Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sten Pillen; und wir möchten das vor uns aufgerollte Bild lieber cincto
Sammet-, als einen Hollen - Breughel nennen dürfen ; denn nicht blos
grau in grau , sondern schwarz in schwarz ist hier mit den grellsten
Streiflichtern gemalt, und das Lobenswerthe zu sehr in den Schatten
des Tadelnswerthen gestellt worden. Schlimm, sehr schlimm ist es da¬
bei, daß man hier in Dresden -- wie wahrscheinlich auch anderwärts
und überall -- Alles vertragen kann,-nur nicht die Wahrheit ; man hat
so lange mit sich selbst und gegenseitig koketcirt und schön gethan, bis
man endlich dem Schicksale des bekannten Lügnersohncs verfallen ist, der
seine eigenen Lügen für baare Wahrheit hielt; und springt ihnen dem-n-
einmal die nackte Wahrheit vor die Augen, dann schreien sie, man habe^
sie in das Gesicht geschlagen und wollen i"sull"nil" klagen. Das Aller-
schlimmste aber freilich ist nun wieder dabei, daß man den Verfasser,
der Pseudonym als "Treumund Wanderer" auf dem Titelbltttte steht,
nicht kennt. Da cursiren denn nun die abenteuerlichsten Gerüchte und-
Conjecturen; Einige bezeichnen das Werk als ein Compagniegeschäst, An¬
dere bezweifeln dies wegen der Gleichförmigkeit des septo und schieben
es einem Einzelnen in die Schuhe. Am häusigsten hörten man den als
musikalischen Referent der Abendzeitung bekannten Oe. Schladebach nen¬
nen; seit er aber mit einer entschiedenen Erklärung im Anzeiger die-
Autorschaft abgelehnt hat, ist man wieder in das weite Meer der Unge¬
wißheit hinausgeschleudert. Zum Ueberfluß ist nun auch noch eineGegenschrift
erschienen, gegen deren Ton dem Vernehmen nach die Conversationen
und Allocutionen eines Berliner Fischweibes Salongcspräch sein sollen.

Doch genug, zu viel schon von diesem literarischen Scandal.
Unsre diesjährige Gemäldeausstellung bietet außer einigen trefflichen Por¬
traits der Prof. Vogel und Hübner und einigen netten Genrebildern,
unter denen namentlich Wendlers "schreckliche Nachricht" hervorzuheben
ist, wenig Nennenswerthes: die geringe Theilnahme des Publicums fällt
hier ein sehr gerechtes Urtheil, und wenn nicht bald Seiten .der Direction
des Instituts energische Maßregeln zu dessen Hebung ergrissen werden,
so dürfte es am Ende daran zu Grabe gehen, daß nicht einmal die
Kosten durch die Einnahme gedeckt werden.

Da unser recitirenves Schauspiel seit der neuen Einrichtung der
Dinge -- über deren Iammerhaftigkeit übrigens nur eine Stimme- im
Publicum ist -- auf der Bahn des Rückschritts reißende Fortschritte
macht, so kann ich Ihnen aus diesem Bereiche nur mittheilen, daß
Gutzkow's neuestes Trauerspiel demnächst hier zur Aufführung kom¬
men soll. In der Oper gab es neulich Reissigers "Schiffbruch der Me¬
dusa" -- mit wenig Abänderungen das nämliche Sujet, welches Uo-
tow's "Matrosen" enthalten. Der Musik fehlt bei vielen unverkennbar
gefälligen Einzelheiten das Großartige und Hinreißende der Composition;
es weht aus den Wasserregionen, in welchen sich der 2. und 3- Act be¬
wegt, eine kühle Luft über dem Ganzen.


sten Pillen; und wir möchten das vor uns aufgerollte Bild lieber cincto
Sammet-, als einen Hollen - Breughel nennen dürfen ; denn nicht blos
grau in grau , sondern schwarz in schwarz ist hier mit den grellsten
Streiflichtern gemalt, und das Lobenswerthe zu sehr in den Schatten
des Tadelnswerthen gestellt worden. Schlimm, sehr schlimm ist es da¬
bei, daß man hier in Dresden — wie wahrscheinlich auch anderwärts
und überall — Alles vertragen kann,-nur nicht die Wahrheit ; man hat
so lange mit sich selbst und gegenseitig koketcirt und schön gethan, bis
man endlich dem Schicksale des bekannten Lügnersohncs verfallen ist, der
seine eigenen Lügen für baare Wahrheit hielt; und springt ihnen dem-n-
einmal die nackte Wahrheit vor die Augen, dann schreien sie, man habe^
sie in das Gesicht geschlagen und wollen i»sull»nil» klagen. Das Aller-
schlimmste aber freilich ist nun wieder dabei, daß man den Verfasser,
der Pseudonym als „Treumund Wanderer" auf dem Titelbltttte steht,
nicht kennt. Da cursiren denn nun die abenteuerlichsten Gerüchte und-
Conjecturen; Einige bezeichnen das Werk als ein Compagniegeschäst, An¬
dere bezweifeln dies wegen der Gleichförmigkeit des septo und schieben
es einem Einzelnen in die Schuhe. Am häusigsten hörten man den als
musikalischen Referent der Abendzeitung bekannten Oe. Schladebach nen¬
nen; seit er aber mit einer entschiedenen Erklärung im Anzeiger die-
Autorschaft abgelehnt hat, ist man wieder in das weite Meer der Unge¬
wißheit hinausgeschleudert. Zum Ueberfluß ist nun auch noch eineGegenschrift
erschienen, gegen deren Ton dem Vernehmen nach die Conversationen
und Allocutionen eines Berliner Fischweibes Salongcspräch sein sollen.

Doch genug, zu viel schon von diesem literarischen Scandal.
Unsre diesjährige Gemäldeausstellung bietet außer einigen trefflichen Por¬
traits der Prof. Vogel und Hübner und einigen netten Genrebildern,
unter denen namentlich Wendlers „schreckliche Nachricht" hervorzuheben
ist, wenig Nennenswerthes: die geringe Theilnahme des Publicums fällt
hier ein sehr gerechtes Urtheil, und wenn nicht bald Seiten .der Direction
des Instituts energische Maßregeln zu dessen Hebung ergrissen werden,
so dürfte es am Ende daran zu Grabe gehen, daß nicht einmal die
Kosten durch die Einnahme gedeckt werden.

Da unser recitirenves Schauspiel seit der neuen Einrichtung der
Dinge — über deren Iammerhaftigkeit übrigens nur eine Stimme- im
Publicum ist — auf der Bahn des Rückschritts reißende Fortschritte
macht, so kann ich Ihnen aus diesem Bereiche nur mittheilen, daß
Gutzkow's neuestes Trauerspiel demnächst hier zur Aufführung kom¬
men soll. In der Oper gab es neulich Reissigers „Schiffbruch der Me¬
dusa" — mit wenig Abänderungen das nämliche Sujet, welches Uo-
tow's „Matrosen" enthalten. Der Musik fehlt bei vielen unverkennbar
gefälligen Einzelheiten das Großartige und Hinreißende der Composition;
es weht aus den Wasserregionen, in welchen sich der 2. und 3- Act be¬
wegt, eine kühle Luft über dem Ganzen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0358" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/183379"/>
            <p xml:id="ID_1068" prev="#ID_1067"> sten Pillen; und wir möchten das vor uns aufgerollte Bild lieber cincto<lb/>
Sammet-, als einen Hollen - Breughel nennen dürfen ; denn nicht blos<lb/>
grau in grau , sondern schwarz in schwarz ist hier mit den grellsten<lb/>
Streiflichtern gemalt, und das Lobenswerthe zu sehr in den Schatten<lb/>
des Tadelnswerthen gestellt worden. Schlimm, sehr schlimm ist es da¬<lb/>
bei, daß man hier in Dresden &#x2014; wie wahrscheinlich auch anderwärts<lb/>
und überall &#x2014; Alles vertragen kann,-nur nicht die Wahrheit ; man hat<lb/>
so lange mit sich selbst und gegenseitig koketcirt und schön gethan, bis<lb/>
man endlich dem Schicksale des bekannten Lügnersohncs verfallen ist, der<lb/>
seine eigenen Lügen für baare Wahrheit hielt; und springt ihnen dem-n-<lb/>
einmal die nackte Wahrheit vor die Augen, dann schreien sie, man habe^<lb/>
sie in das Gesicht geschlagen und wollen i»sull»nil» klagen. Das Aller-<lb/>
schlimmste aber freilich ist nun wieder dabei, daß man den Verfasser,<lb/>
der Pseudonym als &#x201E;Treumund Wanderer" auf dem Titelbltttte steht,<lb/>
nicht kennt. Da cursiren denn nun die abenteuerlichsten Gerüchte und-<lb/>
Conjecturen; Einige bezeichnen das Werk als ein Compagniegeschäst, An¬<lb/>
dere bezweifeln dies wegen der Gleichförmigkeit des septo und schieben<lb/>
es einem Einzelnen in die Schuhe. Am häusigsten hörten man den als<lb/>
musikalischen Referent der Abendzeitung bekannten Oe. Schladebach nen¬<lb/>
nen; seit er aber mit einer entschiedenen Erklärung im Anzeiger die-<lb/>
Autorschaft abgelehnt hat, ist man wieder in das weite Meer der Unge¬<lb/>
wißheit hinausgeschleudert. Zum Ueberfluß ist nun auch noch eineGegenschrift<lb/>
erschienen, gegen deren Ton dem Vernehmen nach die Conversationen<lb/>
und Allocutionen eines Berliner Fischweibes Salongcspräch sein sollen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1069"> Doch genug, zu viel schon von diesem literarischen Scandal.<lb/>
Unsre diesjährige Gemäldeausstellung bietet außer einigen trefflichen Por¬<lb/>
traits der Prof. Vogel und Hübner und einigen netten Genrebildern,<lb/>
unter denen namentlich Wendlers &#x201E;schreckliche Nachricht" hervorzuheben<lb/>
ist, wenig Nennenswerthes: die geringe Theilnahme des Publicums fällt<lb/>
hier ein sehr gerechtes Urtheil, und wenn nicht bald Seiten .der Direction<lb/>
des Instituts energische Maßregeln zu dessen Hebung ergrissen werden,<lb/>
so dürfte es am Ende daran zu Grabe gehen, daß nicht einmal die<lb/>
Kosten durch die Einnahme gedeckt werden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1070"> Da unser recitirenves Schauspiel seit der neuen Einrichtung der<lb/>
Dinge &#x2014; über deren Iammerhaftigkeit übrigens nur eine Stimme- im<lb/>
Publicum ist &#x2014; auf der Bahn des Rückschritts reißende Fortschritte<lb/>
macht, so kann ich Ihnen aus diesem Bereiche nur mittheilen, daß<lb/>
Gutzkow's neuestes Trauerspiel demnächst hier zur Aufführung kom¬<lb/>
men soll. In der Oper gab es neulich Reissigers &#x201E;Schiffbruch der Me¬<lb/>
dusa" &#x2014; mit wenig Abänderungen das nämliche Sujet, welches Uo-<lb/>
tow's &#x201E;Matrosen" enthalten. Der Musik fehlt bei vielen unverkennbar<lb/>
gefälligen Einzelheiten das Großartige und Hinreißende der Composition;<lb/>
es weht aus den Wasserregionen, in welchen sich der 2. und 3- Act be¬<lb/>
wegt, eine kühle Luft über dem Ganzen.</p><lb/>
            <note type="byline"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0358] sten Pillen; und wir möchten das vor uns aufgerollte Bild lieber cincto Sammet-, als einen Hollen - Breughel nennen dürfen ; denn nicht blos grau in grau , sondern schwarz in schwarz ist hier mit den grellsten Streiflichtern gemalt, und das Lobenswerthe zu sehr in den Schatten des Tadelnswerthen gestellt worden. Schlimm, sehr schlimm ist es da¬ bei, daß man hier in Dresden — wie wahrscheinlich auch anderwärts und überall — Alles vertragen kann,-nur nicht die Wahrheit ; man hat so lange mit sich selbst und gegenseitig koketcirt und schön gethan, bis man endlich dem Schicksale des bekannten Lügnersohncs verfallen ist, der seine eigenen Lügen für baare Wahrheit hielt; und springt ihnen dem-n- einmal die nackte Wahrheit vor die Augen, dann schreien sie, man habe^ sie in das Gesicht geschlagen und wollen i»sull»nil» klagen. Das Aller- schlimmste aber freilich ist nun wieder dabei, daß man den Verfasser, der Pseudonym als „Treumund Wanderer" auf dem Titelbltttte steht, nicht kennt. Da cursiren denn nun die abenteuerlichsten Gerüchte und- Conjecturen; Einige bezeichnen das Werk als ein Compagniegeschäst, An¬ dere bezweifeln dies wegen der Gleichförmigkeit des septo und schieben es einem Einzelnen in die Schuhe. Am häusigsten hörten man den als musikalischen Referent der Abendzeitung bekannten Oe. Schladebach nen¬ nen; seit er aber mit einer entschiedenen Erklärung im Anzeiger die- Autorschaft abgelehnt hat, ist man wieder in das weite Meer der Unge¬ wißheit hinausgeschleudert. Zum Ueberfluß ist nun auch noch eineGegenschrift erschienen, gegen deren Ton dem Vernehmen nach die Conversationen und Allocutionen eines Berliner Fischweibes Salongcspräch sein sollen. Doch genug, zu viel schon von diesem literarischen Scandal. Unsre diesjährige Gemäldeausstellung bietet außer einigen trefflichen Por¬ traits der Prof. Vogel und Hübner und einigen netten Genrebildern, unter denen namentlich Wendlers „schreckliche Nachricht" hervorzuheben ist, wenig Nennenswerthes: die geringe Theilnahme des Publicums fällt hier ein sehr gerechtes Urtheil, und wenn nicht bald Seiten .der Direction des Instituts energische Maßregeln zu dessen Hebung ergrissen werden, so dürfte es am Ende daran zu Grabe gehen, daß nicht einmal die Kosten durch die Einnahme gedeckt werden. Da unser recitirenves Schauspiel seit der neuen Einrichtung der Dinge — über deren Iammerhaftigkeit übrigens nur eine Stimme- im Publicum ist — auf der Bahn des Rückschritts reißende Fortschritte macht, so kann ich Ihnen aus diesem Bereiche nur mittheilen, daß Gutzkow's neuestes Trauerspiel demnächst hier zur Aufführung kom¬ men soll. In der Oper gab es neulich Reissigers „Schiffbruch der Me¬ dusa" — mit wenig Abänderungen das nämliche Sujet, welches Uo- tow's „Matrosen" enthalten. Der Musik fehlt bei vielen unverkennbar gefälligen Einzelheiten das Großartige und Hinreißende der Composition; es weht aus den Wasserregionen, in welchen sich der 2. und 3- Act be¬ wegt, eine kühle Luft über dem Ganzen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/358
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/358>, abgerufen am 24.07.2024.