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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Stellung des Aeußerlichen, sinnreiche, bis zum Humor ausgebildete Be¬
schaulichkeit und flammende Begeisterung für alle edlen Triebe unserer
Tage. Seine Verse entfalten den üppigsten und originellsten Bilder¬
reichthum, ohne ihn durch Zwang herbeizuziehen, nur wird in den
kleinern Dichtungen zuweilen ein unmelodisch rauhes Ringen mit der
Sprache hörbar, wie er denn überhaupt nicht das feine Ohr eines
Lenau oder Platen für den numerus des Verses besitzt.

Grün schwieg nun consequent sechs Jahre und nur stets erneuerte,
zahlreiche Auflagen seiner Werke bezeugten den fortgesetzten innigsten
Verkehr seiner Muse mit der deutschen Nation. Im Jahre 1843 endlich
erschienen die lang erwarteten "Nibelungen im Frack", eine stark gewürzte/
an vortrefflichen Einzelheiten reiche politische Satyre, die aber nicht
den verdienten Erfolg fand, vielleicht weil Deutschland in seinem Man¬
gel an politischem Volksbewußtsein für das Verständniß derartiger
Dichtungen nicht reif, nicht glücklich genug ist. In England wäre
mit einem solchen Werke unsterblicher Ruhm zu gewinnen, in Deutsch¬
land muß es befremden als Resultat einer Zeit, die noch gar nicht
vorhanden ist, einer Zeit, in der man auf elende Zustände mit dem
heitern, lachenden Gefühl zurückblicken wird, sie überstanden zu haben.
Einige Stellen in den "Nibelungen" richten sich durchbohrend gegen
Herwegh, der die hohlen Verdächtigungen, die Grün's langes Verstum¬
men rege machte, in einem giftigen Pfeil concentrirte. Herwegh hat
damit die Wahrheit seiner noch nicht dichterisch bethätigten, nur mit
rhetorischen Pathos zur Schau getragenen Gesinnung selbst in Zweifel
gestellt. Denn wie ein übermüthiger Ritter, der gegen den Meister
seines Ordens eine ungerechte Waffe schwingt, dadurch den Geist des
Ordens selbst verläugnet, hat Herwegh am Geist der Partei gefrevelt,
auf deren Zinne er sich stellte, indem er einen ihrer edelsten Vorkämpfer,
Grün, den Meister vom Orden der politischen Dichter, auf unbeglau¬
bigten Verdacht hin mit brutalem Hohn überfiel. Der Dichter wird
nur vom Dichter verstanden und sollte darum vom Dichter am wenig¬
sten verkannt werden. Und es ist nicht nur unpoetisch, es ist gemeine
Fraubaserei und Klatschsucht, die Motive seines Urtheils über einen
öffentlichen Charakter nicht aus seinen öffentlichen Leistungen, sondern
aus immer mehr oder minder unklar bleibenden Privatverhältnissen
herzuleiten. Ein Mann, der wie Grün nicht nur als großer Poet,
auch als großer Charakter in die Literatur eintrat, bleibe von jenem
goldenen Wolkenimbus umgeben, aus dessen Verhüllung die Weisheit
der Alten unsichtbar ihre erhabenen Orakel ertönen ließ. Noch liegt


Stellung des Aeußerlichen, sinnreiche, bis zum Humor ausgebildete Be¬
schaulichkeit und flammende Begeisterung für alle edlen Triebe unserer
Tage. Seine Verse entfalten den üppigsten und originellsten Bilder¬
reichthum, ohne ihn durch Zwang herbeizuziehen, nur wird in den
kleinern Dichtungen zuweilen ein unmelodisch rauhes Ringen mit der
Sprache hörbar, wie er denn überhaupt nicht das feine Ohr eines
Lenau oder Platen für den numerus des Verses besitzt.

Grün schwieg nun consequent sechs Jahre und nur stets erneuerte,
zahlreiche Auflagen seiner Werke bezeugten den fortgesetzten innigsten
Verkehr seiner Muse mit der deutschen Nation. Im Jahre 1843 endlich
erschienen die lang erwarteten „Nibelungen im Frack", eine stark gewürzte/
an vortrefflichen Einzelheiten reiche politische Satyre, die aber nicht
den verdienten Erfolg fand, vielleicht weil Deutschland in seinem Man¬
gel an politischem Volksbewußtsein für das Verständniß derartiger
Dichtungen nicht reif, nicht glücklich genug ist. In England wäre
mit einem solchen Werke unsterblicher Ruhm zu gewinnen, in Deutsch¬
land muß es befremden als Resultat einer Zeit, die noch gar nicht
vorhanden ist, einer Zeit, in der man auf elende Zustände mit dem
heitern, lachenden Gefühl zurückblicken wird, sie überstanden zu haben.
Einige Stellen in den „Nibelungen" richten sich durchbohrend gegen
Herwegh, der die hohlen Verdächtigungen, die Grün's langes Verstum¬
men rege machte, in einem giftigen Pfeil concentrirte. Herwegh hat
damit die Wahrheit seiner noch nicht dichterisch bethätigten, nur mit
rhetorischen Pathos zur Schau getragenen Gesinnung selbst in Zweifel
gestellt. Denn wie ein übermüthiger Ritter, der gegen den Meister
seines Ordens eine ungerechte Waffe schwingt, dadurch den Geist des
Ordens selbst verläugnet, hat Herwegh am Geist der Partei gefrevelt,
auf deren Zinne er sich stellte, indem er einen ihrer edelsten Vorkämpfer,
Grün, den Meister vom Orden der politischen Dichter, auf unbeglau¬
bigten Verdacht hin mit brutalem Hohn überfiel. Der Dichter wird
nur vom Dichter verstanden und sollte darum vom Dichter am wenig¬
sten verkannt werden. Und es ist nicht nur unpoetisch, es ist gemeine
Fraubaserei und Klatschsucht, die Motive seines Urtheils über einen
öffentlichen Charakter nicht aus seinen öffentlichen Leistungen, sondern
aus immer mehr oder minder unklar bleibenden Privatverhältnissen
herzuleiten. Ein Mann, der wie Grün nicht nur als großer Poet,
auch als großer Charakter in die Literatur eintrat, bleibe von jenem
goldenen Wolkenimbus umgeben, aus dessen Verhüllung die Weisheit
der Alten unsichtbar ihre erhabenen Orakel ertönen ließ. Noch liegt


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[0460] Stellung des Aeußerlichen, sinnreiche, bis zum Humor ausgebildete Be¬ schaulichkeit und flammende Begeisterung für alle edlen Triebe unserer Tage. Seine Verse entfalten den üppigsten und originellsten Bilder¬ reichthum, ohne ihn durch Zwang herbeizuziehen, nur wird in den kleinern Dichtungen zuweilen ein unmelodisch rauhes Ringen mit der Sprache hörbar, wie er denn überhaupt nicht das feine Ohr eines Lenau oder Platen für den numerus des Verses besitzt. Grün schwieg nun consequent sechs Jahre und nur stets erneuerte, zahlreiche Auflagen seiner Werke bezeugten den fortgesetzten innigsten Verkehr seiner Muse mit der deutschen Nation. Im Jahre 1843 endlich erschienen die lang erwarteten „Nibelungen im Frack", eine stark gewürzte/ an vortrefflichen Einzelheiten reiche politische Satyre, die aber nicht den verdienten Erfolg fand, vielleicht weil Deutschland in seinem Man¬ gel an politischem Volksbewußtsein für das Verständniß derartiger Dichtungen nicht reif, nicht glücklich genug ist. In England wäre mit einem solchen Werke unsterblicher Ruhm zu gewinnen, in Deutsch¬ land muß es befremden als Resultat einer Zeit, die noch gar nicht vorhanden ist, einer Zeit, in der man auf elende Zustände mit dem heitern, lachenden Gefühl zurückblicken wird, sie überstanden zu haben. Einige Stellen in den „Nibelungen" richten sich durchbohrend gegen Herwegh, der die hohlen Verdächtigungen, die Grün's langes Verstum¬ men rege machte, in einem giftigen Pfeil concentrirte. Herwegh hat damit die Wahrheit seiner noch nicht dichterisch bethätigten, nur mit rhetorischen Pathos zur Schau getragenen Gesinnung selbst in Zweifel gestellt. Denn wie ein übermüthiger Ritter, der gegen den Meister seines Ordens eine ungerechte Waffe schwingt, dadurch den Geist des Ordens selbst verläugnet, hat Herwegh am Geist der Partei gefrevelt, auf deren Zinne er sich stellte, indem er einen ihrer edelsten Vorkämpfer, Grün, den Meister vom Orden der politischen Dichter, auf unbeglau¬ bigten Verdacht hin mit brutalem Hohn überfiel. Der Dichter wird nur vom Dichter verstanden und sollte darum vom Dichter am wenig¬ sten verkannt werden. Und es ist nicht nur unpoetisch, es ist gemeine Fraubaserei und Klatschsucht, die Motive seines Urtheils über einen öffentlichen Charakter nicht aus seinen öffentlichen Leistungen, sondern aus immer mehr oder minder unklar bleibenden Privatverhältnissen herzuleiten. Ein Mann, der wie Grün nicht nur als großer Poet, auch als großer Charakter in die Literatur eintrat, bleibe von jenem goldenen Wolkenimbus umgeben, aus dessen Verhüllung die Weisheit der Alten unsichtbar ihre erhabenen Orakel ertönen ließ. Noch liegt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/460>, abgerufen am 24.07.2024.