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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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aus Wien sein Gastspiel. Man sieht namentlich Mad, Rettich mit gro¬
ßer Spannung entgegen.

Das kirchliche Drama, das hier unter dem Namen Synode seil
einigen Wochen spielt, findet im Publicum eine wunderbare Gleichgiltig-
keit und begegnete man nicht hier und dort einem der ehrwürdigen Herren,
auf fleischlichem Wege bei Schott, Milenz oder Tietz, wo sie, durch ein
copiöses Mittagsmahl von ihren Seelsorgen sich erholen, die Laien wür¬
den kaum von ihrer Existenz in der Hauptstadt wissen. Eine der in¬
teressantesten Personen der Synode ist der greise und vielverdiente Ge¬
neral Hiller, der bereits unter Friedrich dem Großen in den Soldaten¬
stand getreten ist und jetzt als ein achtzigjähriger, frischer und lebens¬
lustiger Greis, als Laienabgeordneter von Schlesien, in der Synode sitzt,
um das freisinnige Element seiner Provinz in dem geistlichen Congresse
mit gewohnter Tapferkeit zu vertreten. Es ist in der That eine Lust,
die noch fast jugendliche Rührigkeit des alten Herrn zu beobachten. Einer
meiner Bekannten, der ihn unlängst in die Vorstellung des "schlesischen
Feldlagers" begleitete, erzählte mir, der alte Herr sei vor Aufregung au¬
ßer sich gewesen, als er den bekannten zweiten Act mit seinen im Styl.-
Friedrichs II, costümirten Soldatengruppen gesehen habe. Er mußte sich
die Thränen aus den Augen wischen: Diese Uniform habe ich selbst noch
getragen, flüsterte er seinem Nachbar zu.

Die hiesige Akademie der Wissenschaften hielt Mittwoch am I. Juli
eine interessante Sitzung. Die Sitzungen der Akademie finden zwar regel¬
mäßig nur an Donnerstagen statt, aber da auf diesen Tage das leib-
nitz'sche Jubiläum fiel, so verlegte man ihm zu Ehren, die Feierlichkeit
um einen Tag zurück. Zwei Reden zeichneten sich namentlich aus, die
eine von Vökh, der solche Gelegenheit selten vorüber gehen läßt, ohne
für die Freiheit der Wissenschaft ein warmes Wort zu sprechen und
nöthigenfalls -- wie dieses Mal -- eine Lanze zu brechen, und eine
zweite Rede von Perz über die Religionsansichten Leibnitzens. Letztere
erschien bereits nach zwei Tagen in der verdienstvollen hier erscheinenden
"Zeitschrift für Geschichtswissenschaft." Schelling und der Minister Eich¬
horn wohnten jener Sitzung bei.

In den Hofkreisen ist der Ausflug des Königs, der in Begleitung
des Königs von Sachsen ,,um zu botanisiren" nach Rügen reiste, das
Tagesgespräch. Die eigentliche Blume, die den Mittelpunkt dieser bota¬
nischen Reisen bildet, soll die reizende Prinzessin Louise sein, die in Rü¬
gen mit dem Kronprinzen von Schweden versprochen worden sein soll.
Die junge Prinzessin ist eine Tochter des Prinzen Carl. Sie befindet
sich mit ihrer Mutter in Rügen, wo auch vor einigen Tagen die Köni¬
gin von Schweden angelangt ist. Was dieser Angelegenheit in den
Augen der Adelsaristokratie eine besondere Wichtigkeit gibt, ist der Um¬
stand, daß ein Enkel Bernadotte's, des gekrönten Advocatensohncs aus
Pan, Mitglied der königlichen Familie werden soll. Die uckermärkischen
Legitimisten, plus lo^alistvs "zuo Jo rui, sehen darin etwas Wunderbares.
Aber der Sohn des edlen Oskar von Schweden ist so legitim, wie nur
irgend ein Abkömmling des üroit vivo.


aus Wien sein Gastspiel. Man sieht namentlich Mad, Rettich mit gro¬
ßer Spannung entgegen.

Das kirchliche Drama, das hier unter dem Namen Synode seil
einigen Wochen spielt, findet im Publicum eine wunderbare Gleichgiltig-
keit und begegnete man nicht hier und dort einem der ehrwürdigen Herren,
auf fleischlichem Wege bei Schott, Milenz oder Tietz, wo sie, durch ein
copiöses Mittagsmahl von ihren Seelsorgen sich erholen, die Laien wür¬
den kaum von ihrer Existenz in der Hauptstadt wissen. Eine der in¬
teressantesten Personen der Synode ist der greise und vielverdiente Ge¬
neral Hiller, der bereits unter Friedrich dem Großen in den Soldaten¬
stand getreten ist und jetzt als ein achtzigjähriger, frischer und lebens¬
lustiger Greis, als Laienabgeordneter von Schlesien, in der Synode sitzt,
um das freisinnige Element seiner Provinz in dem geistlichen Congresse
mit gewohnter Tapferkeit zu vertreten. Es ist in der That eine Lust,
die noch fast jugendliche Rührigkeit des alten Herrn zu beobachten. Einer
meiner Bekannten, der ihn unlängst in die Vorstellung des „schlesischen
Feldlagers" begleitete, erzählte mir, der alte Herr sei vor Aufregung au¬
ßer sich gewesen, als er den bekannten zweiten Act mit seinen im Styl.-
Friedrichs II, costümirten Soldatengruppen gesehen habe. Er mußte sich
die Thränen aus den Augen wischen: Diese Uniform habe ich selbst noch
getragen, flüsterte er seinem Nachbar zu.

Die hiesige Akademie der Wissenschaften hielt Mittwoch am I. Juli
eine interessante Sitzung. Die Sitzungen der Akademie finden zwar regel¬
mäßig nur an Donnerstagen statt, aber da auf diesen Tage das leib-
nitz'sche Jubiläum fiel, so verlegte man ihm zu Ehren, die Feierlichkeit
um einen Tag zurück. Zwei Reden zeichneten sich namentlich aus, die
eine von Vökh, der solche Gelegenheit selten vorüber gehen läßt, ohne
für die Freiheit der Wissenschaft ein warmes Wort zu sprechen und
nöthigenfalls — wie dieses Mal — eine Lanze zu brechen, und eine
zweite Rede von Perz über die Religionsansichten Leibnitzens. Letztere
erschien bereits nach zwei Tagen in der verdienstvollen hier erscheinenden
„Zeitschrift für Geschichtswissenschaft." Schelling und der Minister Eich¬
horn wohnten jener Sitzung bei.

In den Hofkreisen ist der Ausflug des Königs, der in Begleitung
des Königs von Sachsen ,,um zu botanisiren" nach Rügen reiste, das
Tagesgespräch. Die eigentliche Blume, die den Mittelpunkt dieser bota¬
nischen Reisen bildet, soll die reizende Prinzessin Louise sein, die in Rü¬
gen mit dem Kronprinzen von Schweden versprochen worden sein soll.
Die junge Prinzessin ist eine Tochter des Prinzen Carl. Sie befindet
sich mit ihrer Mutter in Rügen, wo auch vor einigen Tagen die Köni¬
gin von Schweden angelangt ist. Was dieser Angelegenheit in den
Augen der Adelsaristokratie eine besondere Wichtigkeit gibt, ist der Um¬
stand, daß ein Enkel Bernadotte's, des gekrönten Advocatensohncs aus
Pan, Mitglied der königlichen Familie werden soll. Die uckermärkischen
Legitimisten, plus lo^alistvs «zuo Jo rui, sehen darin etwas Wunderbares.
Aber der Sohn des edlen Oskar von Schweden ist so legitim, wie nur
irgend ein Abkömmling des üroit vivo.


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[0047] aus Wien sein Gastspiel. Man sieht namentlich Mad, Rettich mit gro¬ ßer Spannung entgegen. Das kirchliche Drama, das hier unter dem Namen Synode seil einigen Wochen spielt, findet im Publicum eine wunderbare Gleichgiltig- keit und begegnete man nicht hier und dort einem der ehrwürdigen Herren, auf fleischlichem Wege bei Schott, Milenz oder Tietz, wo sie, durch ein copiöses Mittagsmahl von ihren Seelsorgen sich erholen, die Laien wür¬ den kaum von ihrer Existenz in der Hauptstadt wissen. Eine der in¬ teressantesten Personen der Synode ist der greise und vielverdiente Ge¬ neral Hiller, der bereits unter Friedrich dem Großen in den Soldaten¬ stand getreten ist und jetzt als ein achtzigjähriger, frischer und lebens¬ lustiger Greis, als Laienabgeordneter von Schlesien, in der Synode sitzt, um das freisinnige Element seiner Provinz in dem geistlichen Congresse mit gewohnter Tapferkeit zu vertreten. Es ist in der That eine Lust, die noch fast jugendliche Rührigkeit des alten Herrn zu beobachten. Einer meiner Bekannten, der ihn unlängst in die Vorstellung des „schlesischen Feldlagers" begleitete, erzählte mir, der alte Herr sei vor Aufregung au¬ ßer sich gewesen, als er den bekannten zweiten Act mit seinen im Styl.- Friedrichs II, costümirten Soldatengruppen gesehen habe. Er mußte sich die Thränen aus den Augen wischen: Diese Uniform habe ich selbst noch getragen, flüsterte er seinem Nachbar zu. Die hiesige Akademie der Wissenschaften hielt Mittwoch am I. Juli eine interessante Sitzung. Die Sitzungen der Akademie finden zwar regel¬ mäßig nur an Donnerstagen statt, aber da auf diesen Tage das leib- nitz'sche Jubiläum fiel, so verlegte man ihm zu Ehren, die Feierlichkeit um einen Tag zurück. Zwei Reden zeichneten sich namentlich aus, die eine von Vökh, der solche Gelegenheit selten vorüber gehen läßt, ohne für die Freiheit der Wissenschaft ein warmes Wort zu sprechen und nöthigenfalls — wie dieses Mal — eine Lanze zu brechen, und eine zweite Rede von Perz über die Religionsansichten Leibnitzens. Letztere erschien bereits nach zwei Tagen in der verdienstvollen hier erscheinenden „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft." Schelling und der Minister Eich¬ horn wohnten jener Sitzung bei. In den Hofkreisen ist der Ausflug des Königs, der in Begleitung des Königs von Sachsen ,,um zu botanisiren" nach Rügen reiste, das Tagesgespräch. Die eigentliche Blume, die den Mittelpunkt dieser bota¬ nischen Reisen bildet, soll die reizende Prinzessin Louise sein, die in Rü¬ gen mit dem Kronprinzen von Schweden versprochen worden sein soll. Die junge Prinzessin ist eine Tochter des Prinzen Carl. Sie befindet sich mit ihrer Mutter in Rügen, wo auch vor einigen Tagen die Köni¬ gin von Schweden angelangt ist. Was dieser Angelegenheit in den Augen der Adelsaristokratie eine besondere Wichtigkeit gibt, ist der Um¬ stand, daß ein Enkel Bernadotte's, des gekrönten Advocatensohncs aus Pan, Mitglied der königlichen Familie werden soll. Die uckermärkischen Legitimisten, plus lo^alistvs «zuo Jo rui, sehen darin etwas Wunderbares. Aber der Sohn des edlen Oskar von Schweden ist so legitim, wie nur irgend ein Abkömmling des üroit vivo.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/47>, abgerufen am 24.07.2024.