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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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der dritten Person von ihm.-- Ich kenne ihn leider von der ersten,--
schaltete er, lange lachend, ein. -- Aber,-- fuhr ich lauter und ernst
fort, -- es regt sich jetzt ein anderer Geist im jungen Deutschland! Die
Lyrik, die früher alle Kräfte -- alle Federn besaß und sie von den
gewichtigen Vaterlandsfragen und Arbeiten entfernte, die Jungfrau,
die keusch, ohne Interesse an weltlichen Dingen zu nehmen, vereinzelt
dastand und sich von Frühlings-Stanzen und Liebessonetten ernährte,
hat das Alleinleben jetzt langweilig gefunden, die alten Anbeter sind
gestorben und vergessen, die jungen finden sie monoton und sie hat
den Heiligenschein abgelegt und hört nicht nur Apollo, sondern auch
sehr gern Mars' Erklärungen an. Es ist das Wort zur Zeit jetzt in
Deutschland an der Zeit, der deutsche Ernst lispelt nicht mehr Geßneri--
sche Idyllen, er ruft tönend seine Wünsche -- ja feilte Forderungen, und
minime er auch noch manchmal den lyrischen Mantel um, so geschieht's,
um die Zeitgenosse", die der Nacktheit noch ungewohnt sind, nicht zu
erschrecke", so geschieht's leider noch aus Furcht, daß einige zimperliche
Federn es nicht für ästhetisch erklären werde", die Glieder, so edel sie
auch sind, blos zu zeigen, von den liebeln, so schädlich die wärmende
Decke auch ist, zu sprechen.

-- Und Sie glauben, das hält sich?-- frug er bitter,--ich bereue
es, die wenigen politischen Gedichte veröffentlicht zu haben, die ich schrieb.
Gehen wie auf Ihre lange Metapher ein -- Apollo und Mars wer¬
den aber sich nicht lange verhalten; es ist überhaupt nicht mehr die
Zeit für Gedichte, weder hier noch in Deutschland -- in Deutschland
schon gar nicht! In Frankreich darf der Poet von der Galeere kom¬
men, schreibt er etwas Neues, liest es alle Welt, loben es Alle! Bet
uns zu Hause liest Keiner eher ein Buch, bis er sich über die solide
Eonduite des Dichters erkundigt -- von seiner Tendenz überzeugt hat.
Und wie Deutschland selbst Hartnäckigkeit für Consequenz nimmt und
eher Menschenwürde lind Recht, als die traditionellen Codexe läßt, so
glaubt und urtheilt es auch von anderen Staaten wie von jedem Ein¬
zelnen; sie glauben daheim nicht, daß man die Selbstüberschätzung gar
bald verliert und, den Leichtsinn bitter bereuend, in der Fremde bei
Seite wirft; sie wissen nicht, was das heifit, eilf lange Jahre auf
den Sprossen deö Erils ans- und absteigen ; sie werden ihrer Dichter
nimmer froh; Jeder schätzt sich glücklich, Marterwerkzeuge für einen
vom Volk geliebten Namen herbeizuschaffen, wen das Volk hoch all¬
schlägt, kreuzigen sie hoch an, so war's und bleibt's bei uns -- von
Wieland bis Heine. -- Er schwieg erschöpft. Die gelähmte Zunge


der dritten Person von ihm.— Ich kenne ihn leider von der ersten,—
schaltete er, lange lachend, ein. — Aber,— fuhr ich lauter und ernst
fort, — es regt sich jetzt ein anderer Geist im jungen Deutschland! Die
Lyrik, die früher alle Kräfte — alle Federn besaß und sie von den
gewichtigen Vaterlandsfragen und Arbeiten entfernte, die Jungfrau,
die keusch, ohne Interesse an weltlichen Dingen zu nehmen, vereinzelt
dastand und sich von Frühlings-Stanzen und Liebessonetten ernährte,
hat das Alleinleben jetzt langweilig gefunden, die alten Anbeter sind
gestorben und vergessen, die jungen finden sie monoton und sie hat
den Heiligenschein abgelegt und hört nicht nur Apollo, sondern auch
sehr gern Mars' Erklärungen an. Es ist das Wort zur Zeit jetzt in
Deutschland an der Zeit, der deutsche Ernst lispelt nicht mehr Geßneri--
sche Idyllen, er ruft tönend seine Wünsche — ja feilte Forderungen, und
minime er auch noch manchmal den lyrischen Mantel um, so geschieht's,
um die Zeitgenosse», die der Nacktheit noch ungewohnt sind, nicht zu
erschrecke», so geschieht's leider noch aus Furcht, daß einige zimperliche
Federn es nicht für ästhetisch erklären werde», die Glieder, so edel sie
auch sind, blos zu zeigen, von den liebeln, so schädlich die wärmende
Decke auch ist, zu sprechen.

— Und Sie glauben, das hält sich?— frug er bitter,—ich bereue
es, die wenigen politischen Gedichte veröffentlicht zu haben, die ich schrieb.
Gehen wie auf Ihre lange Metapher ein — Apollo und Mars wer¬
den aber sich nicht lange verhalten; es ist überhaupt nicht mehr die
Zeit für Gedichte, weder hier noch in Deutschland — in Deutschland
schon gar nicht! In Frankreich darf der Poet von der Galeere kom¬
men, schreibt er etwas Neues, liest es alle Welt, loben es Alle! Bet
uns zu Hause liest Keiner eher ein Buch, bis er sich über die solide
Eonduite des Dichters erkundigt — von seiner Tendenz überzeugt hat.
Und wie Deutschland selbst Hartnäckigkeit für Consequenz nimmt und
eher Menschenwürde lind Recht, als die traditionellen Codexe läßt, so
glaubt und urtheilt es auch von anderen Staaten wie von jedem Ein¬
zelnen; sie glauben daheim nicht, daß man die Selbstüberschätzung gar
bald verliert und, den Leichtsinn bitter bereuend, in der Fremde bei
Seite wirft; sie wissen nicht, was das heifit, eilf lange Jahre auf
den Sprossen deö Erils ans- und absteigen ; sie werden ihrer Dichter
nimmer froh; Jeder schätzt sich glücklich, Marterwerkzeuge für einen
vom Volk geliebten Namen herbeizuschaffen, wen das Volk hoch all¬
schlägt, kreuzigen sie hoch an, so war's und bleibt's bei uns — von
Wieland bis Heine. — Er schwieg erschöpft. Die gelähmte Zunge


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/346>, abgerufen am 24.07.2024.