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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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eine strengere Tendenz. Warum verläßt der junge Bauer des Schwarz¬
waldes seine Hütte? warum verläßt der Holzhauer sein Gebirge?
Die Eitelkeit treibt ihn. Er will nicht mehr seinen Brüdern ähnlich
sein. Die Kleidung der Städter erregt seinen Neid; er zieht fort, er
geht in die Stadt, er wird sogar weiter gehen, über den Rhein, nach
Straßburg, und wird sich hier in den Schenken herumtreiben. So
hat Florian gelebt. Als er dann mit seinem Sonntagsanzug und sei¬
nen wunderlichen Prätensionen in dies Dorf zurückkehrt, was ist
aus dem armen Florian geworden? Er ist kein Student, und er ist
kein Landmann mehr. Er hat von der Stadt nur die Laster, die Un¬
verschämtheit und die Faulheit angenommen. Seine Ankunft ist na¬
türlich in Nordstetten ein Ereigniß; aber Auerbach ist ohne Mitleid,
er stellt das verborgene Elend dieser falschen Eristenz, welche den ein¬
fältigen Leuten der Provinz so reizend erscheint, unbarmherzig blos.
Während man ihn bewundert, während Life und Bärble und Grelle
an dem Brunnen voller Respect von ihm schwatzen, deckt uns der Er¬
zähler sein trauriges Leben auf, seine Verlegenheiten, seinen Stolz,
seinen Geldmangel und alle Intriguen des Abenteurers. Florian ist
nahe daran, ein Dieb und ein Mörder zu werden. Doch der Verfas¬
ser läßt sich endlich erweichen, indem er dem Landstreicher eine treue Ge¬
fährtin zuführt, die ihn wider seinen Willen retten wird. Ich be-
daure es, hier nur den Rahmen dieser rührenden Geschichten angeben
zu können; denn das Verdienst dabei besteht in der Originalität der
Details. Der höhere Einfluß der Frau ist eine Idee, auf welche Auer¬
bach viel Werth legt und die er mit Glück behandelt. Käthe, Cres-
zenz, Hedwig, alle diese reizenden Geschöpfe, diese Dorfheroinen haben
eine eigenthümliche, wahrhaft schöne und zarte Physiognomie.

Was dem Buch Auerbach's uoch ein besonderes Interesse und eine
reizende Einheit gibt, ist, daß er nicht aus seinem Dorf herausgeht-
der Horizont von Nordstetten genügt ihm. Alle Bewohner der Ge¬
meinde werden nach einander vorgeführt und werden so gleichsam zu
einer Familie, deren Geschichte man begierig hört. Der Soldat, der
Geistliche, der Seminarist, der Schultheiß, der Tolpatsch treten beständig
wieder auf in wechselnden Bildern. Einer seiner liebsten Schützlinge ist der
Schulmeister. Armer Schulmeister! er ist kein Einheimischer, er ist in Lauter¬
bach geboren, und von hier kommt er, um von seinem kleinen Amt Besitz zu
nehmen. Wie fröhlich, wie zuversichtlich er ist! Ach, er wird vom
ersten Tage an mit Spott und Uebelwollen zu kämpfen haben. Man
betrachte ihn, es ist Sonntag bei Sonnenuntergang, die Glocken lau-


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eine strengere Tendenz. Warum verläßt der junge Bauer des Schwarz¬
waldes seine Hütte? warum verläßt der Holzhauer sein Gebirge?
Die Eitelkeit treibt ihn. Er will nicht mehr seinen Brüdern ähnlich
sein. Die Kleidung der Städter erregt seinen Neid; er zieht fort, er
geht in die Stadt, er wird sogar weiter gehen, über den Rhein, nach
Straßburg, und wird sich hier in den Schenken herumtreiben. So
hat Florian gelebt. Als er dann mit seinem Sonntagsanzug und sei¬
nen wunderlichen Prätensionen in dies Dorf zurückkehrt, was ist
aus dem armen Florian geworden? Er ist kein Student, und er ist
kein Landmann mehr. Er hat von der Stadt nur die Laster, die Un¬
verschämtheit und die Faulheit angenommen. Seine Ankunft ist na¬
türlich in Nordstetten ein Ereigniß; aber Auerbach ist ohne Mitleid,
er stellt das verborgene Elend dieser falschen Eristenz, welche den ein¬
fältigen Leuten der Provinz so reizend erscheint, unbarmherzig blos.
Während man ihn bewundert, während Life und Bärble und Grelle
an dem Brunnen voller Respect von ihm schwatzen, deckt uns der Er¬
zähler sein trauriges Leben auf, seine Verlegenheiten, seinen Stolz,
seinen Geldmangel und alle Intriguen des Abenteurers. Florian ist
nahe daran, ein Dieb und ein Mörder zu werden. Doch der Verfas¬
ser läßt sich endlich erweichen, indem er dem Landstreicher eine treue Ge¬
fährtin zuführt, die ihn wider seinen Willen retten wird. Ich be-
daure es, hier nur den Rahmen dieser rührenden Geschichten angeben
zu können; denn das Verdienst dabei besteht in der Originalität der
Details. Der höhere Einfluß der Frau ist eine Idee, auf welche Auer¬
bach viel Werth legt und die er mit Glück behandelt. Käthe, Cres-
zenz, Hedwig, alle diese reizenden Geschöpfe, diese Dorfheroinen haben
eine eigenthümliche, wahrhaft schöne und zarte Physiognomie.

Was dem Buch Auerbach's uoch ein besonderes Interesse und eine
reizende Einheit gibt, ist, daß er nicht aus seinem Dorf herausgeht-
der Horizont von Nordstetten genügt ihm. Alle Bewohner der Ge¬
meinde werden nach einander vorgeführt und werden so gleichsam zu
einer Familie, deren Geschichte man begierig hört. Der Soldat, der
Geistliche, der Seminarist, der Schultheiß, der Tolpatsch treten beständig
wieder auf in wechselnden Bildern. Einer seiner liebsten Schützlinge ist der
Schulmeister. Armer Schulmeister! er ist kein Einheimischer, er ist in Lauter¬
bach geboren, und von hier kommt er, um von seinem kleinen Amt Besitz zu
nehmen. Wie fröhlich, wie zuversichtlich er ist! Ach, er wird vom
ersten Tage an mit Spott und Uebelwollen zu kämpfen haben. Man
betrachte ihn, es ist Sonntag bei Sonnenuntergang, die Glocken lau-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/35>, abgerufen am 24.07.2024.