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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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-- Ja, ja, ich habe so was gehört, aber nicht genau!

-- Ich aber kenne sie in allen Details, und wenn es die Herren
nicht langweilt, so will ich sie erzählen.

-- Immer zu!

-- Bayard kam vor ungefähr 20 Jahren nach Paris. Der
Teufel weiß, was er für Aussichten und Pläne hatte. Seine Stu¬
dien waren sehr dürftig, aber er war und ist noch immer ein frischer
regsamer Kopf und versuchte es mit der dramatischen Muse. Damals
war Scribe noch in seiner ersten Periode, d. h. in seiner Vaudevillen-
ftrömung und auf den Boulevards gab es alle zwei Monate ein
neues Stück von Meister Scribe. Bayard hatte Geist, Beobachtungs-
und Erfindungsgabe zwei und zwanzig Jahre und ....... Energie. Ein
dreiactigeö Stück war bald fertig. Die Freunde, denen es vorgelesen
wurde, waren einstimmig im entschiedensten Beifall und Bayard schickte
es in prachtvoller Abschrift, sauberem Einbande und mit besonders
höflichem Schreiben an den Director des Vaudevilles. --

Nach Verlauf von vierzehn Tagen ward ihm das Manuseript
in vollkommen unberührtem Zustand zurückgeschickt) es war mit einem
Briefe folgender Art begleitet: "Werthgeschätzter Herr! Ich habe in
dem Werke, welches Sie mir anzuvertrauen die Güte hatten, geistreiche
Einzelheiten, hübsche Scenen, eine gewandt durchgeführte Intrigue,
Charaktere, die mit Geschick gezeichnet sind, gefunden; leider scheint
mir das Sujet dem Verdienste der Ausführung nicht zu entsprechen,
und so sehr es auch mein Wunsch ist, Ihnen gefällig zu sein, so muß
ich doch bedauern u. s. w." Bayard zerknitterte wüthend diesen höf¬
lichen Brief und warf ihn in's Feuer. Als er seiner Galle vollkommen
Luft gemacht hatte, fiel es ihm ein, daß das Urtheil eines Theater-
Directorö kein Urtheil ohne Appellation sei, und daß, wenn auch Ein
Theater ihm verschlossen bleibe, es noch zwanzig andere gebe, deren
Zugang ihm offen stehe.

Er machte einen neuen Versuch und übergab sein Manuseript
einem andern Direktor; aber auch von diesem erhielt er es, wie das
erste Mal, in seiner ursprünglichen Unversehrtheit zurück mit folgendem
Schreiben: "Mein Herr! Der Stoff des Werks, das Sie nur über¬
gaben, ist ebenso interessant als originell; leider scheint mir die Aus¬
führung dem Reichthum des Gegenstandes nicht zu entsprechen: die
Charaktere sind unvollkommen, die Schwäche der Intrigue und die
Zusammenhangslosigkeit der Scenen verrathen eine große Unkenntniß
der Bühne: mit einem Wort, ich glaube nicht, daß Ihr Stück, so wie


— Ja, ja, ich habe so was gehört, aber nicht genau!

— Ich aber kenne sie in allen Details, und wenn es die Herren
nicht langweilt, so will ich sie erzählen.

— Immer zu!

— Bayard kam vor ungefähr 20 Jahren nach Paris. Der
Teufel weiß, was er für Aussichten und Pläne hatte. Seine Stu¬
dien waren sehr dürftig, aber er war und ist noch immer ein frischer
regsamer Kopf und versuchte es mit der dramatischen Muse. Damals
war Scribe noch in seiner ersten Periode, d. h. in seiner Vaudevillen-
ftrömung und auf den Boulevards gab es alle zwei Monate ein
neues Stück von Meister Scribe. Bayard hatte Geist, Beobachtungs-
und Erfindungsgabe zwei und zwanzig Jahre und ....... Energie. Ein
dreiactigeö Stück war bald fertig. Die Freunde, denen es vorgelesen
wurde, waren einstimmig im entschiedensten Beifall und Bayard schickte
es in prachtvoller Abschrift, sauberem Einbande und mit besonders
höflichem Schreiben an den Director des Vaudevilles. —

Nach Verlauf von vierzehn Tagen ward ihm das Manuseript
in vollkommen unberührtem Zustand zurückgeschickt) es war mit einem
Briefe folgender Art begleitet: „Werthgeschätzter Herr! Ich habe in
dem Werke, welches Sie mir anzuvertrauen die Güte hatten, geistreiche
Einzelheiten, hübsche Scenen, eine gewandt durchgeführte Intrigue,
Charaktere, die mit Geschick gezeichnet sind, gefunden; leider scheint
mir das Sujet dem Verdienste der Ausführung nicht zu entsprechen,
und so sehr es auch mein Wunsch ist, Ihnen gefällig zu sein, so muß
ich doch bedauern u. s. w." Bayard zerknitterte wüthend diesen höf¬
lichen Brief und warf ihn in's Feuer. Als er seiner Galle vollkommen
Luft gemacht hatte, fiel es ihm ein, daß das Urtheil eines Theater-
Directorö kein Urtheil ohne Appellation sei, und daß, wenn auch Ein
Theater ihm verschlossen bleibe, es noch zwanzig andere gebe, deren
Zugang ihm offen stehe.

Er machte einen neuen Versuch und übergab sein Manuseript
einem andern Direktor; aber auch von diesem erhielt er es, wie das
erste Mal, in seiner ursprünglichen Unversehrtheit zurück mit folgendem
Schreiben: „Mein Herr! Der Stoff des Werks, das Sie nur über¬
gaben, ist ebenso interessant als originell; leider scheint mir die Aus¬
führung dem Reichthum des Gegenstandes nicht zu entsprechen: die
Charaktere sind unvollkommen, die Schwäche der Intrigue und die
Zusammenhangslosigkeit der Scenen verrathen eine große Unkenntniß
der Bühne: mit einem Wort, ich glaube nicht, daß Ihr Stück, so wie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/427>, abgerufen am 24.07.2024.