Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scheinen an dem Schicksal dieses Stückes lebhaftes Interesse zunehmen?"
-- "Ich würde zehn Jahre meines Lebens für den glücklichen Er¬
folg desselben hingeben." -- "Das Opfer wäre etwas übertrieben!" -- "Ach,
was sind zehn Jahre, wenn es sich um Glück und Ruhm handelt?" --
Scribe betrachtete den jungen Mann mit einer unbeschreiblichen Mi¬
schung von Empfindungen. Er war nicht minder aufgeregt als sein
Nachbar und drang in diesen um Aufklärung. Bayard, den sein
fieberhafter Zustand zu vertraulichen Mittheilungen besonders geeignet
machte, machte kein Geheimniß daraus, daß er der Verfasser sei und
dem gewandten und gespannten Scribe wurde es nicht schwer, die
Mittel und Wege, wie sein dramatisches Kind ausgewechselt ward,
halb zu erfahren, halb zu errathen.

Dies war kaum geendigt, als auf einmal ein Donner von Bei¬
fallsbezeigungen mit solchem Geräusch ausbrach, daß man den Saal
dein Einsturz nahe glauben konnte. Es war die Schlußscene des
zweiten Actes, die diesen Enthusiasmus hervorgerufen. Heftige Freude
und heftiger Schmerz sind in ihren Wirkungen gleich; Bayard fühlte
seine Kräfte schwinden, und als der Beifall sich verdoppelte, sank er
ohne Besinnung neben Scribe nieder. Dieser rief die Logenschließerin.
"Geschwind, Hilfe", sagte er; "frisches Wasser wird hinreichen. Diese
Ohnmacht ist die Folge einer Aufregung, die nichts Gefährliches hat".
Und nachdem er Bayard der Sorgfalt der Logenschließerin anvertraut,
verschwand er.

Inzwischen begann der dritte Act; das Stück war vom Stapel
gelassen, wie man im Conlissenstyl zu sagen pflegt; es war eine un¬
unterbrochene Reihe von Applaus und Bravos; der Ausgang erregte
Sturm, einstimmig erhob sich der Ruf nach dem Namen des Ver¬
fassers. Bayard, der sich von seiner Unpäßlichkeit vollkommen erholt
hatte, war in seine Loge zurückgekehrt, wo er, dieses Mal allein, den
Triumph seines Werkes vollständig genoß; aber als er den Vorhang
in die Höhe gehen sah, als er bedachte, daß der Schauspieler, der
feierlich vortrat, um nach französischer Theatersttte den Namen des
Verfassers zu verkünden, jetzt einen andern als den seinigen nennen
werde, fühlte er in sich nicht den Muth, dieser Prüfung zuwiderstehen;
er stand rasch auf, um hinauszugehen ... es war zu spät; ein Name
hatte sein Ohr erreicht . .. Aber, welche Überraschung! Dieser Name,
den die jubelnde Menge mit einer dreifachen Beifallssalve begrüßt, war
kein anderer als der seine!


scheinen an dem Schicksal dieses Stückes lebhaftes Interesse zunehmen?"
— „Ich würde zehn Jahre meines Lebens für den glücklichen Er¬
folg desselben hingeben." — „Das Opfer wäre etwas übertrieben!" — „Ach,
was sind zehn Jahre, wenn es sich um Glück und Ruhm handelt?" —
Scribe betrachtete den jungen Mann mit einer unbeschreiblichen Mi¬
schung von Empfindungen. Er war nicht minder aufgeregt als sein
Nachbar und drang in diesen um Aufklärung. Bayard, den sein
fieberhafter Zustand zu vertraulichen Mittheilungen besonders geeignet
machte, machte kein Geheimniß daraus, daß er der Verfasser sei und
dem gewandten und gespannten Scribe wurde es nicht schwer, die
Mittel und Wege, wie sein dramatisches Kind ausgewechselt ward,
halb zu erfahren, halb zu errathen.

Dies war kaum geendigt, als auf einmal ein Donner von Bei¬
fallsbezeigungen mit solchem Geräusch ausbrach, daß man den Saal
dein Einsturz nahe glauben konnte. Es war die Schlußscene des
zweiten Actes, die diesen Enthusiasmus hervorgerufen. Heftige Freude
und heftiger Schmerz sind in ihren Wirkungen gleich; Bayard fühlte
seine Kräfte schwinden, und als der Beifall sich verdoppelte, sank er
ohne Besinnung neben Scribe nieder. Dieser rief die Logenschließerin.
„Geschwind, Hilfe", sagte er; „frisches Wasser wird hinreichen. Diese
Ohnmacht ist die Folge einer Aufregung, die nichts Gefährliches hat".
Und nachdem er Bayard der Sorgfalt der Logenschließerin anvertraut,
verschwand er.

Inzwischen begann der dritte Act; das Stück war vom Stapel
gelassen, wie man im Conlissenstyl zu sagen pflegt; es war eine un¬
unterbrochene Reihe von Applaus und Bravos; der Ausgang erregte
Sturm, einstimmig erhob sich der Ruf nach dem Namen des Ver¬
fassers. Bayard, der sich von seiner Unpäßlichkeit vollkommen erholt
hatte, war in seine Loge zurückgekehrt, wo er, dieses Mal allein, den
Triumph seines Werkes vollständig genoß; aber als er den Vorhang
in die Höhe gehen sah, als er bedachte, daß der Schauspieler, der
feierlich vortrat, um nach französischer Theatersttte den Namen des
Verfassers zu verkünden, jetzt einen andern als den seinigen nennen
werde, fühlte er in sich nicht den Muth, dieser Prüfung zuwiderstehen;
er stand rasch auf, um hinauszugehen ... es war zu spät; ein Name
hatte sein Ohr erreicht . .. Aber, welche Überraschung! Dieser Name,
den die jubelnde Menge mit einer dreifachen Beifallssalve begrüßt, war
kein anderer als der seine!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0432" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183453"/>
          <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> scheinen an dem Schicksal dieses Stückes lebhaftes Interesse zunehmen?"<lb/>
&#x2014; &#x201E;Ich würde zehn Jahre meines Lebens für den glücklichen Er¬<lb/>
folg desselben hingeben." &#x2014; &#x201E;Das Opfer wäre etwas übertrieben!" &#x2014; &#x201E;Ach,<lb/>
was sind zehn Jahre, wenn es sich um Glück und Ruhm handelt?" &#x2014;<lb/>
Scribe betrachtete den jungen Mann mit einer unbeschreiblichen Mi¬<lb/>
schung von Empfindungen. Er war nicht minder aufgeregt als sein<lb/>
Nachbar und drang in diesen um Aufklärung. Bayard, den sein<lb/>
fieberhafter Zustand zu vertraulichen Mittheilungen besonders geeignet<lb/>
machte, machte kein Geheimniß daraus, daß er der Verfasser sei und<lb/>
dem gewandten und gespannten Scribe wurde es nicht schwer, die<lb/>
Mittel und Wege, wie sein dramatisches Kind ausgewechselt ward,<lb/>
halb zu erfahren, halb zu errathen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1275"> Dies war kaum geendigt, als auf einmal ein Donner von Bei¬<lb/>
fallsbezeigungen mit solchem Geräusch ausbrach, daß man den Saal<lb/>
dein Einsturz nahe glauben konnte. Es war die Schlußscene des<lb/>
zweiten Actes, die diesen Enthusiasmus hervorgerufen. Heftige Freude<lb/>
und heftiger Schmerz sind in ihren Wirkungen gleich; Bayard fühlte<lb/>
seine Kräfte schwinden, und als der Beifall sich verdoppelte, sank er<lb/>
ohne Besinnung neben Scribe nieder. Dieser rief die Logenschließerin.<lb/>
&#x201E;Geschwind, Hilfe", sagte er; &#x201E;frisches Wasser wird hinreichen. Diese<lb/>
Ohnmacht ist die Folge einer Aufregung, die nichts Gefährliches hat".<lb/>
Und nachdem er Bayard der Sorgfalt der Logenschließerin anvertraut,<lb/>
verschwand er.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1276"> Inzwischen begann der dritte Act; das Stück war vom Stapel<lb/>
gelassen, wie man im Conlissenstyl zu sagen pflegt; es war eine un¬<lb/>
unterbrochene Reihe von Applaus und Bravos; der Ausgang erregte<lb/>
Sturm, einstimmig erhob sich der Ruf nach dem Namen des Ver¬<lb/>
fassers. Bayard, der sich von seiner Unpäßlichkeit vollkommen erholt<lb/>
hatte, war in seine Loge zurückgekehrt, wo er, dieses Mal allein, den<lb/>
Triumph seines Werkes vollständig genoß; aber als er den Vorhang<lb/>
in die Höhe gehen sah, als er bedachte, daß der Schauspieler, der<lb/>
feierlich vortrat, um nach französischer Theatersttte den Namen des<lb/>
Verfassers zu verkünden, jetzt einen andern als den seinigen nennen<lb/>
werde, fühlte er in sich nicht den Muth, dieser Prüfung zuwiderstehen;<lb/>
er stand rasch auf, um hinauszugehen ... es war zu spät; ein Name<lb/>
hatte sein Ohr erreicht . .. Aber, welche Überraschung! Dieser Name,<lb/>
den die jubelnde Menge mit einer dreifachen Beifallssalve begrüßt, war<lb/>
kein anderer als der seine!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0432] scheinen an dem Schicksal dieses Stückes lebhaftes Interesse zunehmen?" — „Ich würde zehn Jahre meines Lebens für den glücklichen Er¬ folg desselben hingeben." — „Das Opfer wäre etwas übertrieben!" — „Ach, was sind zehn Jahre, wenn es sich um Glück und Ruhm handelt?" — Scribe betrachtete den jungen Mann mit einer unbeschreiblichen Mi¬ schung von Empfindungen. Er war nicht minder aufgeregt als sein Nachbar und drang in diesen um Aufklärung. Bayard, den sein fieberhafter Zustand zu vertraulichen Mittheilungen besonders geeignet machte, machte kein Geheimniß daraus, daß er der Verfasser sei und dem gewandten und gespannten Scribe wurde es nicht schwer, die Mittel und Wege, wie sein dramatisches Kind ausgewechselt ward, halb zu erfahren, halb zu errathen. Dies war kaum geendigt, als auf einmal ein Donner von Bei¬ fallsbezeigungen mit solchem Geräusch ausbrach, daß man den Saal dein Einsturz nahe glauben konnte. Es war die Schlußscene des zweiten Actes, die diesen Enthusiasmus hervorgerufen. Heftige Freude und heftiger Schmerz sind in ihren Wirkungen gleich; Bayard fühlte seine Kräfte schwinden, und als der Beifall sich verdoppelte, sank er ohne Besinnung neben Scribe nieder. Dieser rief die Logenschließerin. „Geschwind, Hilfe", sagte er; „frisches Wasser wird hinreichen. Diese Ohnmacht ist die Folge einer Aufregung, die nichts Gefährliches hat". Und nachdem er Bayard der Sorgfalt der Logenschließerin anvertraut, verschwand er. Inzwischen begann der dritte Act; das Stück war vom Stapel gelassen, wie man im Conlissenstyl zu sagen pflegt; es war eine un¬ unterbrochene Reihe von Applaus und Bravos; der Ausgang erregte Sturm, einstimmig erhob sich der Ruf nach dem Namen des Ver¬ fassers. Bayard, der sich von seiner Unpäßlichkeit vollkommen erholt hatte, war in seine Loge zurückgekehrt, wo er, dieses Mal allein, den Triumph seines Werkes vollständig genoß; aber als er den Vorhang in die Höhe gehen sah, als er bedachte, daß der Schauspieler, der feierlich vortrat, um nach französischer Theatersttte den Namen des Verfassers zu verkünden, jetzt einen andern als den seinigen nennen werde, fühlte er in sich nicht den Muth, dieser Prüfung zuwiderstehen; er stand rasch auf, um hinauszugehen ... es war zu spät; ein Name hatte sein Ohr erreicht . .. Aber, welche Überraschung! Dieser Name, den die jubelnde Menge mit einer dreifachen Beifallssalve begrüßt, war kein anderer als der seine!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/432
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/432>, abgerufen am 24.07.2024.