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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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titire." Cap. III., IV. und V. beweisen dasselbe von der Minorität
der Departements; überall herrschen die leichter zu influirenden Mi¬
noritäten vor. Das erfreulichste Resultat der Lesseps'sehen Forschun¬
gen ist aber, daß sogar unter den Reichen die Minorität prädominirt.
Nicht nur (s. öl-uxiein" pi-oposition, s>ug-. 4?.), daß in den einzelnen
Wahl-Collegien die Wähler nur den geringeren Theil des Besitzes
und des Steuer-Quantums darstellen, so daß z. B.: 278 Deputate
(von 459 Deputaten) noch keine 200 Millionen Francs Steuern
vertreten (bei einem Budget von der siebenfachen Größe!). Sogar
die Central-Punkte der Industrie, des Handels, der Gewerbe, stehen
hinter den meisten Provinzialorten zurück, nur damit keinerlei Art von
unabhängiger Bildung den directen Einwirkungen des Ministeriums
Trotz biete. Der Welthandel soll verdrängt werden von der Klein-
städtcrei verrotteter Marktflecken, die durch einen neuen Brunnen oder
Vicinalweg zu bestechen sind. Darumist Paris verhältnißmäßig sehr
schlecht vertreten! --

In Lond"!ac (Otte" dn Nur<y wählen 144 Wähler einen De¬
putaten, das 2de Arrondissement von Paris hat 2873 Wähler auf
einen Deputaten. So entsteht die Volkskammer und darum verfällt
sie! -

Das leitende, obgleich auch nur höchst inconsequent befolgte
Princip des Wahlgesetzes war die Vertheilung nach Arrondissements,
nach Lokalitäten, welche für den Nolksgcist gar keine und für die
Verwaltung nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Desto mehr
arithmetische Genauigkeit mußte wenigstens in der äußerlichen Ver¬
theilung herrschen!-- Die principielle Opposition in der Kammer sieht
auch ein, daß sie, um stark und berechtigt zu sein, eine Wahl-
Reform bedarf. Damit das allgemeine Wahlrecht wirksam
sei, dazu werden freilich wiederum entweder sehr vereinfachte Zustände,
oder ein sehr gebildetes Volk voratlsgesctzt, sonst ist es so gefährlich, als
in manchen Schweizer Cantonen, welche dadurch die Jesuitenherrschaft
angebahnt haben. -- Oder man kommt zu dem Zirkelschluß: die
Wahlreform setzt einerseits ein gebildetes Volk voraus, und anderer¬
seits gehen gute und Jedem zugängliche Volksschulen ohne
allgemeines Wahlrecht gar nicht durch. Aber die französischen Zu¬
stände sind, nachdem die Revolution gründlich aufgeräumt hat, so ver¬
wickelt gar nicht mehr, und das ganze Volk, das an den Entwickelun¬
gen derselben nctiven Antheil nahm, versteht sie fast zur Genüge.
Allerdings bleibt für Volkserziehung unendlich viel zu thun übrig. --


titire." Cap. III., IV. und V. beweisen dasselbe von der Minorität
der Departements; überall herrschen die leichter zu influirenden Mi¬
noritäten vor. Das erfreulichste Resultat der Lesseps'sehen Forschun¬
gen ist aber, daß sogar unter den Reichen die Minorität prädominirt.
Nicht nur (s. öl-uxiein« pi-oposition, s>ug-. 4?.), daß in den einzelnen
Wahl-Collegien die Wähler nur den geringeren Theil des Besitzes
und des Steuer-Quantums darstellen, so daß z. B.: 278 Deputate
(von 459 Deputaten) noch keine 200 Millionen Francs Steuern
vertreten (bei einem Budget von der siebenfachen Größe!). Sogar
die Central-Punkte der Industrie, des Handels, der Gewerbe, stehen
hinter den meisten Provinzialorten zurück, nur damit keinerlei Art von
unabhängiger Bildung den directen Einwirkungen des Ministeriums
Trotz biete. Der Welthandel soll verdrängt werden von der Klein-
städtcrei verrotteter Marktflecken, die durch einen neuen Brunnen oder
Vicinalweg zu bestechen sind. Darumist Paris verhältnißmäßig sehr
schlecht vertreten! —

In Lond«!ac (Otte« dn Nur<y wählen 144 Wähler einen De¬
putaten, das 2de Arrondissement von Paris hat 2873 Wähler auf
einen Deputaten. So entsteht die Volkskammer und darum verfällt
sie! -

Das leitende, obgleich auch nur höchst inconsequent befolgte
Princip des Wahlgesetzes war die Vertheilung nach Arrondissements,
nach Lokalitäten, welche für den Nolksgcist gar keine und für die
Verwaltung nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Desto mehr
arithmetische Genauigkeit mußte wenigstens in der äußerlichen Ver¬
theilung herrschen!— Die principielle Opposition in der Kammer sieht
auch ein, daß sie, um stark und berechtigt zu sein, eine Wahl-
Reform bedarf. Damit das allgemeine Wahlrecht wirksam
sei, dazu werden freilich wiederum entweder sehr vereinfachte Zustände,
oder ein sehr gebildetes Volk voratlsgesctzt, sonst ist es so gefährlich, als
in manchen Schweizer Cantonen, welche dadurch die Jesuitenherrschaft
angebahnt haben. — Oder man kommt zu dem Zirkelschluß: die
Wahlreform setzt einerseits ein gebildetes Volk voraus, und anderer¬
seits gehen gute und Jedem zugängliche Volksschulen ohne
allgemeines Wahlrecht gar nicht durch. Aber die französischen Zu¬
stände sind, nachdem die Revolution gründlich aufgeräumt hat, so ver¬
wickelt gar nicht mehr, und das ganze Volk, das an den Entwickelun¬
gen derselben nctiven Antheil nahm, versteht sie fast zur Genüge.
Allerdings bleibt für Volkserziehung unendlich viel zu thun übrig. —


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[0330] titire." Cap. III., IV. und V. beweisen dasselbe von der Minorität der Departements; überall herrschen die leichter zu influirenden Mi¬ noritäten vor. Das erfreulichste Resultat der Lesseps'sehen Forschun¬ gen ist aber, daß sogar unter den Reichen die Minorität prädominirt. Nicht nur (s. öl-uxiein« pi-oposition, s>ug-. 4?.), daß in den einzelnen Wahl-Collegien die Wähler nur den geringeren Theil des Besitzes und des Steuer-Quantums darstellen, so daß z. B.: 278 Deputate (von 459 Deputaten) noch keine 200 Millionen Francs Steuern vertreten (bei einem Budget von der siebenfachen Größe!). Sogar die Central-Punkte der Industrie, des Handels, der Gewerbe, stehen hinter den meisten Provinzialorten zurück, nur damit keinerlei Art von unabhängiger Bildung den directen Einwirkungen des Ministeriums Trotz biete. Der Welthandel soll verdrängt werden von der Klein- städtcrei verrotteter Marktflecken, die durch einen neuen Brunnen oder Vicinalweg zu bestechen sind. Darumist Paris verhältnißmäßig sehr schlecht vertreten! — In Lond«!ac (Otte« dn Nur<y wählen 144 Wähler einen De¬ putaten, das 2de Arrondissement von Paris hat 2873 Wähler auf einen Deputaten. So entsteht die Volkskammer und darum verfällt sie! - Das leitende, obgleich auch nur höchst inconsequent befolgte Princip des Wahlgesetzes war die Vertheilung nach Arrondissements, nach Lokalitäten, welche für den Nolksgcist gar keine und für die Verwaltung nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Desto mehr arithmetische Genauigkeit mußte wenigstens in der äußerlichen Ver¬ theilung herrschen!— Die principielle Opposition in der Kammer sieht auch ein, daß sie, um stark und berechtigt zu sein, eine Wahl- Reform bedarf. Damit das allgemeine Wahlrecht wirksam sei, dazu werden freilich wiederum entweder sehr vereinfachte Zustände, oder ein sehr gebildetes Volk voratlsgesctzt, sonst ist es so gefährlich, als in manchen Schweizer Cantonen, welche dadurch die Jesuitenherrschaft angebahnt haben. — Oder man kommt zu dem Zirkelschluß: die Wahlreform setzt einerseits ein gebildetes Volk voraus, und anderer¬ seits gehen gute und Jedem zugängliche Volksschulen ohne allgemeines Wahlrecht gar nicht durch. Aber die französischen Zu¬ stände sind, nachdem die Revolution gründlich aufgeräumt hat, so ver¬ wickelt gar nicht mehr, und das ganze Volk, das an den Entwickelun¬ gen derselben nctiven Antheil nahm, versteht sie fast zur Genüge. Allerdings bleibt für Volkserziehung unendlich viel zu thun übrig. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/330>, abgerufen am 24.07.2024.