehrenmänner sich erhob, denen eine
ähnliche Kränkung widerfahren, so war es ihr allgemein bekannter und
geehrter Charakter, der sie vor Verdächtigungen schützte. Nicht so ist es
mit einem vereinzelt dastehenden Schriftsteller. Sein geringes Verdienst
gibt ihm kein Anrecht auf das Interesse der Nation, sein geringer Ruf
setzt seinen Charakter um so leichter der Verdächtigung aus, je heftiger
und unerklärlicher die Maßregel erscheint, die eine so mächtige Regierung,
wie die preußische gegen ihn zu ergreifen für nöthig fand. Um so noth¬
wendiger scheint es ihm zur Rettung seiner Ehre, den wahren Her¬
gang darzustellen. Wenn er, trotz der tiefen Kränkung, die ihm wi¬
derfahren, mit Besonnenheit und Zurückhaltung sich ausdrückt, so wird
man vielleicht daraus schließen, wie wenig die Leidenschaftlichkeit seines
persönlichen Charakters Anlaß zu einem solchen Schritte geben konnte.

Ich kam im April d. I. nach Berlin mit dem Vorsatze, hier einige
Zeit zu bleiben, theils um die geistigen Bewegungen Berlins in der
Nähe kennen zu lernen, theils um hier eine literarische Arbeit zu voll¬
enden, welche geschichtliche Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts be¬
rührt, über welche in Berlin das meiste Material zu finden ist. Ich
schickte gleich bei meiner Ankunft meinen vollständig ordnungsgemäß
ausgestellten und visirten Paß auf die Polizei, um vorläufig eine Aufent¬
haltskarte auf 14 Tage holen zu lassen. Der Lohnbediente brachte mir
mit einiger Verwunderung die Karte, die wider alle Gewohnheit blos
auf 4 Tage ausgestellt war. Bald darauf erhielt ich eine Vorladung
zur Polizei. Hier wurde ein genaues Protokoll mit mir aufgenommen,
namentlich über den Zweck meines Aufenthalts und über die beabsichtigte
Dauer desselben. Hierauf verstrichen 6 Wochen, ohne daß mir die ver¬
langte Aufenthaltskarte zugesendet wurde. Ein höherer Beamter, zu dein
ich mich einmal verwundert darüber äußerte, war der Meinung, daß man
wahrscheinlich erst bei dem Ministerium über den mir zu bewilligenden
Aufenthalt angefragt haben mag. Ich dachte so wenig Arges, daß ich
eine Privatwohnung miethete, sie ausmeubliren ließ und meine sammt-


Grenzboten. III. Is««.
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[0517] Gin vorläufiges Wort über meine Ausweisung aus dem preußischen Staate. Der Redacteur dieser Blätter hält sich seinen Lesern gegenüber für verpflichtet, einige Worte der Aufklärung über eine Thatsache zu geben, die ihn selbst betrifft. Wenn im vorigen Jahre die Gesammt-Stimme deutscher Nation für die beiden Ehrenmänner sich erhob, denen eine ähnliche Kränkung widerfahren, so war es ihr allgemein bekannter und geehrter Charakter, der sie vor Verdächtigungen schützte. Nicht so ist es mit einem vereinzelt dastehenden Schriftsteller. Sein geringes Verdienst gibt ihm kein Anrecht auf das Interesse der Nation, sein geringer Ruf setzt seinen Charakter um so leichter der Verdächtigung aus, je heftiger und unerklärlicher die Maßregel erscheint, die eine so mächtige Regierung, wie die preußische gegen ihn zu ergreifen für nöthig fand. Um so noth¬ wendiger scheint es ihm zur Rettung seiner Ehre, den wahren Her¬ gang darzustellen. Wenn er, trotz der tiefen Kränkung, die ihm wi¬ derfahren, mit Besonnenheit und Zurückhaltung sich ausdrückt, so wird man vielleicht daraus schließen, wie wenig die Leidenschaftlichkeit seines persönlichen Charakters Anlaß zu einem solchen Schritte geben konnte. Ich kam im April d. I. nach Berlin mit dem Vorsatze, hier einige Zeit zu bleiben, theils um die geistigen Bewegungen Berlins in der Nähe kennen zu lernen, theils um hier eine literarische Arbeit zu voll¬ enden, welche geschichtliche Persönlichkeiten des vorigen Jahrhunderts be¬ rührt, über welche in Berlin das meiste Material zu finden ist. Ich schickte gleich bei meiner Ankunft meinen vollständig ordnungsgemäß ausgestellten und visirten Paß auf die Polizei, um vorläufig eine Aufent¬ haltskarte auf 14 Tage holen zu lassen. Der Lohnbediente brachte mir mit einiger Verwunderung die Karte, die wider alle Gewohnheit blos auf 4 Tage ausgestellt war. Bald darauf erhielt ich eine Vorladung zur Polizei. Hier wurde ein genaues Protokoll mit mir aufgenommen, namentlich über den Zweck meines Aufenthalts und über die beabsichtigte Dauer desselben. Hierauf verstrichen 6 Wochen, ohne daß mir die ver¬ langte Aufenthaltskarte zugesendet wurde. Ein höherer Beamter, zu dein ich mich einmal verwundert darüber äußerte, war der Meinung, daß man wahrscheinlich erst bei dem Ministerium über den mir zu bewilligenden Aufenthalt angefragt haben mag. Ich dachte so wenig Arges, daß ich eine Privatwohnung miethete, sie ausmeubliren ließ und meine sammt- Grenzboten. III. Is««.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/517>, abgerufen am 04.07.2024.