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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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einer "himmlischen Gerechtigkeit hienieden," und weiter nichts thut,
als die Weisheit der Absichten einer göttlichen Borsehimg so zu er¬
klären, daß sie die Nothwendigkeit des Vergangenen ans seinen Re¬
sultaten in der Gegenwart bestimmt, als ob diese immer ganz vortreff¬
lich, ja das Best-Mögliche wäre, weil sie uns besser scheint oder ist
als die Vorzeit, -- diese satte und dumm-zufriedene Weltanschauung
half sich oft -- den erwähnten Problemen gegenüber -- mit einer spitz¬
findigen Distinction, zwischen Genie und Talent ohne in der That ei¬
nes dieser beiden je zu definiren. Sie denkt: mancher Cicero der Bier¬
bank verkümmert, in manchem Schuster mag schon ein Jakob Böhme
gesteckt haben, oder ein Scipio in dem Schlosscrgcsellcn, aber das sind
bloße Talente, -- ein Genie, ein Napoleon, ringt sich immer durch.--
Sie sprach das, die altkluge Weltweisheit und man sprach es ihr nach.
Auch dieser philosophischen Weisheit wird von den Thatsachen in's
Gesicht geschlagen. Wo steckt der Unterschied zwischen Genie und Ta¬
lent? Etwa in der Qualität? Eine jede Kraft ist specifisch von der
andern unterschieden! -- Oder in der bloßen Quantität? Dann aber
hört der Unterschied ans, ein specifischer zu sein, und das Recht, wel¬
ches der großen Kraft zusteht, müßte verhältnißmäßig auch der kleine¬
ren zukommen. Dann wäre aber der einzige Unterschied so auszudrük-
?en: Genie ist, was sich nothwendig durchringt, Talent, was untergeht,
oder untergehen kann! Mit dieser hinterher laufenden (" Post"iioii.
sehen) Entscheidung der Frage, dieser Unterscheidung, die keine ist, ist
denn auch jeder wahre Maßstab hinweggenommen. Und in der That,
warum sollte man dem Zufall nicht sein Recht lassen? -- oder viel¬
mehr sein Unrecht? --- Freilich, wenn man zum Voraus ." priori
darüber einig ist, Alles Bestehende vortrefflich zu finden, wird man,
die Ungerechtigkeit des Glückes wegzuleugnen, ein Interesse haben.
Heut zu Tage sitzen lauter halbe und zweifelhafte Capacitäten am
Ruder. -- Und auch das steht fest: Wo das Geld herrscht, herrscht
auch das blinde Glück. Das ist so wahr, daß unser auf die Spitze
getriebenes Geldsystem sogar in Handel und Wandel das Spiel prä-
dominiren läßt, und daß die größten Reichthümer nur durch glückliche
Chancen zusammengerafft werden, kaum durch wohl ausgerechnete Spe¬
kulationen, am wenigsten durch eine geregelte, ausdauernde Thätigkeit.
Und gar der, welcher wirklich arbeitet, bringt es nie zu etwas!
Das sind lauter ganz einfache Wahrheiten, und vielleicht nur deshalb
übersehen, weil sie so einfach sind. -- Machen wir einen statistischen
Ueberschlag über die Notabilitäten hier in Paris, (oder wo man


einer „himmlischen Gerechtigkeit hienieden," und weiter nichts thut,
als die Weisheit der Absichten einer göttlichen Borsehimg so zu er¬
klären, daß sie die Nothwendigkeit des Vergangenen ans seinen Re¬
sultaten in der Gegenwart bestimmt, als ob diese immer ganz vortreff¬
lich, ja das Best-Mögliche wäre, weil sie uns besser scheint oder ist
als die Vorzeit, — diese satte und dumm-zufriedene Weltanschauung
half sich oft — den erwähnten Problemen gegenüber — mit einer spitz¬
findigen Distinction, zwischen Genie und Talent ohne in der That ei¬
nes dieser beiden je zu definiren. Sie denkt: mancher Cicero der Bier¬
bank verkümmert, in manchem Schuster mag schon ein Jakob Böhme
gesteckt haben, oder ein Scipio in dem Schlosscrgcsellcn, aber das sind
bloße Talente, — ein Genie, ein Napoleon, ringt sich immer durch.—
Sie sprach das, die altkluge Weltweisheit und man sprach es ihr nach.
Auch dieser philosophischen Weisheit wird von den Thatsachen in's
Gesicht geschlagen. Wo steckt der Unterschied zwischen Genie und Ta¬
lent? Etwa in der Qualität? Eine jede Kraft ist specifisch von der
andern unterschieden! — Oder in der bloßen Quantität? Dann aber
hört der Unterschied ans, ein specifischer zu sein, und das Recht, wel¬
ches der großen Kraft zusteht, müßte verhältnißmäßig auch der kleine¬
ren zukommen. Dann wäre aber der einzige Unterschied so auszudrük-
?en: Genie ist, was sich nothwendig durchringt, Talent, was untergeht,
oder untergehen kann! Mit dieser hinterher laufenden (» Post«iioii.
sehen) Entscheidung der Frage, dieser Unterscheidung, die keine ist, ist
denn auch jeder wahre Maßstab hinweggenommen. Und in der That,
warum sollte man dem Zufall nicht sein Recht lassen? — oder viel¬
mehr sein Unrecht? -— Freilich, wenn man zum Voraus .» priori
darüber einig ist, Alles Bestehende vortrefflich zu finden, wird man,
die Ungerechtigkeit des Glückes wegzuleugnen, ein Interesse haben.
Heut zu Tage sitzen lauter halbe und zweifelhafte Capacitäten am
Ruder. — Und auch das steht fest: Wo das Geld herrscht, herrscht
auch das blinde Glück. Das ist so wahr, daß unser auf die Spitze
getriebenes Geldsystem sogar in Handel und Wandel das Spiel prä-
dominiren läßt, und daß die größten Reichthümer nur durch glückliche
Chancen zusammengerafft werden, kaum durch wohl ausgerechnete Spe¬
kulationen, am wenigsten durch eine geregelte, ausdauernde Thätigkeit.
Und gar der, welcher wirklich arbeitet, bringt es nie zu etwas!
Das sind lauter ganz einfache Wahrheiten, und vielleicht nur deshalb
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/326>, abgerufen am 05.07.2024.