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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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und Vertretern in der Nähe, und nehme Kenntniß von den städtischen
Rathsversammlungen und den sogenannten Viertels - Conferenzen, wo¬
rin die Wünsche und Beschwerden des Bürger- und Bauernstandes
den Vertretern zum ständischen Congresse mitgegeben werden, der auf
allerhöchste Aufforderung in der Regel jährlich im Landhause zu Inns¬
bruck sich versammelt. Ueberzeugt er sich dadurch sehr leicht von der
Mangelhaftigkeit der Anstalt und ihrer Träger, so wird er bis zum
Mitleid gedrängt, wenn er der Ceremonie der Kongreß-Eröffnung
anwohnt und über die Weise sich aufklärt, in welcher unter dem
maßgebenden Einflüsse des jeweiligen Gubernial<Präsidenten als Landes¬
hauptmanns die Vorträge besprochen und die Stimmen gesammelt
werden. Was läßt sich von einer Landesvertretung hoffen, die zur
Hälfte aus Geistlichen und Adeligen besteht, deren Ansehen, Einfluß
und geschickten Schritten die Bürger und Bauern nothwendig erliegen?
Zeuge dessen sind: das Viertel Grundsteuer zum Voraus für die
Scholle, die Austreibung der Zillerthaler Irrgläubigen und die Be¬
rufung der Jesuiten. Die Furchtsamkeit und mangelhafte Einsicht der
Vertreter des dritten und vierten Standes wich dem Drängen der
Geistlichen und der Adelsbank, sich scheuend vor Ungnade und Ver¬
ketzerung. Da fruchtet die Stimme eines einzelnen Muthigen nichts,
wie es das Beispiel des Bürgermeisters Dr. Maurer bewies, der sich
zu Gunsten der unglücklichen Verirrten im Zillerthale erhob. Die
voraus bestimmte Mehrheit des Congresses bleibt unverrückbar im alten
Geleise des eigenen Nutzens, der unbedingten Förderung des geistlichen
-- nicht des geistigen-- des aristokratischen -- nicht des Landeswohles.
Die Fassung der ständischen Sitzungsprotocolle geschieht in dem Geiste
jener Mehrheit; die Negierung erlangt keine getreue Kenntniß der
wahren Gesinnung und Wünsche des Volkes, und hält nach den ihr
vorgelegten Anträgen und Berichten des Congresses sehr oft die Ein¬
zelwünsche und Parteizwecke dieses oder jenes einflußreichen Verordne¬
ten für die Bitten und Interessen der getreuen Provinz Tvrol. Wohl
mochte man in Wien über unsere harte Unduldsamkeit gegen die feh¬
lenden Brüder stutzen und -- wie es thatsächlich der Fall war --
geraume Zeit Anstand nehmen, die Vertreibung so vieler ruhigen und
bis auf den Glauben in Allem tadelfteien Unterthanen von dem hei¬
mathlichen Herde zu gestatten. Allein die Urheber der Maßregel sammt
ihrem Anhange in und außer dem Congresse wiesen auf den ausge-
gesprocheueu Wunsch des Landes hin, ließen eine besorgliche Stimmung
des glaubenseifrigen Landvolkes drohend durchblicken, und nöthigten


und Vertretern in der Nähe, und nehme Kenntniß von den städtischen
Rathsversammlungen und den sogenannten Viertels - Conferenzen, wo¬
rin die Wünsche und Beschwerden des Bürger- und Bauernstandes
den Vertretern zum ständischen Congresse mitgegeben werden, der auf
allerhöchste Aufforderung in der Regel jährlich im Landhause zu Inns¬
bruck sich versammelt. Ueberzeugt er sich dadurch sehr leicht von der
Mangelhaftigkeit der Anstalt und ihrer Träger, so wird er bis zum
Mitleid gedrängt, wenn er der Ceremonie der Kongreß-Eröffnung
anwohnt und über die Weise sich aufklärt, in welcher unter dem
maßgebenden Einflüsse des jeweiligen Gubernial<Präsidenten als Landes¬
hauptmanns die Vorträge besprochen und die Stimmen gesammelt
werden. Was läßt sich von einer Landesvertretung hoffen, die zur
Hälfte aus Geistlichen und Adeligen besteht, deren Ansehen, Einfluß
und geschickten Schritten die Bürger und Bauern nothwendig erliegen?
Zeuge dessen sind: das Viertel Grundsteuer zum Voraus für die
Scholle, die Austreibung der Zillerthaler Irrgläubigen und die Be¬
rufung der Jesuiten. Die Furchtsamkeit und mangelhafte Einsicht der
Vertreter des dritten und vierten Standes wich dem Drängen der
Geistlichen und der Adelsbank, sich scheuend vor Ungnade und Ver¬
ketzerung. Da fruchtet die Stimme eines einzelnen Muthigen nichts,
wie es das Beispiel des Bürgermeisters Dr. Maurer bewies, der sich
zu Gunsten der unglücklichen Verirrten im Zillerthale erhob. Die
voraus bestimmte Mehrheit des Congresses bleibt unverrückbar im alten
Geleise des eigenen Nutzens, der unbedingten Förderung des geistlichen
— nicht des geistigen— des aristokratischen — nicht des Landeswohles.
Die Fassung der ständischen Sitzungsprotocolle geschieht in dem Geiste
jener Mehrheit; die Negierung erlangt keine getreue Kenntniß der
wahren Gesinnung und Wünsche des Volkes, und hält nach den ihr
vorgelegten Anträgen und Berichten des Congresses sehr oft die Ein¬
zelwünsche und Parteizwecke dieses oder jenes einflußreichen Verordne¬
ten für die Bitten und Interessen der getreuen Provinz Tvrol. Wohl
mochte man in Wien über unsere harte Unduldsamkeit gegen die feh¬
lenden Brüder stutzen und — wie es thatsächlich der Fall war —
geraume Zeit Anstand nehmen, die Vertreibung so vieler ruhigen und
bis auf den Glauben in Allem tadelfteien Unterthanen von dem hei¬
mathlichen Herde zu gestatten. Allein die Urheber der Maßregel sammt
ihrem Anhange in und außer dem Congresse wiesen auf den ausge-
gesprocheueu Wunsch des Landes hin, ließen eine besorgliche Stimmung
des glaubenseifrigen Landvolkes drohend durchblicken, und nöthigten


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[0412] und Vertretern in der Nähe, und nehme Kenntniß von den städtischen Rathsversammlungen und den sogenannten Viertels - Conferenzen, wo¬ rin die Wünsche und Beschwerden des Bürger- und Bauernstandes den Vertretern zum ständischen Congresse mitgegeben werden, der auf allerhöchste Aufforderung in der Regel jährlich im Landhause zu Inns¬ bruck sich versammelt. Ueberzeugt er sich dadurch sehr leicht von der Mangelhaftigkeit der Anstalt und ihrer Träger, so wird er bis zum Mitleid gedrängt, wenn er der Ceremonie der Kongreß-Eröffnung anwohnt und über die Weise sich aufklärt, in welcher unter dem maßgebenden Einflüsse des jeweiligen Gubernial<Präsidenten als Landes¬ hauptmanns die Vorträge besprochen und die Stimmen gesammelt werden. Was läßt sich von einer Landesvertretung hoffen, die zur Hälfte aus Geistlichen und Adeligen besteht, deren Ansehen, Einfluß und geschickten Schritten die Bürger und Bauern nothwendig erliegen? Zeuge dessen sind: das Viertel Grundsteuer zum Voraus für die Scholle, die Austreibung der Zillerthaler Irrgläubigen und die Be¬ rufung der Jesuiten. Die Furchtsamkeit und mangelhafte Einsicht der Vertreter des dritten und vierten Standes wich dem Drängen der Geistlichen und der Adelsbank, sich scheuend vor Ungnade und Ver¬ ketzerung. Da fruchtet die Stimme eines einzelnen Muthigen nichts, wie es das Beispiel des Bürgermeisters Dr. Maurer bewies, der sich zu Gunsten der unglücklichen Verirrten im Zillerthale erhob. Die voraus bestimmte Mehrheit des Congresses bleibt unverrückbar im alten Geleise des eigenen Nutzens, der unbedingten Förderung des geistlichen — nicht des geistigen— des aristokratischen — nicht des Landeswohles. Die Fassung der ständischen Sitzungsprotocolle geschieht in dem Geiste jener Mehrheit; die Negierung erlangt keine getreue Kenntniß der wahren Gesinnung und Wünsche des Volkes, und hält nach den ihr vorgelegten Anträgen und Berichten des Congresses sehr oft die Ein¬ zelwünsche und Parteizwecke dieses oder jenes einflußreichen Verordne¬ ten für die Bitten und Interessen der getreuen Provinz Tvrol. Wohl mochte man in Wien über unsere harte Unduldsamkeit gegen die feh¬ lenden Brüder stutzen und — wie es thatsächlich der Fall war — geraume Zeit Anstand nehmen, die Vertreibung so vieler ruhigen und bis auf den Glauben in Allem tadelfteien Unterthanen von dem hei¬ mathlichen Herde zu gestatten. Allein die Urheber der Maßregel sammt ihrem Anhange in und außer dem Congresse wiesen auf den ausge- gesprocheueu Wunsch des Landes hin, ließen eine besorgliche Stimmung des glaubenseifrigen Landvolkes drohend durchblicken, und nöthigten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/412>, abgerufen am 24.07.2024.