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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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fährlichere Wirkung als ein Dutzend heimliche Schriften der Propa¬
ganda. Und sehen wir auf unsere andern Allirten, welchen Eindruck
muß es jetzt in Galizien hervorbringen, daß im benachbarten Kö¬
nigreiche Polen die Roboten bereits zur Aufhebung kommen, wäh¬
rend man bei uns noch unschlüssig um den Brei herumgeht, wie die
Sache anzupacken! Während Rußland wohl einsieht, wie sehr damit
zugleich der Adel geschwächt und der Bauer gekräftigt wird, wagt man
bei uns eine solche Maßregel nicht und schielt unschlüssig auf die andern
Provinzen. Haben vielleicht die andern Provinzen mit Galizien während
des Aufstandes geliebäugelt, daß man nun vor einer solchen Maßregel
Furcht hat?

Während Preußen durch sein kluges Benehmen vom Momente des
Aufstandes an mehr Sympathie hatte, während Rußland mit einem Male
energisch und entschlossen eine entscheidende Maßregel in's Leben setzt,
steht Oesterreich, so wie vom Anfange an, auch jetzt noch unentschlossen
da und will Alles erst mit der Zeit reifen lassen. Es wäre freilich eine
Thorheit gewesen, einen unüberlegten Schritt zu begehen, aber es war
ein nicht weniger großer Fehler, so lange zu überlegen, bis die andern
betheiligten Staaten ihn in Lebensfragen dieser Lander überflügeln. Es
ist kein Zweifel, daß Rußland jetzt weit weniger Haß in Polen findet,
als das doch so viel mildere Oesterreich, da jenes klug genug war, sich zeit¬
lich von dem Schauplatze zurückzuziehen, wo es sich offen den Blicken
von ganz Europa ausgesetzt hätte. So ist Oesterreich mit Aufwand
vieler Kosten, mit Hinwegwcrfung seiner Popularität, als Bcsatzungs-
macht in Krakau zurückgeblieben, und nun ist es England, das es an
seinen großen begangenen Fehler erinnert. Es wird aus der geharnischten
Erklärung Lord Palmerston's kein Krieg entstehen; man wird Noten
wechseln, und Oesterreich wird nach einiger Zeit langsam seine Truppen
aus Krakau ziehen, und nur die Grcnzgarnisonen besetzen -- etwas,
was gleich vom Anfange hatte geschehen sollen -- aber jene Erklärung
Palmerston's ist eine um so wichtigere, als daraus hervorgeht, daß Eng¬
land immer bereit ist, die polnische Frage als eine europäische, und wenn
auch nur als einen Schreckschuß gegen die drei Mächte, auf's Tapet zu
bringen.'

Graf Stadion, von dessen plötzlichem Verlassen Triests ich Ihnen
schrieb, hat bei seiner Anwesenheit hier Satisfaction gefunden, und
ist vor einigen Tagen auf seinen Posten nach Triest zurückgekehrt. (?) Man
sprach sogar ein paar Tage davon, daß ihm eine sehr bedeutende Stelle
in der Administration zugedacht sei. Es ist nun sehr die Frage, ob er
nicht bald wieder zu uns zurückkehrt, denn durch die Besetzung der Hof¬
ämter werden einige sehr einflußreiche Stellen leer.

In dem uns jetzt so nahegerückten Gratz hat sich vor Kurzem etwas
zugetragen, das zur Chronique scandalcuse unserer Aristokratie wieder einen
kleinen Beitrag bildet. Schade, daß die Sache jetzt im Sommer vorging,
im Winter hätte die Gesellschaft doch wenigstens acht Abende mit den
verschiedenen Varianten dieser Geschichte zubringen können!


fährlichere Wirkung als ein Dutzend heimliche Schriften der Propa¬
ganda. Und sehen wir auf unsere andern Allirten, welchen Eindruck
muß es jetzt in Galizien hervorbringen, daß im benachbarten Kö¬
nigreiche Polen die Roboten bereits zur Aufhebung kommen, wäh¬
rend man bei uns noch unschlüssig um den Brei herumgeht, wie die
Sache anzupacken! Während Rußland wohl einsieht, wie sehr damit
zugleich der Adel geschwächt und der Bauer gekräftigt wird, wagt man
bei uns eine solche Maßregel nicht und schielt unschlüssig auf die andern
Provinzen. Haben vielleicht die andern Provinzen mit Galizien während
des Aufstandes geliebäugelt, daß man nun vor einer solchen Maßregel
Furcht hat?

Während Preußen durch sein kluges Benehmen vom Momente des
Aufstandes an mehr Sympathie hatte, während Rußland mit einem Male
energisch und entschlossen eine entscheidende Maßregel in's Leben setzt,
steht Oesterreich, so wie vom Anfange an, auch jetzt noch unentschlossen
da und will Alles erst mit der Zeit reifen lassen. Es wäre freilich eine
Thorheit gewesen, einen unüberlegten Schritt zu begehen, aber es war
ein nicht weniger großer Fehler, so lange zu überlegen, bis die andern
betheiligten Staaten ihn in Lebensfragen dieser Lander überflügeln. Es
ist kein Zweifel, daß Rußland jetzt weit weniger Haß in Polen findet,
als das doch so viel mildere Oesterreich, da jenes klug genug war, sich zeit¬
lich von dem Schauplatze zurückzuziehen, wo es sich offen den Blicken
von ganz Europa ausgesetzt hätte. So ist Oesterreich mit Aufwand
vieler Kosten, mit Hinwegwcrfung seiner Popularität, als Bcsatzungs-
macht in Krakau zurückgeblieben, und nun ist es England, das es an
seinen großen begangenen Fehler erinnert. Es wird aus der geharnischten
Erklärung Lord Palmerston's kein Krieg entstehen; man wird Noten
wechseln, und Oesterreich wird nach einiger Zeit langsam seine Truppen
aus Krakau ziehen, und nur die Grcnzgarnisonen besetzen — etwas,
was gleich vom Anfange hatte geschehen sollen — aber jene Erklärung
Palmerston's ist eine um so wichtigere, als daraus hervorgeht, daß Eng¬
land immer bereit ist, die polnische Frage als eine europäische, und wenn
auch nur als einen Schreckschuß gegen die drei Mächte, auf's Tapet zu
bringen.'

Graf Stadion, von dessen plötzlichem Verlassen Triests ich Ihnen
schrieb, hat bei seiner Anwesenheit hier Satisfaction gefunden, und
ist vor einigen Tagen auf seinen Posten nach Triest zurückgekehrt. (?) Man
sprach sogar ein paar Tage davon, daß ihm eine sehr bedeutende Stelle
in der Administration zugedacht sei. Es ist nun sehr die Frage, ob er
nicht bald wieder zu uns zurückkehrt, denn durch die Besetzung der Hof¬
ämter werden einige sehr einflußreiche Stellen leer.

In dem uns jetzt so nahegerückten Gratz hat sich vor Kurzem etwas
zugetragen, das zur Chronique scandalcuse unserer Aristokratie wieder einen
kleinen Beitrag bildet. Schade, daß die Sache jetzt im Sommer vorging,
im Winter hätte die Gesellschaft doch wenigstens acht Abende mit den
verschiedenen Varianten dieser Geschichte zubringen können!


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[0440] fährlichere Wirkung als ein Dutzend heimliche Schriften der Propa¬ ganda. Und sehen wir auf unsere andern Allirten, welchen Eindruck muß es jetzt in Galizien hervorbringen, daß im benachbarten Kö¬ nigreiche Polen die Roboten bereits zur Aufhebung kommen, wäh¬ rend man bei uns noch unschlüssig um den Brei herumgeht, wie die Sache anzupacken! Während Rußland wohl einsieht, wie sehr damit zugleich der Adel geschwächt und der Bauer gekräftigt wird, wagt man bei uns eine solche Maßregel nicht und schielt unschlüssig auf die andern Provinzen. Haben vielleicht die andern Provinzen mit Galizien während des Aufstandes geliebäugelt, daß man nun vor einer solchen Maßregel Furcht hat? Während Preußen durch sein kluges Benehmen vom Momente des Aufstandes an mehr Sympathie hatte, während Rußland mit einem Male energisch und entschlossen eine entscheidende Maßregel in's Leben setzt, steht Oesterreich, so wie vom Anfange an, auch jetzt noch unentschlossen da und will Alles erst mit der Zeit reifen lassen. Es wäre freilich eine Thorheit gewesen, einen unüberlegten Schritt zu begehen, aber es war ein nicht weniger großer Fehler, so lange zu überlegen, bis die andern betheiligten Staaten ihn in Lebensfragen dieser Lander überflügeln. Es ist kein Zweifel, daß Rußland jetzt weit weniger Haß in Polen findet, als das doch so viel mildere Oesterreich, da jenes klug genug war, sich zeit¬ lich von dem Schauplatze zurückzuziehen, wo es sich offen den Blicken von ganz Europa ausgesetzt hätte. So ist Oesterreich mit Aufwand vieler Kosten, mit Hinwegwcrfung seiner Popularität, als Bcsatzungs- macht in Krakau zurückgeblieben, und nun ist es England, das es an seinen großen begangenen Fehler erinnert. Es wird aus der geharnischten Erklärung Lord Palmerston's kein Krieg entstehen; man wird Noten wechseln, und Oesterreich wird nach einiger Zeit langsam seine Truppen aus Krakau ziehen, und nur die Grcnzgarnisonen besetzen — etwas, was gleich vom Anfange hatte geschehen sollen — aber jene Erklärung Palmerston's ist eine um so wichtigere, als daraus hervorgeht, daß Eng¬ land immer bereit ist, die polnische Frage als eine europäische, und wenn auch nur als einen Schreckschuß gegen die drei Mächte, auf's Tapet zu bringen.' Graf Stadion, von dessen plötzlichem Verlassen Triests ich Ihnen schrieb, hat bei seiner Anwesenheit hier Satisfaction gefunden, und ist vor einigen Tagen auf seinen Posten nach Triest zurückgekehrt. (?) Man sprach sogar ein paar Tage davon, daß ihm eine sehr bedeutende Stelle in der Administration zugedacht sei. Es ist nun sehr die Frage, ob er nicht bald wieder zu uns zurückkehrt, denn durch die Besetzung der Hof¬ ämter werden einige sehr einflußreiche Stellen leer. In dem uns jetzt so nahegerückten Gratz hat sich vor Kurzem etwas zugetragen, das zur Chronique scandalcuse unserer Aristokratie wieder einen kleinen Beitrag bildet. Schade, daß die Sache jetzt im Sommer vorging, im Winter hätte die Gesellschaft doch wenigstens acht Abende mit den verschiedenen Varianten dieser Geschichte zubringen können!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/440>, abgerufen am 24.07.2024.