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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Rechnet man nun noch die großen Salinen zu Unna und Werk
zu diesem Reichthum der Natur, mit welchem die Grafschaft Mark
beschenkt ist, hinzu, so muß man sich gestehen, daß man in Deutsch¬
land, zumal in Norddeutschland, nicht leicht eine üppigere, gesegnetere
Provinz findet. Und auch an Naturschönheiten ist diese Gegend durch¬
aus nicht arm; die Ruhr- und Lennethäler können sich fast mit den
gepriesenen Gegenden des Rheines messen, sowohl was die herrliche
Abwechselung zwischen Berg und Thal, Wald und Wiese, als auch
die trümmerhaften Monumente aus den Mittelalter, Burgruinen,
Klostermauern uno ähnliche Träger romantischer Träumereien betrifft.
Die Umgegend Altena'S, die lieblichen Thäler bei Elsey und Limburg,
das unvergleichliche Panorama von der Feste Hohensieburg, das an¬
muthige Blankenstein, -- wem, und sollte er diese Reize der Natur
nur einmal gekostet haben, könnten solche Bilder je aus dem Gedächt¬
nisse entschwinden? --

Die Bildung, die politischen Gesinnungen der Einwohner sind
durch den Reichthum und die Wohlhabenheit des Landes bedingt.
Die Leute können zu behaglich und sorgenlos in den Tag hineinleben,
als daß sie sich um das Misere unserer öffentlichen Zustände zu
kümmern brauchten, als daß sie ein Ohr haben könnten, den schweren
Angstruf der Zeit zu vernehmen. Ein eigentliches Proletariat eristirt
in diesen Gegenden nicht, welches diese Leute zur Kritik unserer gesell¬
schaftlichen Zustände hinführen könnte; Apolitischen Fragen und
Zweifel weichen dem Vertrauen, welches man zu den Beamten hat, welche die
Last des Regierens auf ihre Schultern nehmen und dem Bürger und
Bauer die Mühe des Denkens und die Sorge um öffentliche Ange¬
legenheiten ersparen. Die Steuern werden nicht drückend, die Polizei
nicht unangenehm, und deshalb sind die Leute mit den gegenwärtigen
politischen Zuständen zufrieden, da die höheren Rücksichten auf Recht
und Sittlichkeit bei Beurtheilung der staatlichen Verhältnisse in diesem
Lande nicht in Anwendung kommen. Die vis iuvrtiil"; tritt wohl in
keinem Theile unsers deutschen Vaterlandes aller politischen Aufklärung so
entschieden und erfolgreich in den Weg, als hier, wo man nur an das
eigene Behagen und an die eigene Bequemlichkeit denkt, und über
einer guten Kartoffel- und Roggenernte alle politischen Fragen vergißt.

Ein zweiter Grund der politischen Indifferenz ist die Religion.
Die evangelische Orthodoxie, die man durch das ganze Land so ziem¬
lich regelmäßig, hier und da auch wohl mit Pietismus versetzt, findet


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Rechnet man nun noch die großen Salinen zu Unna und Werk
zu diesem Reichthum der Natur, mit welchem die Grafschaft Mark
beschenkt ist, hinzu, so muß man sich gestehen, daß man in Deutsch¬
land, zumal in Norddeutschland, nicht leicht eine üppigere, gesegnetere
Provinz findet. Und auch an Naturschönheiten ist diese Gegend durch¬
aus nicht arm; die Ruhr- und Lennethäler können sich fast mit den
gepriesenen Gegenden des Rheines messen, sowohl was die herrliche
Abwechselung zwischen Berg und Thal, Wald und Wiese, als auch
die trümmerhaften Monumente aus den Mittelalter, Burgruinen,
Klostermauern uno ähnliche Träger romantischer Träumereien betrifft.
Die Umgegend Altena'S, die lieblichen Thäler bei Elsey und Limburg,
das unvergleichliche Panorama von der Feste Hohensieburg, das an¬
muthige Blankenstein, — wem, und sollte er diese Reize der Natur
nur einmal gekostet haben, könnten solche Bilder je aus dem Gedächt¬
nisse entschwinden? —

Die Bildung, die politischen Gesinnungen der Einwohner sind
durch den Reichthum und die Wohlhabenheit des Landes bedingt.
Die Leute können zu behaglich und sorgenlos in den Tag hineinleben,
als daß sie sich um das Misere unserer öffentlichen Zustände zu
kümmern brauchten, als daß sie ein Ohr haben könnten, den schweren
Angstruf der Zeit zu vernehmen. Ein eigentliches Proletariat eristirt
in diesen Gegenden nicht, welches diese Leute zur Kritik unserer gesell¬
schaftlichen Zustände hinführen könnte; Apolitischen Fragen und
Zweifel weichen dem Vertrauen, welches man zu den Beamten hat, welche die
Last des Regierens auf ihre Schultern nehmen und dem Bürger und
Bauer die Mühe des Denkens und die Sorge um öffentliche Ange¬
legenheiten ersparen. Die Steuern werden nicht drückend, die Polizei
nicht unangenehm, und deshalb sind die Leute mit den gegenwärtigen
politischen Zuständen zufrieden, da die höheren Rücksichten auf Recht
und Sittlichkeit bei Beurtheilung der staatlichen Verhältnisse in diesem
Lande nicht in Anwendung kommen. Die vis iuvrtiil«; tritt wohl in
keinem Theile unsers deutschen Vaterlandes aller politischen Aufklärung so
entschieden und erfolgreich in den Weg, als hier, wo man nur an das
eigene Behagen und an die eigene Bequemlichkeit denkt, und über
einer guten Kartoffel- und Roggenernte alle politischen Fragen vergißt.

Ein zweiter Grund der politischen Indifferenz ist die Religion.
Die evangelische Orthodoxie, die man durch das ganze Land so ziem¬
lich regelmäßig, hier und da auch wohl mit Pietismus versetzt, findet


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[0467] Rechnet man nun noch die großen Salinen zu Unna und Werk zu diesem Reichthum der Natur, mit welchem die Grafschaft Mark beschenkt ist, hinzu, so muß man sich gestehen, daß man in Deutsch¬ land, zumal in Norddeutschland, nicht leicht eine üppigere, gesegnetere Provinz findet. Und auch an Naturschönheiten ist diese Gegend durch¬ aus nicht arm; die Ruhr- und Lennethäler können sich fast mit den gepriesenen Gegenden des Rheines messen, sowohl was die herrliche Abwechselung zwischen Berg und Thal, Wald und Wiese, als auch die trümmerhaften Monumente aus den Mittelalter, Burgruinen, Klostermauern uno ähnliche Träger romantischer Träumereien betrifft. Die Umgegend Altena'S, die lieblichen Thäler bei Elsey und Limburg, das unvergleichliche Panorama von der Feste Hohensieburg, das an¬ muthige Blankenstein, — wem, und sollte er diese Reize der Natur nur einmal gekostet haben, könnten solche Bilder je aus dem Gedächt¬ nisse entschwinden? — Die Bildung, die politischen Gesinnungen der Einwohner sind durch den Reichthum und die Wohlhabenheit des Landes bedingt. Die Leute können zu behaglich und sorgenlos in den Tag hineinleben, als daß sie sich um das Misere unserer öffentlichen Zustände zu kümmern brauchten, als daß sie ein Ohr haben könnten, den schweren Angstruf der Zeit zu vernehmen. Ein eigentliches Proletariat eristirt in diesen Gegenden nicht, welches diese Leute zur Kritik unserer gesell¬ schaftlichen Zustände hinführen könnte; Apolitischen Fragen und Zweifel weichen dem Vertrauen, welches man zu den Beamten hat, welche die Last des Regierens auf ihre Schultern nehmen und dem Bürger und Bauer die Mühe des Denkens und die Sorge um öffentliche Ange¬ legenheiten ersparen. Die Steuern werden nicht drückend, die Polizei nicht unangenehm, und deshalb sind die Leute mit den gegenwärtigen politischen Zuständen zufrieden, da die höheren Rücksichten auf Recht und Sittlichkeit bei Beurtheilung der staatlichen Verhältnisse in diesem Lande nicht in Anwendung kommen. Die vis iuvrtiil«; tritt wohl in keinem Theile unsers deutschen Vaterlandes aller politischen Aufklärung so entschieden und erfolgreich in den Weg, als hier, wo man nur an das eigene Behagen und an die eigene Bequemlichkeit denkt, und über einer guten Kartoffel- und Roggenernte alle politischen Fragen vergißt. Ein zweiter Grund der politischen Indifferenz ist die Religion. Die evangelische Orthodoxie, die man durch das ganze Land so ziem¬ lich regelmäßig, hier und da auch wohl mit Pietismus versetzt, findet 62-i-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/467>, abgerufen am 24.07.2024.