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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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seinem Nebenbuhler, vernimmt, diese und noch viele andere Einzeln¬
heiten machen ein heiteres und schmerzliches Gesammtbild aus, in wel¬
chem sich schon die ganze Kunst des Malers zu erkennen gibt. Das
Folgende ist nicht weniger reizend, und als der Tolpatsch, nachdem er
nach Amerika ausgewandert ist, seiner Mutter einen Brief schreibt, der
ein kleines Meisterstück von Natürlichkeit und Achter Empfindung ist,
da fängt man an, diese leibhaftige Schöpfung des Künstlers liebzu¬
gewinnen und zu bewundern. Ich würde in Verlegenheit gerathen,
wenn ich eine einzige Seite dieser Biographie aufheben sollte; Alles
hängt darin zusammen, Alles verkettet sich darin mit einer Nüchtern¬
heit, die überall selten ist und besonders in Deutschland. Und dann
leben diese Dinge besonders dnrch den Styl, durch die Hilfsmittel
einer gewandten Erzählung. Was endlich den Leser vollends hinreißt,
das ist die Liebe des Herrn Auerbach für seinen Helden, eine Liebe,
die sich in der Erzählung selbst verräth und sich leicht mittheilt. Ein
edler Flüchtling, Herr Venedey, sagte mir neulich, er sei, als er nach
seiner Rückkehr von England das Buch des Herrn Auerbach las,
gleich im Anfang von dieser Geschichte des Tolpatsch entzückt gewesen.
Diese vortreffliche, so wahr gezeichnete deutsche Figur hatte ihn bis
in's Innerste gerührt, und er hatte sogleich die Feder ergriffen, um
öffentlich Herrn Auerbach dafür zu danken. Die Wahrheit hat in der
That diesem Gemälde einen Stempel aufgedrückt, der sich nicht leicht
vergißt, und diejenigen, welche es gesehen, können auch für sich die
einfachen Worte wiederholen, mit denen die Erzählung beginnt: "Ich
sehe Dich noch vor mir, guter Tolpatsch."

Die "Kriegspfeife" ist eine jener nüchternen, kräftig gezeichneten
Erzählungen, die dem Verfasser den Ruf eines Künstlers erworben
haben. Hansjörg liebt Kälber, und um zu Hause bleiben zu können,
um sich der Conftription zu entziehen, hat er sich den Finger abge¬
schossen, indem er in sein Pistol eine doppelte Ladung that. Er glaubte
nicht schlecht gehandelt zu haben, der arme Hansjörg; gab er damit
nicht seiner Verlobten einen lebendigen Beweis seiner Liebe? Aber
Käthe nimmt es nicht so auf. Jenes Ehrgefühl, das ihrem Geliebten
gefehlt hat, lebt in dem edeln Mädchen. Ihr thut diese Fetgherzig-
keit wehe und sie weint bitterlich. So fängt die Geschichte an, deren
Inhalt kein anderer ist, als die Erziehung Hanöjörgens durch Kälber.
Die moralische Überlegenheit der Frau, wie sie diese ungebildete, rohe
Natur in die Zucht nimmt, das ist die Aufgabe, die der Verfasser mit
vieler Kunst behandelt hat. Dieses Thema ist groß; es hat die ge-


Grenzboten. III. "840. 4

seinem Nebenbuhler, vernimmt, diese und noch viele andere Einzeln¬
heiten machen ein heiteres und schmerzliches Gesammtbild aus, in wel¬
chem sich schon die ganze Kunst des Malers zu erkennen gibt. Das
Folgende ist nicht weniger reizend, und als der Tolpatsch, nachdem er
nach Amerika ausgewandert ist, seiner Mutter einen Brief schreibt, der
ein kleines Meisterstück von Natürlichkeit und Achter Empfindung ist,
da fängt man an, diese leibhaftige Schöpfung des Künstlers liebzu¬
gewinnen und zu bewundern. Ich würde in Verlegenheit gerathen,
wenn ich eine einzige Seite dieser Biographie aufheben sollte; Alles
hängt darin zusammen, Alles verkettet sich darin mit einer Nüchtern¬
heit, die überall selten ist und besonders in Deutschland. Und dann
leben diese Dinge besonders dnrch den Styl, durch die Hilfsmittel
einer gewandten Erzählung. Was endlich den Leser vollends hinreißt,
das ist die Liebe des Herrn Auerbach für seinen Helden, eine Liebe,
die sich in der Erzählung selbst verräth und sich leicht mittheilt. Ein
edler Flüchtling, Herr Venedey, sagte mir neulich, er sei, als er nach
seiner Rückkehr von England das Buch des Herrn Auerbach las,
gleich im Anfang von dieser Geschichte des Tolpatsch entzückt gewesen.
Diese vortreffliche, so wahr gezeichnete deutsche Figur hatte ihn bis
in's Innerste gerührt, und er hatte sogleich die Feder ergriffen, um
öffentlich Herrn Auerbach dafür zu danken. Die Wahrheit hat in der
That diesem Gemälde einen Stempel aufgedrückt, der sich nicht leicht
vergißt, und diejenigen, welche es gesehen, können auch für sich die
einfachen Worte wiederholen, mit denen die Erzählung beginnt: „Ich
sehe Dich noch vor mir, guter Tolpatsch."

Die „Kriegspfeife" ist eine jener nüchternen, kräftig gezeichneten
Erzählungen, die dem Verfasser den Ruf eines Künstlers erworben
haben. Hansjörg liebt Kälber, und um zu Hause bleiben zu können,
um sich der Conftription zu entziehen, hat er sich den Finger abge¬
schossen, indem er in sein Pistol eine doppelte Ladung that. Er glaubte
nicht schlecht gehandelt zu haben, der arme Hansjörg; gab er damit
nicht seiner Verlobten einen lebendigen Beweis seiner Liebe? Aber
Käthe nimmt es nicht so auf. Jenes Ehrgefühl, das ihrem Geliebten
gefehlt hat, lebt in dem edeln Mädchen. Ihr thut diese Fetgherzig-
keit wehe und sie weint bitterlich. So fängt die Geschichte an, deren
Inhalt kein anderer ist, als die Erziehung Hanöjörgens durch Kälber.
Die moralische Überlegenheit der Frau, wie sie diese ungebildete, rohe
Natur in die Zucht nimmt, das ist die Aufgabe, die der Verfasser mit
vieler Kunst behandelt hat. Dieses Thema ist groß; es hat die ge-


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[0033] seinem Nebenbuhler, vernimmt, diese und noch viele andere Einzeln¬ heiten machen ein heiteres und schmerzliches Gesammtbild aus, in wel¬ chem sich schon die ganze Kunst des Malers zu erkennen gibt. Das Folgende ist nicht weniger reizend, und als der Tolpatsch, nachdem er nach Amerika ausgewandert ist, seiner Mutter einen Brief schreibt, der ein kleines Meisterstück von Natürlichkeit und Achter Empfindung ist, da fängt man an, diese leibhaftige Schöpfung des Künstlers liebzu¬ gewinnen und zu bewundern. Ich würde in Verlegenheit gerathen, wenn ich eine einzige Seite dieser Biographie aufheben sollte; Alles hängt darin zusammen, Alles verkettet sich darin mit einer Nüchtern¬ heit, die überall selten ist und besonders in Deutschland. Und dann leben diese Dinge besonders dnrch den Styl, durch die Hilfsmittel einer gewandten Erzählung. Was endlich den Leser vollends hinreißt, das ist die Liebe des Herrn Auerbach für seinen Helden, eine Liebe, die sich in der Erzählung selbst verräth und sich leicht mittheilt. Ein edler Flüchtling, Herr Venedey, sagte mir neulich, er sei, als er nach seiner Rückkehr von England das Buch des Herrn Auerbach las, gleich im Anfang von dieser Geschichte des Tolpatsch entzückt gewesen. Diese vortreffliche, so wahr gezeichnete deutsche Figur hatte ihn bis in's Innerste gerührt, und er hatte sogleich die Feder ergriffen, um öffentlich Herrn Auerbach dafür zu danken. Die Wahrheit hat in der That diesem Gemälde einen Stempel aufgedrückt, der sich nicht leicht vergißt, und diejenigen, welche es gesehen, können auch für sich die einfachen Worte wiederholen, mit denen die Erzählung beginnt: „Ich sehe Dich noch vor mir, guter Tolpatsch." Die „Kriegspfeife" ist eine jener nüchternen, kräftig gezeichneten Erzählungen, die dem Verfasser den Ruf eines Künstlers erworben haben. Hansjörg liebt Kälber, und um zu Hause bleiben zu können, um sich der Conftription zu entziehen, hat er sich den Finger abge¬ schossen, indem er in sein Pistol eine doppelte Ladung that. Er glaubte nicht schlecht gehandelt zu haben, der arme Hansjörg; gab er damit nicht seiner Verlobten einen lebendigen Beweis seiner Liebe? Aber Käthe nimmt es nicht so auf. Jenes Ehrgefühl, das ihrem Geliebten gefehlt hat, lebt in dem edeln Mädchen. Ihr thut diese Fetgherzig- keit wehe und sie weint bitterlich. So fängt die Geschichte an, deren Inhalt kein anderer ist, als die Erziehung Hanöjörgens durch Kälber. Die moralische Überlegenheit der Frau, wie sie diese ungebildete, rohe Natur in die Zucht nimmt, das ist die Aufgabe, die der Verfasser mit vieler Kunst behandelt hat. Dieses Thema ist groß; es hat die ge- Grenzboten. III. »840. 4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/33>, abgerufen am 24.07.2024.