Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Hundes mich hingegeben -- es ist ein fürstlicher Herr, voll Großmuth
und Dankbarkeit. Hahaha! Du siehst, ich bin nicht wahnsinnig. Da¬
mals aber war ich es, denn ich forderte ihn vor Gericht. Ich ver¬
langte von den Gesetzen Genugthuung für meine Ehre; ich war wahn¬
witzig. Die Richter erstarrten, als ich mit der eisernen Faust meiner
Forderung auf ihren Tisch klopfte; sie erbebten, aber nicht vor mir,
sondern vor dem Gedanken ihrer Pflicht.

Nur der Präsident erhob sich, und sein kaltes gleißnerisches Ge¬
sicht verzerrte sich zu einem diabolischen Lächeln. -- "Sie sind Pro¬
fessor?" fragte er. -- "Wie Sie wissen!" -- "Der Philologie?" --
"Mein Fach." -- "Wohlan, Herr Professor, so darf ich Sie wohl
nicht erst aufmerksam machen auf eine Weltordnung, die selbst im Be¬
reiche der Grammatik ihre Stützen hat. Sie werden wissen, daß die
Adjectiva, obgleich sie die Richter aller Gegenstände sind, und über
das gut und schlecht den Ausspruch thun, dennoch sich in Zahl und
Endung nach dem Hauptworte richten müssen und in ihrer Con-
struction von ihm allein abhängen." -- Und alle Uebrigen erhoben
sich bei diesen Worten von ihren Sitzen und gingen mit triumphiren-
den Augen von bannen; auch nicht Einer blieb. Ich aber schlug
mein tolles Haupt blutig an die Mauer und fluchte mir und einer
Lehre, die ich selbst verbreiten half.




Ein Schrei unterbrach hier den jugendlichen Vorleser. Die Gräfin
lag ohnmächtig in den Armen ihrer Begleiterin. Die Gesellschaft, die
in dem Badesaale versammelt war, reihte sich in ängstlichen Gruppen
um die Ohnmächtige. Der junge Mann warf einen Blick voll tri-
umphirender Bitterkeit auf sie, den Keiner bemerkte, als das schwarze
Männlein mit dem Höcker, der mit stechenden Augen der Vorlesung
gefolgt war. In diesem Momente flüsterte der Herr mit dem Ordens¬
bande dem Vorleser einige Worte in's Ohr. Der junge Mann fuhr
mit glühendem Gesichte auf; mit krampfhafter Bewegung faßte er die
Hand des besternten Herrn: Sie sind's! -- schrie er auf -- diese
wenigen Worte geben mir endlich Gewißheit; Sie sind der Dämon,
der Mörder meines Vaters!

-- Der Fürst? schrie die ganze Gesellschaft erstarrt.

-- Ja, dieser Mann ist's, dessen Spuren ich seit zwei Jahren,
aus den fernen Steppen meiner Heimath bis in die freundliche" Thäler
dieses Badeortes verfolgte und jene Frau, es ist meine Mutter, es ist


Hundes mich hingegeben — es ist ein fürstlicher Herr, voll Großmuth
und Dankbarkeit. Hahaha! Du siehst, ich bin nicht wahnsinnig. Da¬
mals aber war ich es, denn ich forderte ihn vor Gericht. Ich ver¬
langte von den Gesetzen Genugthuung für meine Ehre; ich war wahn¬
witzig. Die Richter erstarrten, als ich mit der eisernen Faust meiner
Forderung auf ihren Tisch klopfte; sie erbebten, aber nicht vor mir,
sondern vor dem Gedanken ihrer Pflicht.

Nur der Präsident erhob sich, und sein kaltes gleißnerisches Ge¬
sicht verzerrte sich zu einem diabolischen Lächeln. — „Sie sind Pro¬
fessor?" fragte er. — „Wie Sie wissen!" — „Der Philologie?" —
„Mein Fach." — „Wohlan, Herr Professor, so darf ich Sie wohl
nicht erst aufmerksam machen auf eine Weltordnung, die selbst im Be¬
reiche der Grammatik ihre Stützen hat. Sie werden wissen, daß die
Adjectiva, obgleich sie die Richter aller Gegenstände sind, und über
das gut und schlecht den Ausspruch thun, dennoch sich in Zahl und
Endung nach dem Hauptworte richten müssen und in ihrer Con-
struction von ihm allein abhängen." — Und alle Uebrigen erhoben
sich bei diesen Worten von ihren Sitzen und gingen mit triumphiren-
den Augen von bannen; auch nicht Einer blieb. Ich aber schlug
mein tolles Haupt blutig an die Mauer und fluchte mir und einer
Lehre, die ich selbst verbreiten half.




Ein Schrei unterbrach hier den jugendlichen Vorleser. Die Gräfin
lag ohnmächtig in den Armen ihrer Begleiterin. Die Gesellschaft, die
in dem Badesaale versammelt war, reihte sich in ängstlichen Gruppen
um die Ohnmächtige. Der junge Mann warf einen Blick voll tri-
umphirender Bitterkeit auf sie, den Keiner bemerkte, als das schwarze
Männlein mit dem Höcker, der mit stechenden Augen der Vorlesung
gefolgt war. In diesem Momente flüsterte der Herr mit dem Ordens¬
bande dem Vorleser einige Worte in's Ohr. Der junge Mann fuhr
mit glühendem Gesichte auf; mit krampfhafter Bewegung faßte er die
Hand des besternten Herrn: Sie sind's! — schrie er auf — diese
wenigen Worte geben mir endlich Gewißheit; Sie sind der Dämon,
der Mörder meines Vaters!

— Der Fürst? schrie die ganze Gesellschaft erstarrt.

— Ja, dieser Mann ist's, dessen Spuren ich seit zwei Jahren,
aus den fernen Steppen meiner Heimath bis in die freundliche» Thäler
dieses Badeortes verfolgte und jene Frau, es ist meine Mutter, es ist


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183507"/>
            <p xml:id="ID_1400" prev="#ID_1399"> Hundes mich hingegeben &#x2014; es ist ein fürstlicher Herr, voll Großmuth<lb/>
und Dankbarkeit. Hahaha! Du siehst, ich bin nicht wahnsinnig. Da¬<lb/>
mals aber war ich es, denn ich forderte ihn vor Gericht. Ich ver¬<lb/>
langte von den Gesetzen Genugthuung für meine Ehre; ich war wahn¬<lb/>
witzig. Die Richter erstarrten, als ich mit der eisernen Faust meiner<lb/>
Forderung auf ihren Tisch klopfte; sie erbebten, aber nicht vor mir,<lb/>
sondern vor dem Gedanken ihrer Pflicht.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1401"> Nur der Präsident erhob sich, und sein kaltes gleißnerisches Ge¬<lb/>
sicht verzerrte sich zu einem diabolischen Lächeln. &#x2014; &#x201E;Sie sind Pro¬<lb/>
fessor?" fragte er. &#x2014; &#x201E;Wie Sie wissen!" &#x2014; &#x201E;Der Philologie?" &#x2014;<lb/>
&#x201E;Mein Fach." &#x2014; &#x201E;Wohlan, Herr Professor, so darf ich Sie wohl<lb/>
nicht erst aufmerksam machen auf eine Weltordnung, die selbst im Be¬<lb/>
reiche der Grammatik ihre Stützen hat. Sie werden wissen, daß die<lb/>
Adjectiva, obgleich sie die Richter aller Gegenstände sind, und über<lb/>
das gut und schlecht den Ausspruch thun, dennoch sich in Zahl und<lb/>
Endung nach dem Hauptworte richten müssen und in ihrer Con-<lb/>
struction von ihm allein abhängen." &#x2014; Und alle Uebrigen erhoben<lb/>
sich bei diesen Worten von ihren Sitzen und gingen mit triumphiren-<lb/>
den Augen von bannen; auch nicht Einer blieb. Ich aber schlug<lb/>
mein tolles Haupt blutig an die Mauer und fluchte mir und einer<lb/>
Lehre, die ich selbst verbreiten half.</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p xml:id="ID_1402"> Ein Schrei unterbrach hier den jugendlichen Vorleser. Die Gräfin<lb/>
lag ohnmächtig in den Armen ihrer Begleiterin. Die Gesellschaft, die<lb/>
in dem Badesaale versammelt war, reihte sich in ängstlichen Gruppen<lb/>
um die Ohnmächtige. Der junge Mann warf einen Blick voll tri-<lb/>
umphirender Bitterkeit auf sie, den Keiner bemerkte, als das schwarze<lb/>
Männlein mit dem Höcker, der mit stechenden Augen der Vorlesung<lb/>
gefolgt war. In diesem Momente flüsterte der Herr mit dem Ordens¬<lb/>
bande dem Vorleser einige Worte in's Ohr. Der junge Mann fuhr<lb/>
mit glühendem Gesichte auf; mit krampfhafter Bewegung faßte er die<lb/>
Hand des besternten Herrn: Sie sind's! &#x2014; schrie er auf &#x2014; diese<lb/>
wenigen Worte geben mir endlich Gewißheit; Sie sind der Dämon,<lb/>
der Mörder meines Vaters!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1403"> &#x2014; Der Fürst? schrie die ganze Gesellschaft erstarrt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1404" next="#ID_1405"> &#x2014; Ja, dieser Mann ist's, dessen Spuren ich seit zwei Jahren,<lb/>
aus den fernen Steppen meiner Heimath bis in die freundliche» Thäler<lb/>
dieses Badeortes verfolgte und jene Frau, es ist meine Mutter, es ist</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] Hundes mich hingegeben — es ist ein fürstlicher Herr, voll Großmuth und Dankbarkeit. Hahaha! Du siehst, ich bin nicht wahnsinnig. Da¬ mals aber war ich es, denn ich forderte ihn vor Gericht. Ich ver¬ langte von den Gesetzen Genugthuung für meine Ehre; ich war wahn¬ witzig. Die Richter erstarrten, als ich mit der eisernen Faust meiner Forderung auf ihren Tisch klopfte; sie erbebten, aber nicht vor mir, sondern vor dem Gedanken ihrer Pflicht. Nur der Präsident erhob sich, und sein kaltes gleißnerisches Ge¬ sicht verzerrte sich zu einem diabolischen Lächeln. — „Sie sind Pro¬ fessor?" fragte er. — „Wie Sie wissen!" — „Der Philologie?" — „Mein Fach." — „Wohlan, Herr Professor, so darf ich Sie wohl nicht erst aufmerksam machen auf eine Weltordnung, die selbst im Be¬ reiche der Grammatik ihre Stützen hat. Sie werden wissen, daß die Adjectiva, obgleich sie die Richter aller Gegenstände sind, und über das gut und schlecht den Ausspruch thun, dennoch sich in Zahl und Endung nach dem Hauptworte richten müssen und in ihrer Con- struction von ihm allein abhängen." — Und alle Uebrigen erhoben sich bei diesen Worten von ihren Sitzen und gingen mit triumphiren- den Augen von bannen; auch nicht Einer blieb. Ich aber schlug mein tolles Haupt blutig an die Mauer und fluchte mir und einer Lehre, die ich selbst verbreiten half. Ein Schrei unterbrach hier den jugendlichen Vorleser. Die Gräfin lag ohnmächtig in den Armen ihrer Begleiterin. Die Gesellschaft, die in dem Badesaale versammelt war, reihte sich in ängstlichen Gruppen um die Ohnmächtige. Der junge Mann warf einen Blick voll tri- umphirender Bitterkeit auf sie, den Keiner bemerkte, als das schwarze Männlein mit dem Höcker, der mit stechenden Augen der Vorlesung gefolgt war. In diesem Momente flüsterte der Herr mit dem Ordens¬ bande dem Vorleser einige Worte in's Ohr. Der junge Mann fuhr mit glühendem Gesichte auf; mit krampfhafter Bewegung faßte er die Hand des besternten Herrn: Sie sind's! — schrie er auf — diese wenigen Worte geben mir endlich Gewißheit; Sie sind der Dämon, der Mörder meines Vaters! — Der Fürst? schrie die ganze Gesellschaft erstarrt. — Ja, dieser Mann ist's, dessen Spuren ich seit zwei Jahren, aus den fernen Steppen meiner Heimath bis in die freundliche» Thäler dieses Badeortes verfolgte und jene Frau, es ist meine Mutter, es ist

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/486>, abgerufen am 24.07.2024.