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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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ntscheu Gerichtsbarkeit sich eigentlich ebenso lebhast hinneigen müßte,
wie Cöln, Aachen und andere Städte dieser Provinz. Aber in dieser
Fabrikstadt herrschen die materiellen Interessen zu sehr vor, als daß
man sich um etwas Anderes bekümmern konnte; der Reiche multiplicirt
seinen Reichthum; der Arme seine Armuth; der Eine freut sich der
Gegenwart, der Andere hofft auf die Zukunft. Das ist hier, wie in
allen Fabrikstädten; ein eigentlicher Mittelstand fehlt, der einen gefun¬
den, festen Bürgersinn zwischen die Extreme hinstellen könnte, um das
Gegeneinanderprallen derselben zu verhüten.

So muß die Polizei und dieKanzelberedtsamkeit aufgeboten wer¬
den, um kommunistische Theorien zum Schweigen zu bringen, welche
aus dem mißgestalteten Verhältniß zu nothwendig folgen, als daß sie
durch Gensd'armen und Pastore unterdrückt werden könnten. Zwei
Arbeiterversammlungen konnten im vorigen Jahre von den Wortfüh¬
rern des Socialismus zu Stande gebracht werden; die dritte scheiterte
an polizeilichen Verboten. So viel haben indessen die Socialisten im
Wupperthale schon ausgerichtet, daß das Waarenzahlen seltener
und allgemein verächtlich geworden ist; zu weitern Erfolgen haben sie
es noch nicht bringen können; doch ist dieser Sieg auch etwas werth.

Durch Eisenbahnen ist Elberseld bis jetzt nur mit Düsseldorf
verbunden. Die Bahn zum Anschluß an die Cöln-Mindener Linie
wird bald vollendet sein; sie wird eine der imposantesten Bauten,
welche die Industrie in Deutschland bis jetzt aufgeführt hat. Sie
durchschneidet das Enneper-Thal, in welchem sich in einer Ausdehnung
von 5 -- 6 Stunden Fabriken an Fabriken reihen, so daß den Reisen¬
den auf dieser Straße der Rauch aus den Essen und das Rasseln der
Maschinen keine Minute verläßt. Während so unten im Thale die
größte industrielle Thätigkeit herrscht, erblickt man auf den Abhängen
der Berge die Ansiedelungen der Arbeiter, kleine, aber wohnliche Häu¬
ser, von Wäldern, Gärten und Aeckern umgeben. Dadurch, daß hier
die Arbeiter einen, wenn auch noch so kleinen, eigenthümlichen Grund¬
besitz haben, hat man das Proletariat so ziemlich vermieden. Das
meistentheils von dein Fabrikherrn verliehene Stück Landes fesselt den
Arbeiter freilich mehr wie anderswo an seine Fabrik, und hält ihn
zurück, seinen Contract zu verändern; auf der andern Seite gibt ihm
aber auch das Bewußtsein, ein eigenes Haus zu besitzen, mehr Sicher¬
heit, Festigkeit und Selbstvertrauen, so daß er, selbst dem Fqbrikherm
gegenüber, sich als Mensch fühlt, und das Recht und den Werth


ntscheu Gerichtsbarkeit sich eigentlich ebenso lebhast hinneigen müßte,
wie Cöln, Aachen und andere Städte dieser Provinz. Aber in dieser
Fabrikstadt herrschen die materiellen Interessen zu sehr vor, als daß
man sich um etwas Anderes bekümmern konnte; der Reiche multiplicirt
seinen Reichthum; der Arme seine Armuth; der Eine freut sich der
Gegenwart, der Andere hofft auf die Zukunft. Das ist hier, wie in
allen Fabrikstädten; ein eigentlicher Mittelstand fehlt, der einen gefun¬
den, festen Bürgersinn zwischen die Extreme hinstellen könnte, um das
Gegeneinanderprallen derselben zu verhüten.

So muß die Polizei und dieKanzelberedtsamkeit aufgeboten wer¬
den, um kommunistische Theorien zum Schweigen zu bringen, welche
aus dem mißgestalteten Verhältniß zu nothwendig folgen, als daß sie
durch Gensd'armen und Pastore unterdrückt werden könnten. Zwei
Arbeiterversammlungen konnten im vorigen Jahre von den Wortfüh¬
rern des Socialismus zu Stande gebracht werden; die dritte scheiterte
an polizeilichen Verboten. So viel haben indessen die Socialisten im
Wupperthale schon ausgerichtet, daß das Waarenzahlen seltener
und allgemein verächtlich geworden ist; zu weitern Erfolgen haben sie
es noch nicht bringen können; doch ist dieser Sieg auch etwas werth.

Durch Eisenbahnen ist Elberseld bis jetzt nur mit Düsseldorf
verbunden. Die Bahn zum Anschluß an die Cöln-Mindener Linie
wird bald vollendet sein; sie wird eine der imposantesten Bauten,
welche die Industrie in Deutschland bis jetzt aufgeführt hat. Sie
durchschneidet das Enneper-Thal, in welchem sich in einer Ausdehnung
von 5 — 6 Stunden Fabriken an Fabriken reihen, so daß den Reisen¬
den auf dieser Straße der Rauch aus den Essen und das Rasseln der
Maschinen keine Minute verläßt. Während so unten im Thale die
größte industrielle Thätigkeit herrscht, erblickt man auf den Abhängen
der Berge die Ansiedelungen der Arbeiter, kleine, aber wohnliche Häu¬
ser, von Wäldern, Gärten und Aeckern umgeben. Dadurch, daß hier
die Arbeiter einen, wenn auch noch so kleinen, eigenthümlichen Grund¬
besitz haben, hat man das Proletariat so ziemlich vermieden. Das
meistentheils von dein Fabrikherrn verliehene Stück Landes fesselt den
Arbeiter freilich mehr wie anderswo an seine Fabrik, und hält ihn
zurück, seinen Contract zu verändern; auf der andern Seite gibt ihm
aber auch das Bewußtsein, ein eigenes Haus zu besitzen, mehr Sicher¬
heit, Festigkeit und Selbstvertrauen, so daß er, selbst dem Fqbrikherm
gegenüber, sich als Mensch fühlt, und das Recht und den Werth


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/463>, abgerufen am 24.07.2024.