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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Noch eine gute Eigenschaft des Geistlichen war seine Liebe zu den
Kindern und sein Takt in Behandlung derselben. Er liebte sie, und
sie liebten ihn dafür wieder. Es gab immer ein schönes Schauspiel,
wenn er an einem milden Frühlings- oder Sommernachmittage durch
das Dorf schritt. Dann verließen alle die lockigen, rothbäckigen, weiß-
und schwarzköpfigen Buben des Ortes ihren Spielplatz, gingen ihm
ehrerbietig entgegen und küßten ihm die Hand. Wie freundlich war
da immer der gute Pater! - Oftmals hob er ein Büblein, das noch
zu winzig war um bis an seine Hand herauszureichen, auf einen
Stein, wenn sich grade einer in der Nähe befand, oder auf einen
niedrigen Zaun, und setzte es so in Stand, ihm dieHand küssen zu können.
Er erkundigte sich nach dem Befindet: der Eltern und Großeltern, ja
er griff wohl auch bisweilen in die Tasche und zog einige Näschereien
heraus, die er in kleinen Portionen an die muntere Jugend vertheilte.
So klein die Gabe, so groß war die Freude der Kinder. Es gab
wenige unter ihnen, welche die Leckerei bald verspeisten; die meisten
liefen damit nach Hause und zeigten sie den Eltern mit den Worten:
"Seht, Vater! seht, Mutter! Das hat uns der Pater gegeben." --
Und die Eltern freuten sich und sprachen: "Ein guter Mann, der
Pater Kauder! Er liebt die Kinder -- wenn er nur besser predigen
könnte." --

Dies ist nur eine kurze Charakteristik von dem jungen Geistlichen,
mit welchem mein Großpapa am liebsten über religiöse Gegenstände
disputirte.

Großpapa war ein speculativer Kopf, der nach seiner Art manche
Stellen der heiligen Schrift einer kritischen Untersuchung unterwarf,
und oftmals selbst den Kaplan in die Enge trieb. Aber wie unschul¬
dig war im Ganzen sein Forschen!- -Er würde es nie geglaubt haben,
und wenn es ihm auch Jemand noch so heilig versichert hätte, daß
es in neuester Zeit Leute gibt, welche die Wunder leugnen, oder sie
aus eine natürliche Art zu erklären suchen, welche Christus nicht für
den Sohn Gottes halten u> s. w,

Großpapa war etwas belesen. Herr Kauder hatte ihm öfters
Bücher geborgt und unter diesen eine faßlich geschriebene Kirchenge¬
schichte, die er mit großer Aufmerksamkeit studirt hatte. Besonders
hatte ihn das Capitel von den Ketzereien angezogen, und es freute
ihn ungemein, daß viele der Irrlehren, wie er meinte, wieder spurlos
von der Erde verschwunden sind. Großpapa war bekannt mit den
Lehren des Anus, des Wildes, des Hieronymus von Prag, ja selbst


Noch eine gute Eigenschaft des Geistlichen war seine Liebe zu den
Kindern und sein Takt in Behandlung derselben. Er liebte sie, und
sie liebten ihn dafür wieder. Es gab immer ein schönes Schauspiel,
wenn er an einem milden Frühlings- oder Sommernachmittage durch
das Dorf schritt. Dann verließen alle die lockigen, rothbäckigen, weiß-
und schwarzköpfigen Buben des Ortes ihren Spielplatz, gingen ihm
ehrerbietig entgegen und küßten ihm die Hand. Wie freundlich war
da immer der gute Pater! - Oftmals hob er ein Büblein, das noch
zu winzig war um bis an seine Hand herauszureichen, auf einen
Stein, wenn sich grade einer in der Nähe befand, oder auf einen
niedrigen Zaun, und setzte es so in Stand, ihm dieHand küssen zu können.
Er erkundigte sich nach dem Befindet: der Eltern und Großeltern, ja
er griff wohl auch bisweilen in die Tasche und zog einige Näschereien
heraus, die er in kleinen Portionen an die muntere Jugend vertheilte.
So klein die Gabe, so groß war die Freude der Kinder. Es gab
wenige unter ihnen, welche die Leckerei bald verspeisten; die meisten
liefen damit nach Hause und zeigten sie den Eltern mit den Worten:
„Seht, Vater! seht, Mutter! Das hat uns der Pater gegeben." —
Und die Eltern freuten sich und sprachen: „Ein guter Mann, der
Pater Kauder! Er liebt die Kinder — wenn er nur besser predigen
könnte." —

Dies ist nur eine kurze Charakteristik von dem jungen Geistlichen,
mit welchem mein Großpapa am liebsten über religiöse Gegenstände
disputirte.

Großpapa war ein speculativer Kopf, der nach seiner Art manche
Stellen der heiligen Schrift einer kritischen Untersuchung unterwarf,
und oftmals selbst den Kaplan in die Enge trieb. Aber wie unschul¬
dig war im Ganzen sein Forschen!- -Er würde es nie geglaubt haben,
und wenn es ihm auch Jemand noch so heilig versichert hätte, daß
es in neuester Zeit Leute gibt, welche die Wunder leugnen, oder sie
aus eine natürliche Art zu erklären suchen, welche Christus nicht für
den Sohn Gottes halten u> s. w,

Großpapa war etwas belesen. Herr Kauder hatte ihm öfters
Bücher geborgt und unter diesen eine faßlich geschriebene Kirchenge¬
schichte, die er mit großer Aufmerksamkeit studirt hatte. Besonders
hatte ihn das Capitel von den Ketzereien angezogen, und es freute
ihn ungemein, daß viele der Irrlehren, wie er meinte, wieder spurlos
von der Erde verschwunden sind. Großpapa war bekannt mit den
Lehren des Anus, des Wildes, des Hieronymus von Prag, ja selbst


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[0304] Noch eine gute Eigenschaft des Geistlichen war seine Liebe zu den Kindern und sein Takt in Behandlung derselben. Er liebte sie, und sie liebten ihn dafür wieder. Es gab immer ein schönes Schauspiel, wenn er an einem milden Frühlings- oder Sommernachmittage durch das Dorf schritt. Dann verließen alle die lockigen, rothbäckigen, weiß- und schwarzköpfigen Buben des Ortes ihren Spielplatz, gingen ihm ehrerbietig entgegen und küßten ihm die Hand. Wie freundlich war da immer der gute Pater! - Oftmals hob er ein Büblein, das noch zu winzig war um bis an seine Hand herauszureichen, auf einen Stein, wenn sich grade einer in der Nähe befand, oder auf einen niedrigen Zaun, und setzte es so in Stand, ihm dieHand küssen zu können. Er erkundigte sich nach dem Befindet: der Eltern und Großeltern, ja er griff wohl auch bisweilen in die Tasche und zog einige Näschereien heraus, die er in kleinen Portionen an die muntere Jugend vertheilte. So klein die Gabe, so groß war die Freude der Kinder. Es gab wenige unter ihnen, welche die Leckerei bald verspeisten; die meisten liefen damit nach Hause und zeigten sie den Eltern mit den Worten: „Seht, Vater! seht, Mutter! Das hat uns der Pater gegeben." — Und die Eltern freuten sich und sprachen: „Ein guter Mann, der Pater Kauder! Er liebt die Kinder — wenn er nur besser predigen könnte." — Dies ist nur eine kurze Charakteristik von dem jungen Geistlichen, mit welchem mein Großpapa am liebsten über religiöse Gegenstände disputirte. Großpapa war ein speculativer Kopf, der nach seiner Art manche Stellen der heiligen Schrift einer kritischen Untersuchung unterwarf, und oftmals selbst den Kaplan in die Enge trieb. Aber wie unschul¬ dig war im Ganzen sein Forschen!- -Er würde es nie geglaubt haben, und wenn es ihm auch Jemand noch so heilig versichert hätte, daß es in neuester Zeit Leute gibt, welche die Wunder leugnen, oder sie aus eine natürliche Art zu erklären suchen, welche Christus nicht für den Sohn Gottes halten u> s. w, Großpapa war etwas belesen. Herr Kauder hatte ihm öfters Bücher geborgt und unter diesen eine faßlich geschriebene Kirchenge¬ schichte, die er mit großer Aufmerksamkeit studirt hatte. Besonders hatte ihn das Capitel von den Ketzereien angezogen, und es freute ihn ungemein, daß viele der Irrlehren, wie er meinte, wieder spurlos von der Erde verschwunden sind. Großpapa war bekannt mit den Lehren des Anus, des Wildes, des Hieronymus von Prag, ja selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/304>, abgerufen am 24.07.2024.