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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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zu verstecken weiß, das sind die Vorzüge, die den schwarzwalder Dorf¬
geschichten einen so raschen Erfolg verschafft haben. Hiev haben wir
den wahren Erben Immermann's; wie die Bauern Westphalens haben
nun auch die Bevölkerungen des Schwarzwaldes ein?n liebenswürdi¬
ger Zeichner gefunden. Er hat seine Personen nicht zu den Reprä¬
sentanten eines Systems gemacht; er hat sie nicht in Redner und
Volkstribunen umgewandelt; er hat sie auf seiner Lcinwanv mit ihrer
ächten, wahren Physiognomie gemalt, mit ihrer kaustischer Gutmütlüg-
keit, zuweilen auch mit ihren Lastern, denn er ist ihnen Rathschläge
und Lehren schuldig. Der Soldat und der Holzhauer, der Geistliche
und der Schulmeister, der auswandernde Dörfler, der Seminarist, der
sich nach dem väterlichen Hanse zurücksehnt, das junge verführte Mäd¬
chen, der Landstreicher, kurz, Alle sind sie da. Das Bild ist groß,
verwickelt, und bietet mehr als eine Klippe. Immermann schrieb nur
eine Episode; hier haben wir so zu sagen eine ganze Gesellschaft.
Wird der Verfasser sich nicht wiederholen? Wird er die Eintönigkeit
eines Stoffes von ein und derselben Art vermeiden? Diese Besorgnisse
sind gestattet; doch wenn man gleich auf den ersten Seiten diese Nüch¬
ternheit der Details bemerkt hat, diese besonnene Liebe, diese gradezu
ausgesprochene oder verborgenen Lehren, dieses volksthümliche, liberale
Gefühl, das mit Vorsicht gehandhabt wird und doch überall diese
lebensfrischen Bilder durchdringt, dann ist man schnell beruhigt, mau
erkennt bald, daß diese schwierige Aufgabe einem wirklichen Künstler
anvertraut ist, der sie glücklich durchzuführen im Stande ist.

Man betrachte zuerst diesen "Tolpatsch", die erste Person, die der
Verfasser uns vorführt und der er nicht am wenigsten zugethan ist.
Tolpatsch ist dasselbe was Tölpel. Sein wahrer Name ist Aloys;
aber wegen seiner Verlegenheit und Unbrhvlfenheit hat ihm daS ganze
Dorf jenen Spottnamen gegeben. Er ist zuweilen ärgerlich darüber,
denn er hat Gefühl, und seine Geschichte macht zugleich lachen und
weinen. Dieses Gemisch von Ungeschick und Gutherzigkeit, von Plump¬
heit und Zartgefühl, die bald komischen, bald ernsten Leiden dieses
treuen Herzens, Alles dies ist mit seltenem Geschick dargestellt. Es ist
nicht sowohl eine Geschichte, als ein Porträt, eine flüchtige Biogra¬
phie. Jeder Zug ist vortrefflich; die Jugend des Tolpatsch, seine
schüchterne Leidenschaft für seine Nachbarin Marianne (das Maran-
nele), der Abgang des Recruten, der Kuß im Stall in Gegenwart
der ganz erstaunten Ochsen, die Rückkehr des Tolpatsch, sein Schmerz,
als e-, in der Kirche die nahe Vermählung Marannele's mit Is'rgli,


zu verstecken weiß, das sind die Vorzüge, die den schwarzwalder Dorf¬
geschichten einen so raschen Erfolg verschafft haben. Hiev haben wir
den wahren Erben Immermann's; wie die Bauern Westphalens haben
nun auch die Bevölkerungen des Schwarzwaldes ein?n liebenswürdi¬
ger Zeichner gefunden. Er hat seine Personen nicht zu den Reprä¬
sentanten eines Systems gemacht; er hat sie nicht in Redner und
Volkstribunen umgewandelt; er hat sie auf seiner Lcinwanv mit ihrer
ächten, wahren Physiognomie gemalt, mit ihrer kaustischer Gutmütlüg-
keit, zuweilen auch mit ihren Lastern, denn er ist ihnen Rathschläge
und Lehren schuldig. Der Soldat und der Holzhauer, der Geistliche
und der Schulmeister, der auswandernde Dörfler, der Seminarist, der
sich nach dem väterlichen Hanse zurücksehnt, das junge verführte Mäd¬
chen, der Landstreicher, kurz, Alle sind sie da. Das Bild ist groß,
verwickelt, und bietet mehr als eine Klippe. Immermann schrieb nur
eine Episode; hier haben wir so zu sagen eine ganze Gesellschaft.
Wird der Verfasser sich nicht wiederholen? Wird er die Eintönigkeit
eines Stoffes von ein und derselben Art vermeiden? Diese Besorgnisse
sind gestattet; doch wenn man gleich auf den ersten Seiten diese Nüch¬
ternheit der Details bemerkt hat, diese besonnene Liebe, diese gradezu
ausgesprochene oder verborgenen Lehren, dieses volksthümliche, liberale
Gefühl, das mit Vorsicht gehandhabt wird und doch überall diese
lebensfrischen Bilder durchdringt, dann ist man schnell beruhigt, mau
erkennt bald, daß diese schwierige Aufgabe einem wirklichen Künstler
anvertraut ist, der sie glücklich durchzuführen im Stande ist.

Man betrachte zuerst diesen „Tolpatsch", die erste Person, die der
Verfasser uns vorführt und der er nicht am wenigsten zugethan ist.
Tolpatsch ist dasselbe was Tölpel. Sein wahrer Name ist Aloys;
aber wegen seiner Verlegenheit und Unbrhvlfenheit hat ihm daS ganze
Dorf jenen Spottnamen gegeben. Er ist zuweilen ärgerlich darüber,
denn er hat Gefühl, und seine Geschichte macht zugleich lachen und
weinen. Dieses Gemisch von Ungeschick und Gutherzigkeit, von Plump¬
heit und Zartgefühl, die bald komischen, bald ernsten Leiden dieses
treuen Herzens, Alles dies ist mit seltenem Geschick dargestellt. Es ist
nicht sowohl eine Geschichte, als ein Porträt, eine flüchtige Biogra¬
phie. Jeder Zug ist vortrefflich; die Jugend des Tolpatsch, seine
schüchterne Leidenschaft für seine Nachbarin Marianne (das Maran-
nele), der Abgang des Recruten, der Kuß im Stall in Gegenwart
der ganz erstaunten Ochsen, die Rückkehr des Tolpatsch, sein Schmerz,
als e-, in der Kirche die nahe Vermählung Marannele's mit Is'rgli,


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[0032] zu verstecken weiß, das sind die Vorzüge, die den schwarzwalder Dorf¬ geschichten einen so raschen Erfolg verschafft haben. Hiev haben wir den wahren Erben Immermann's; wie die Bauern Westphalens haben nun auch die Bevölkerungen des Schwarzwaldes ein?n liebenswürdi¬ ger Zeichner gefunden. Er hat seine Personen nicht zu den Reprä¬ sentanten eines Systems gemacht; er hat sie nicht in Redner und Volkstribunen umgewandelt; er hat sie auf seiner Lcinwanv mit ihrer ächten, wahren Physiognomie gemalt, mit ihrer kaustischer Gutmütlüg- keit, zuweilen auch mit ihren Lastern, denn er ist ihnen Rathschläge und Lehren schuldig. Der Soldat und der Holzhauer, der Geistliche und der Schulmeister, der auswandernde Dörfler, der Seminarist, der sich nach dem väterlichen Hanse zurücksehnt, das junge verführte Mäd¬ chen, der Landstreicher, kurz, Alle sind sie da. Das Bild ist groß, verwickelt, und bietet mehr als eine Klippe. Immermann schrieb nur eine Episode; hier haben wir so zu sagen eine ganze Gesellschaft. Wird der Verfasser sich nicht wiederholen? Wird er die Eintönigkeit eines Stoffes von ein und derselben Art vermeiden? Diese Besorgnisse sind gestattet; doch wenn man gleich auf den ersten Seiten diese Nüch¬ ternheit der Details bemerkt hat, diese besonnene Liebe, diese gradezu ausgesprochene oder verborgenen Lehren, dieses volksthümliche, liberale Gefühl, das mit Vorsicht gehandhabt wird und doch überall diese lebensfrischen Bilder durchdringt, dann ist man schnell beruhigt, mau erkennt bald, daß diese schwierige Aufgabe einem wirklichen Künstler anvertraut ist, der sie glücklich durchzuführen im Stande ist. Man betrachte zuerst diesen „Tolpatsch", die erste Person, die der Verfasser uns vorführt und der er nicht am wenigsten zugethan ist. Tolpatsch ist dasselbe was Tölpel. Sein wahrer Name ist Aloys; aber wegen seiner Verlegenheit und Unbrhvlfenheit hat ihm daS ganze Dorf jenen Spottnamen gegeben. Er ist zuweilen ärgerlich darüber, denn er hat Gefühl, und seine Geschichte macht zugleich lachen und weinen. Dieses Gemisch von Ungeschick und Gutherzigkeit, von Plump¬ heit und Zartgefühl, die bald komischen, bald ernsten Leiden dieses treuen Herzens, Alles dies ist mit seltenem Geschick dargestellt. Es ist nicht sowohl eine Geschichte, als ein Porträt, eine flüchtige Biogra¬ phie. Jeder Zug ist vortrefflich; die Jugend des Tolpatsch, seine schüchterne Leidenschaft für seine Nachbarin Marianne (das Maran- nele), der Abgang des Recruten, der Kuß im Stall in Gegenwart der ganz erstaunten Ochsen, die Rückkehr des Tolpatsch, sein Schmerz, als e-, in der Kirche die nahe Vermählung Marannele's mit Is'rgli,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/32>, abgerufen am 24.07.2024.