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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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wandtesten Schriftsteller zu mehr als einer schönen Erzählung begei¬
stert, und die Verfasserin von Mauprat hat es mit Kraft benutzt.
Hier bewegt sich die Handlung nicht in so edlen Sphären; es ist hier
kein Raum für poetische Entwickelungen; dennoch hat auch diese naive
Dorf-Edmee ihre Anmuth. Den Zweck, den die edle Geliebte Mau-
prat's mit einem so hohen Bewußtsein verfolgt, erreicht sie, ohne sich
dessen bewußt zu sein und in ganz populären Verhältnissen.

Herr Auerbach ist in diesen raschen Erzählungen Meister; er hat
jedoch Recht, sie nicht zu mißbrauchen, uns nicht blos ein Porträt,
sondern ein ganzes Tableau, eine Fabel von längerem Athem vorzu¬
führen, ein kleines Drama, wo sich seine Personen in Freiheit bewegen. Es
sind deren drei in dieser Sammlung, die sich der Aufmerksamkeit des
Lesers empfehlen, Jvo der Hairle, Florian und Creszenz und der
Schulmeister von Lauterbach. Die deutschen Kritiker haben "Jvo der
Hairle" als das glücklichste Erzeugniß Auerbach's bezeichnet, und ich
bin gern ihrer Meinung. Wenn man diesen liebenswürdigen Erzäh¬
ler in Frankreich einführen wollte, so müßte man diesen kleinen Ro¬
man übersetzen. Der Gegenstand desselben ist ernst und lieblich; wir
haben hier das Leben eines jungen Bauern vor uns, der in's Semi¬
nar eingetreten ist. Die Abenteuer dieses frommen und zarten Jüng¬
lings, die schmerzlichen Kämpfe seines Herzens, die oft sehr traurigen,
tief nagenden Entwicklungen eines dunkeln, edel durchgekämpften Ge¬
schicks. Die Zweifel, die Enttäuschungen, die Verzweiflung Jvo'ö, der
Entschluß, den er nach unendlich vielen innern Kämpfen und unter¬
drückten Seufzern faßt, dem religiösen Leben zu entsagen, der Wider¬
stand der Eltern, der blinde Eigensinn des Vaters, Alles dieses bildet
eine schmerzerfüllte, tragische Erzählung. Der Verfasser bedürfte großer
Kunst, um den Gemeinplätzen zu entgehen, und er hat sie vermieden.
Und dann, paßt diese Geschichte nicht vortrefflich in den gewählten
Rahmen? Findet diese Dichtung nicht ihre volle praktische Wahrheit
in diesem so nahe liegenden Großherzogthum Baden, wo der Cle-
rus jedes Jahr gegen die römische Kirchenzucht seine Stimme erhebt?
Der Verfasser läßt diese ernste Seite des Gegenstandes durchblicken,
ohne tiefer darin einzugehen. Wir haben hier kein systematisches Stre¬
ben, keine Phrasen, keine dogmatische Prätention, sondern ein lebendi¬
ges Gemälde, dessen Wahrheit zu unserm Herzen spricht.

Herr Auerbach liebt seine schwarzwälder Bauern mit einer ächten
Zuneigung, und wenn er sie mit Grazie zeichnet, so spart er ihnen
auch die Lehren nicht. Die Geschichte "Florian und Creszenz" hat


wandtesten Schriftsteller zu mehr als einer schönen Erzählung begei¬
stert, und die Verfasserin von Mauprat hat es mit Kraft benutzt.
Hier bewegt sich die Handlung nicht in so edlen Sphären; es ist hier
kein Raum für poetische Entwickelungen; dennoch hat auch diese naive
Dorf-Edmee ihre Anmuth. Den Zweck, den die edle Geliebte Mau-
prat's mit einem so hohen Bewußtsein verfolgt, erreicht sie, ohne sich
dessen bewußt zu sein und in ganz populären Verhältnissen.

Herr Auerbach ist in diesen raschen Erzählungen Meister; er hat
jedoch Recht, sie nicht zu mißbrauchen, uns nicht blos ein Porträt,
sondern ein ganzes Tableau, eine Fabel von längerem Athem vorzu¬
führen, ein kleines Drama, wo sich seine Personen in Freiheit bewegen. Es
sind deren drei in dieser Sammlung, die sich der Aufmerksamkeit des
Lesers empfehlen, Jvo der Hairle, Florian und Creszenz und der
Schulmeister von Lauterbach. Die deutschen Kritiker haben „Jvo der
Hairle" als das glücklichste Erzeugniß Auerbach's bezeichnet, und ich
bin gern ihrer Meinung. Wenn man diesen liebenswürdigen Erzäh¬
ler in Frankreich einführen wollte, so müßte man diesen kleinen Ro¬
man übersetzen. Der Gegenstand desselben ist ernst und lieblich; wir
haben hier das Leben eines jungen Bauern vor uns, der in's Semi¬
nar eingetreten ist. Die Abenteuer dieses frommen und zarten Jüng¬
lings, die schmerzlichen Kämpfe seines Herzens, die oft sehr traurigen,
tief nagenden Entwicklungen eines dunkeln, edel durchgekämpften Ge¬
schicks. Die Zweifel, die Enttäuschungen, die Verzweiflung Jvo'ö, der
Entschluß, den er nach unendlich vielen innern Kämpfen und unter¬
drückten Seufzern faßt, dem religiösen Leben zu entsagen, der Wider¬
stand der Eltern, der blinde Eigensinn des Vaters, Alles dieses bildet
eine schmerzerfüllte, tragische Erzählung. Der Verfasser bedürfte großer
Kunst, um den Gemeinplätzen zu entgehen, und er hat sie vermieden.
Und dann, paßt diese Geschichte nicht vortrefflich in den gewählten
Rahmen? Findet diese Dichtung nicht ihre volle praktische Wahrheit
in diesem so nahe liegenden Großherzogthum Baden, wo der Cle-
rus jedes Jahr gegen die römische Kirchenzucht seine Stimme erhebt?
Der Verfasser läßt diese ernste Seite des Gegenstandes durchblicken,
ohne tiefer darin einzugehen. Wir haben hier kein systematisches Stre¬
ben, keine Phrasen, keine dogmatische Prätention, sondern ein lebendi¬
ges Gemälde, dessen Wahrheit zu unserm Herzen spricht.

Herr Auerbach liebt seine schwarzwälder Bauern mit einer ächten
Zuneigung, und wenn er sie mit Grazie zeichnet, so spart er ihnen
auch die Lehren nicht. Die Geschichte „Florian und Creszenz" hat


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[0034] wandtesten Schriftsteller zu mehr als einer schönen Erzählung begei¬ stert, und die Verfasserin von Mauprat hat es mit Kraft benutzt. Hier bewegt sich die Handlung nicht in so edlen Sphären; es ist hier kein Raum für poetische Entwickelungen; dennoch hat auch diese naive Dorf-Edmee ihre Anmuth. Den Zweck, den die edle Geliebte Mau- prat's mit einem so hohen Bewußtsein verfolgt, erreicht sie, ohne sich dessen bewußt zu sein und in ganz populären Verhältnissen. Herr Auerbach ist in diesen raschen Erzählungen Meister; er hat jedoch Recht, sie nicht zu mißbrauchen, uns nicht blos ein Porträt, sondern ein ganzes Tableau, eine Fabel von längerem Athem vorzu¬ führen, ein kleines Drama, wo sich seine Personen in Freiheit bewegen. Es sind deren drei in dieser Sammlung, die sich der Aufmerksamkeit des Lesers empfehlen, Jvo der Hairle, Florian und Creszenz und der Schulmeister von Lauterbach. Die deutschen Kritiker haben „Jvo der Hairle" als das glücklichste Erzeugniß Auerbach's bezeichnet, und ich bin gern ihrer Meinung. Wenn man diesen liebenswürdigen Erzäh¬ ler in Frankreich einführen wollte, so müßte man diesen kleinen Ro¬ man übersetzen. Der Gegenstand desselben ist ernst und lieblich; wir haben hier das Leben eines jungen Bauern vor uns, der in's Semi¬ nar eingetreten ist. Die Abenteuer dieses frommen und zarten Jüng¬ lings, die schmerzlichen Kämpfe seines Herzens, die oft sehr traurigen, tief nagenden Entwicklungen eines dunkeln, edel durchgekämpften Ge¬ schicks. Die Zweifel, die Enttäuschungen, die Verzweiflung Jvo'ö, der Entschluß, den er nach unendlich vielen innern Kämpfen und unter¬ drückten Seufzern faßt, dem religiösen Leben zu entsagen, der Wider¬ stand der Eltern, der blinde Eigensinn des Vaters, Alles dieses bildet eine schmerzerfüllte, tragische Erzählung. Der Verfasser bedürfte großer Kunst, um den Gemeinplätzen zu entgehen, und er hat sie vermieden. Und dann, paßt diese Geschichte nicht vortrefflich in den gewählten Rahmen? Findet diese Dichtung nicht ihre volle praktische Wahrheit in diesem so nahe liegenden Großherzogthum Baden, wo der Cle- rus jedes Jahr gegen die römische Kirchenzucht seine Stimme erhebt? Der Verfasser läßt diese ernste Seite des Gegenstandes durchblicken, ohne tiefer darin einzugehen. Wir haben hier kein systematisches Stre¬ ben, keine Phrasen, keine dogmatische Prätention, sondern ein lebendi¬ ges Gemälde, dessen Wahrheit zu unserm Herzen spricht. Herr Auerbach liebt seine schwarzwälder Bauern mit einer ächten Zuneigung, und wenn er sie mit Grazie zeichnet, so spart er ihnen auch die Lehren nicht. Die Geschichte „Florian und Creszenz" hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/34>, abgerufen am 24.07.2024.