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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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"Obereigenthum" ("v> o^ et'-rnlininL"), welches durch Rente und Zins
dargestellt wird und allerdings der Erbe des feudalen Obereigenthums
ist, nur das nutzbare Eigenthum des Benutzenden, des Arbeitenden,
wirklich Thätigen, erkennt er an. Aber es ist ein großer Irrthum, ihn
für einen Communisten zu halten, denn er sagt mehrmals: Wie un¬
sere alte Gesellschaft den Schwachen durch den Starken et'ploitiren lasse,
so crploitire in dem Communismus der Schwache den Starken.
Seine Haupt-Thesis aber, die er mit eminenten Scharfsinn durch¬
führt (und in der er mit Helvetius zusammentrifft) ist die, daß eine
jede Kapacität so viel werth sei, als jede andere, daß alle zusammen
einander bedürften und jede Fähigkeit und jede Thätigkeit nur ein
Produkt der ganzen Gesellschaft mit allen ihren Voraussetzungen sei,
so daß an jedem Werk nur der materielle Aufwand an Zeitverlust
und an rohem Material bezahlt werden könne.

Solche Deductionen gelten in Frankreich für praktisch, in Deutsch¬
land hieße das: Hirngespinst, wie unsere Philosophie wiederum in
Frankreich als Traumgebilde bezeichnet wird.

Von den Socialisten stehen heut zu Tage scheinbar die Ge¬
mäßigteren an der Spitze, Louis Alane (seine Schrift: "tlo I'o"
Fam8-ulmi <In tru-v-at" hat sehr rasch die 4te Ausgabe erlebt, und
die Dichter, welche die dornenlosere Laufbahn erwählt haben, wie
Eugen Sue und George Sand, denn grade für die Tendenz-Poesie
ist der Socialismus reif genug, aber am System und besonders an
der Construction würde er noch scheitern. Louis Blanc nimmt in sei¬
nem Auftreten Rücksichten, weil er an eine praktische Zukunft denkt,
und, obgleich er die officiellen Wege des Ruhms verschmäht, ist er
doch ehrgeizig genug, sich "möglich zu erhalten". Er will die radicale
Reform leiten und stützt sich darum auf die Majorität, welche noch
nicht Alles wegwirft. -- In seinem äußeren Wesen, wie in seiner
Carriere ist Etwas, das an Thiers erinnert. --

Nicht auf die nackte Praris der Hungersnoth (wie
in England) stützt sich diese welthistorische Bewegung in Frankreich,
freilich auch nicht auf rechtsphilosophische Spekulationen, wie in
Deutschland, -- sondern ganz einfach auf das Princip der französi¬
schen Revolutionen, auf das System der Gleichheit. Nach 5V
Jahren voll labyrinthischer Wirren und heroischer Opfer ist es den
denkenden Franzosen klar geworden, daß -- neben der absoluten Frei¬
heit des Eigenthums -- die Gleichheit stets nur formell, nicht ma¬
teriell reaUsirt werden könne, daß der Jesuitismus der Unterdrückung


„Obereigenthum" („v> o^ et'-rnlininL"), welches durch Rente und Zins
dargestellt wird und allerdings der Erbe des feudalen Obereigenthums
ist, nur das nutzbare Eigenthum des Benutzenden, des Arbeitenden,
wirklich Thätigen, erkennt er an. Aber es ist ein großer Irrthum, ihn
für einen Communisten zu halten, denn er sagt mehrmals: Wie un¬
sere alte Gesellschaft den Schwachen durch den Starken et'ploitiren lasse,
so crploitire in dem Communismus der Schwache den Starken.
Seine Haupt-Thesis aber, die er mit eminenten Scharfsinn durch¬
führt (und in der er mit Helvetius zusammentrifft) ist die, daß eine
jede Kapacität so viel werth sei, als jede andere, daß alle zusammen
einander bedürften und jede Fähigkeit und jede Thätigkeit nur ein
Produkt der ganzen Gesellschaft mit allen ihren Voraussetzungen sei,
so daß an jedem Werk nur der materielle Aufwand an Zeitverlust
und an rohem Material bezahlt werden könne.

Solche Deductionen gelten in Frankreich für praktisch, in Deutsch¬
land hieße das: Hirngespinst, wie unsere Philosophie wiederum in
Frankreich als Traumgebilde bezeichnet wird.

Von den Socialisten stehen heut zu Tage scheinbar die Ge¬
mäßigteren an der Spitze, Louis Alane (seine Schrift: „tlo I'o»
Fam8-ulmi <In tru-v-at" hat sehr rasch die 4te Ausgabe erlebt, und
die Dichter, welche die dornenlosere Laufbahn erwählt haben, wie
Eugen Sue und George Sand, denn grade für die Tendenz-Poesie
ist der Socialismus reif genug, aber am System und besonders an
der Construction würde er noch scheitern. Louis Blanc nimmt in sei¬
nem Auftreten Rücksichten, weil er an eine praktische Zukunft denkt,
und, obgleich er die officiellen Wege des Ruhms verschmäht, ist er
doch ehrgeizig genug, sich „möglich zu erhalten". Er will die radicale
Reform leiten und stützt sich darum auf die Majorität, welche noch
nicht Alles wegwirft. — In seinem äußeren Wesen, wie in seiner
Carriere ist Etwas, das an Thiers erinnert. —

Nicht auf die nackte Praris der Hungersnoth (wie
in England) stützt sich diese welthistorische Bewegung in Frankreich,
freilich auch nicht auf rechtsphilosophische Spekulationen, wie in
Deutschland, — sondern ganz einfach auf das Princip der französi¬
schen Revolutionen, auf das System der Gleichheit. Nach 5V
Jahren voll labyrinthischer Wirren und heroischer Opfer ist es den
denkenden Franzosen klar geworden, daß — neben der absoluten Frei¬
heit des Eigenthums — die Gleichheit stets nur formell, nicht ma¬
teriell reaUsirt werden könne, daß der Jesuitismus der Unterdrückung


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[0332] „Obereigenthum" („v> o^ et'-rnlininL"), welches durch Rente und Zins dargestellt wird und allerdings der Erbe des feudalen Obereigenthums ist, nur das nutzbare Eigenthum des Benutzenden, des Arbeitenden, wirklich Thätigen, erkennt er an. Aber es ist ein großer Irrthum, ihn für einen Communisten zu halten, denn er sagt mehrmals: Wie un¬ sere alte Gesellschaft den Schwachen durch den Starken et'ploitiren lasse, so crploitire in dem Communismus der Schwache den Starken. Seine Haupt-Thesis aber, die er mit eminenten Scharfsinn durch¬ führt (und in der er mit Helvetius zusammentrifft) ist die, daß eine jede Kapacität so viel werth sei, als jede andere, daß alle zusammen einander bedürften und jede Fähigkeit und jede Thätigkeit nur ein Produkt der ganzen Gesellschaft mit allen ihren Voraussetzungen sei, so daß an jedem Werk nur der materielle Aufwand an Zeitverlust und an rohem Material bezahlt werden könne. Solche Deductionen gelten in Frankreich für praktisch, in Deutsch¬ land hieße das: Hirngespinst, wie unsere Philosophie wiederum in Frankreich als Traumgebilde bezeichnet wird. Von den Socialisten stehen heut zu Tage scheinbar die Ge¬ mäßigteren an der Spitze, Louis Alane (seine Schrift: „tlo I'o» Fam8-ulmi <In tru-v-at" hat sehr rasch die 4te Ausgabe erlebt, und die Dichter, welche die dornenlosere Laufbahn erwählt haben, wie Eugen Sue und George Sand, denn grade für die Tendenz-Poesie ist der Socialismus reif genug, aber am System und besonders an der Construction würde er noch scheitern. Louis Blanc nimmt in sei¬ nem Auftreten Rücksichten, weil er an eine praktische Zukunft denkt, und, obgleich er die officiellen Wege des Ruhms verschmäht, ist er doch ehrgeizig genug, sich „möglich zu erhalten". Er will die radicale Reform leiten und stützt sich darum auf die Majorität, welche noch nicht Alles wegwirft. — In seinem äußeren Wesen, wie in seiner Carriere ist Etwas, das an Thiers erinnert. — Nicht auf die nackte Praris der Hungersnoth (wie in England) stützt sich diese welthistorische Bewegung in Frankreich, freilich auch nicht auf rechtsphilosophische Spekulationen, wie in Deutschland, — sondern ganz einfach auf das Princip der französi¬ schen Revolutionen, auf das System der Gleichheit. Nach 5V Jahren voll labyrinthischer Wirren und heroischer Opfer ist es den denkenden Franzosen klar geworden, daß — neben der absoluten Frei¬ heit des Eigenthums — die Gleichheit stets nur formell, nicht ma¬ teriell reaUsirt werden könne, daß der Jesuitismus der Unterdrückung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/332>, abgerufen am 24.07.2024.