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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Neben der Liebe zu der edlen Musik hatte er indessen noch eine
große Neigung zu einer andern freien Kunst, die aber in unserm Jahr¬
hundert nicht mehr so gepflegt wird, als in frühern Zeiten, nämlich
zu der "Kunst des Dispntirens."

Großpapa sprach sehr gern über religiöse Gegenstände, sowohl
mit seinen Standesgenossen, den alten Bauern im Dorfe, als auch
besonders mit dem Kaplan des Ortes, einem jungen Manne von etwa
dreißig Jahren, welcher Kauder hieß. Ich erinnere mich noch recht
deutlich an das Gesicht des jungen Geistlichen! er war nichts weniger
als geistreich, aber dafür sehr gutmüthig. Pater Kauder war an dem
Orte als ein schlechter Prediger bekannt, und Jeder wird wissen, daß
dazu schon ein ziemlich hoher Grad von Talentlosigkeit gehört, wenn
man nicht einmal den bescheidenen Anforderungen der Landleute ge¬
nügen kann. Es konnte aber in der That nichts Unerquicklicheres ge¬
ben, als Herrn Kaplan Kauder predigen zu hören. Was die Reden
selbst betraf, so wären diese immer noch angegangen, obwohl sie frei¬
lich nur aus den gewöhnlichsten Gemeinplätzen bestanden, aber der
Kaplan hatte durchaus keinen Vortrag. Er stand auf der Kanzel,
wie ein Strohmann, wie ein Automat, der nnr manchmal mechanisch
die Lippen bewegt und Worte ohne Feuer und Leben hersagt. Er
hat keine Action und kein Mienenspiel, und es ist bekannt, wie sehr
das Volk dergleichen liebt. Ein Pfarrer, der eine lebendige Declama-
tion hat, der mit den Händen viele Gesten macht und wacker die Luft
durchsäbelt und zersägt, kann stets auf den Beifall der Landleute rech¬
nen, auch wenn seine Reden weit unter der Mittelmäßigkeit sind. Bei
dem Kaplan kamen überdies noch eine schlechte Aussprache und eine
schnarrende Stimme dazu; er stotterte auch, namentlich, wenn er den
Faden der Rede verloren hatte und nicht weiter wußte. -- Ich zweifle,
ob die Energie eines Demosthenes gegen so viele natürliche Hinder¬
nisse siegreich gewesen wäre. --

Aber aller dieser Mängel ungeachtet ward Herr Kauder von Je¬
dermann im Dorfe geachtet und geliebt; alle alten Weiber küßten
ihm die Hand und baten um seinen Segen, wenn sie ihm begegneten.
Er wurde zu jeder Hochzeit, zu jedem Kindtaufen eingeladen und Alle
waren sehr vergnügt, wenn er erschien. Woher diese Liebe? Höre ich
fragen, -- woher? -- Herr Kauder war der beste, gutherzigste Mann
von der Welt, und die Gutherzigkeit ist eine Tilgend, welche hoch im
Preise steht bei den einfachen Kindern der Natur, wenn sie auch in
den Salons nicht viel gilt.


Neben der Liebe zu der edlen Musik hatte er indessen noch eine
große Neigung zu einer andern freien Kunst, die aber in unserm Jahr¬
hundert nicht mehr so gepflegt wird, als in frühern Zeiten, nämlich
zu der „Kunst des Dispntirens."

Großpapa sprach sehr gern über religiöse Gegenstände, sowohl
mit seinen Standesgenossen, den alten Bauern im Dorfe, als auch
besonders mit dem Kaplan des Ortes, einem jungen Manne von etwa
dreißig Jahren, welcher Kauder hieß. Ich erinnere mich noch recht
deutlich an das Gesicht des jungen Geistlichen! er war nichts weniger
als geistreich, aber dafür sehr gutmüthig. Pater Kauder war an dem
Orte als ein schlechter Prediger bekannt, und Jeder wird wissen, daß
dazu schon ein ziemlich hoher Grad von Talentlosigkeit gehört, wenn
man nicht einmal den bescheidenen Anforderungen der Landleute ge¬
nügen kann. Es konnte aber in der That nichts Unerquicklicheres ge¬
ben, als Herrn Kaplan Kauder predigen zu hören. Was die Reden
selbst betraf, so wären diese immer noch angegangen, obwohl sie frei¬
lich nur aus den gewöhnlichsten Gemeinplätzen bestanden, aber der
Kaplan hatte durchaus keinen Vortrag. Er stand auf der Kanzel,
wie ein Strohmann, wie ein Automat, der nnr manchmal mechanisch
die Lippen bewegt und Worte ohne Feuer und Leben hersagt. Er
hat keine Action und kein Mienenspiel, und es ist bekannt, wie sehr
das Volk dergleichen liebt. Ein Pfarrer, der eine lebendige Declama-
tion hat, der mit den Händen viele Gesten macht und wacker die Luft
durchsäbelt und zersägt, kann stets auf den Beifall der Landleute rech¬
nen, auch wenn seine Reden weit unter der Mittelmäßigkeit sind. Bei
dem Kaplan kamen überdies noch eine schlechte Aussprache und eine
schnarrende Stimme dazu; er stotterte auch, namentlich, wenn er den
Faden der Rede verloren hatte und nicht weiter wußte. — Ich zweifle,
ob die Energie eines Demosthenes gegen so viele natürliche Hinder¬
nisse siegreich gewesen wäre. —

Aber aller dieser Mängel ungeachtet ward Herr Kauder von Je¬
dermann im Dorfe geachtet und geliebt; alle alten Weiber küßten
ihm die Hand und baten um seinen Segen, wenn sie ihm begegneten.
Er wurde zu jeder Hochzeit, zu jedem Kindtaufen eingeladen und Alle
waren sehr vergnügt, wenn er erschien. Woher diese Liebe? Höre ich
fragen, — woher? — Herr Kauder war der beste, gutherzigste Mann
von der Welt, und die Gutherzigkeit ist eine Tilgend, welche hoch im
Preise steht bei den einfachen Kindern der Natur, wenn sie auch in
den Salons nicht viel gilt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/303>, abgerufen am 24.07.2024.