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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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und Gebrechen an unsern Bildungsanstalten und an dem Verhältnisse,
worin die Bestrebungen des Geistes der Regierung und der Geistlich¬
keit gegenüber gehalten werden. Tyrol erfreut sich seit Maria The¬
resia zahlreicher Landschulen, die Staatsverwaltung wendet ihnen viele
Aufmerksamkeit zu, sie dringt mit Strenge auf fleißigen Schulbesuch,
auf Besetzung der Lehrerstellen, sorgt für passende Schulgebäude und
zweckmäßige Einschulung, kurz: es wird Alles gethan, um die äußern
Bedingungen einer guten Jugendbildung zu erfüllen, und dennoch
schreitet der Volksunterricht zurück. Unsere jungen Leute können nur
wenig und schlecht lesen; das Schreiben wird so sparsam geübt, daß
der Feiertagsschüler von der Schulbank selten mehr als die Kenntniß
in's Leben mitnimmt, seinen Namen zu kritzeln; im Rechnen bringt es
der größte Theil der Schüler nicht so weit, daß er des Einmaleins
zureichend mächtig wird. Ausnahmen, wie sie in den Mädchenschulen
der Nonnenklöster hier und da glücklich stattfinden, bestärken leider nur
die Regel. So tritt die junge Bevölkerung unwissend in die Geschäfte
des Berufes, und hat, was das Bedauerlichste ist, meist auch allen
Sinn eingebüßt, sich in den freien Stunden durch Lesen geistige Nah¬
rung zu suchen, oder den Verstand durch Versuche in schriftlichen Auf¬
sätzen u. tgi. zu bilden. Woher kommt diese beunruhigende Erschei¬
nung? Die Behörden wissen es, man hat schon Vieles darüber ge¬
schrieben und verhandelt, aber die Abhilfe bleibt aus. Wir wollen
blos bemerken, daß die Landschulmeister fast durchgängig selbst roh und
unwissend sind, weil sie außer der allzu kurzen und oberflächlichen
Vorbereitung bei einer Kreishauptschule keine Allleitung und Uebung
im Lehrfache sich eigen machen können, da eine Anstalt zur Bildung
brauchbarer Schullehrer ganz fehlt. Ebenso nachtheilig ist es, daß die
Jugendlehrer auf dem Lande nicht ihrem Berufe leben können, sondern
den Erwerb ihres Unterhaltes als Baktern oder Handwerker suchen
müssen, weil ihre Bestallung meistens unter 5V Fi., sehr selten über
5V Fi. bis 10t) Fi. steht. Die Gemeinden sind unvermögend, das
Mangelnde aufzubessern; der Wohlthäligkeitssinn wird von bekannter
Seite fast nur auf geistliche Stiftungen hingelenkt und der Schulfsnd
genießt einer viel zu geringen Unterstützung des Staatsschatzes. Die
bestehenden Verordnungen über die Verfassung der deutschen Schulen
stellen das Schulwesen ausschließend u"ter die Einflußnahme der Geist¬
lichkeit; die politischen Stellen haben keine Macht und sind blos da,
um für Schulgebäude und für den Unterhalt der Lehrer zu sorgen.
Der Curat, der Pfarrer hält den Schulmeister als seinen gehorsamen


und Gebrechen an unsern Bildungsanstalten und an dem Verhältnisse,
worin die Bestrebungen des Geistes der Regierung und der Geistlich¬
keit gegenüber gehalten werden. Tyrol erfreut sich seit Maria The¬
resia zahlreicher Landschulen, die Staatsverwaltung wendet ihnen viele
Aufmerksamkeit zu, sie dringt mit Strenge auf fleißigen Schulbesuch,
auf Besetzung der Lehrerstellen, sorgt für passende Schulgebäude und
zweckmäßige Einschulung, kurz: es wird Alles gethan, um die äußern
Bedingungen einer guten Jugendbildung zu erfüllen, und dennoch
schreitet der Volksunterricht zurück. Unsere jungen Leute können nur
wenig und schlecht lesen; das Schreiben wird so sparsam geübt, daß
der Feiertagsschüler von der Schulbank selten mehr als die Kenntniß
in's Leben mitnimmt, seinen Namen zu kritzeln; im Rechnen bringt es
der größte Theil der Schüler nicht so weit, daß er des Einmaleins
zureichend mächtig wird. Ausnahmen, wie sie in den Mädchenschulen
der Nonnenklöster hier und da glücklich stattfinden, bestärken leider nur
die Regel. So tritt die junge Bevölkerung unwissend in die Geschäfte
des Berufes, und hat, was das Bedauerlichste ist, meist auch allen
Sinn eingebüßt, sich in den freien Stunden durch Lesen geistige Nah¬
rung zu suchen, oder den Verstand durch Versuche in schriftlichen Auf¬
sätzen u. tgi. zu bilden. Woher kommt diese beunruhigende Erschei¬
nung? Die Behörden wissen es, man hat schon Vieles darüber ge¬
schrieben und verhandelt, aber die Abhilfe bleibt aus. Wir wollen
blos bemerken, daß die Landschulmeister fast durchgängig selbst roh und
unwissend sind, weil sie außer der allzu kurzen und oberflächlichen
Vorbereitung bei einer Kreishauptschule keine Allleitung und Uebung
im Lehrfache sich eigen machen können, da eine Anstalt zur Bildung
brauchbarer Schullehrer ganz fehlt. Ebenso nachtheilig ist es, daß die
Jugendlehrer auf dem Lande nicht ihrem Berufe leben können, sondern
den Erwerb ihres Unterhaltes als Baktern oder Handwerker suchen
müssen, weil ihre Bestallung meistens unter 5V Fi., sehr selten über
5V Fi. bis 10t) Fi. steht. Die Gemeinden sind unvermögend, das
Mangelnde aufzubessern; der Wohlthäligkeitssinn wird von bekannter
Seite fast nur auf geistliche Stiftungen hingelenkt und der Schulfsnd
genießt einer viel zu geringen Unterstützung des Staatsschatzes. Die
bestehenden Verordnungen über die Verfassung der deutschen Schulen
stellen das Schulwesen ausschließend u»ter die Einflußnahme der Geist¬
lichkeit; die politischen Stellen haben keine Macht und sind blos da,
um für Schulgebäude und für den Unterhalt der Lehrer zu sorgen.
Der Curat, der Pfarrer hält den Schulmeister als seinen gehorsamen


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[0408] und Gebrechen an unsern Bildungsanstalten und an dem Verhältnisse, worin die Bestrebungen des Geistes der Regierung und der Geistlich¬ keit gegenüber gehalten werden. Tyrol erfreut sich seit Maria The¬ resia zahlreicher Landschulen, die Staatsverwaltung wendet ihnen viele Aufmerksamkeit zu, sie dringt mit Strenge auf fleißigen Schulbesuch, auf Besetzung der Lehrerstellen, sorgt für passende Schulgebäude und zweckmäßige Einschulung, kurz: es wird Alles gethan, um die äußern Bedingungen einer guten Jugendbildung zu erfüllen, und dennoch schreitet der Volksunterricht zurück. Unsere jungen Leute können nur wenig und schlecht lesen; das Schreiben wird so sparsam geübt, daß der Feiertagsschüler von der Schulbank selten mehr als die Kenntniß in's Leben mitnimmt, seinen Namen zu kritzeln; im Rechnen bringt es der größte Theil der Schüler nicht so weit, daß er des Einmaleins zureichend mächtig wird. Ausnahmen, wie sie in den Mädchenschulen der Nonnenklöster hier und da glücklich stattfinden, bestärken leider nur die Regel. So tritt die junge Bevölkerung unwissend in die Geschäfte des Berufes, und hat, was das Bedauerlichste ist, meist auch allen Sinn eingebüßt, sich in den freien Stunden durch Lesen geistige Nah¬ rung zu suchen, oder den Verstand durch Versuche in schriftlichen Auf¬ sätzen u. tgi. zu bilden. Woher kommt diese beunruhigende Erschei¬ nung? Die Behörden wissen es, man hat schon Vieles darüber ge¬ schrieben und verhandelt, aber die Abhilfe bleibt aus. Wir wollen blos bemerken, daß die Landschulmeister fast durchgängig selbst roh und unwissend sind, weil sie außer der allzu kurzen und oberflächlichen Vorbereitung bei einer Kreishauptschule keine Allleitung und Uebung im Lehrfache sich eigen machen können, da eine Anstalt zur Bildung brauchbarer Schullehrer ganz fehlt. Ebenso nachtheilig ist es, daß die Jugendlehrer auf dem Lande nicht ihrem Berufe leben können, sondern den Erwerb ihres Unterhaltes als Baktern oder Handwerker suchen müssen, weil ihre Bestallung meistens unter 5V Fi., sehr selten über 5V Fi. bis 10t) Fi. steht. Die Gemeinden sind unvermögend, das Mangelnde aufzubessern; der Wohlthäligkeitssinn wird von bekannter Seite fast nur auf geistliche Stiftungen hingelenkt und der Schulfsnd genießt einer viel zu geringen Unterstützung des Staatsschatzes. Die bestehenden Verordnungen über die Verfassung der deutschen Schulen stellen das Schulwesen ausschließend u»ter die Einflußnahme der Geist¬ lichkeit; die politischen Stellen haben keine Macht und sind blos da, um für Schulgebäude und für den Unterhalt der Lehrer zu sorgen. Der Curat, der Pfarrer hält den Schulmeister als seinen gehorsamen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/408>, abgerufen am 24.07.2024.