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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Auerbach. Dieses Buch, das im Jahre 48t3 erschien, hat schon mehr
als eine Auflage erlebt; der Erfolg, den eS fand, ist der vollständigste
und verdienteste, den uns diese drei Jahre darbieten. Wir haben hier
kein unbekanntes Werk zu empfehlen: nur wollen nnr den Erfolg
desselben erklären, unsere Landsleute mit einem originellen Erzähler
bekannt machen und aus diesem Beispiel Rathschläge und Hoffnungen
für unsere deutschen College" ziehen.

Was ist der Inhalt des auerbach'schen Buches? Das Leben der
Bauern seiner Heimath, die Schilderung der armen im Walde versteck¬
ten Dorfgemeinde, die rauhen, naiven Sitten des Landmannes und
des Holzhauers. Wir verlassen -- Gott sei gelobt -- das Boudoir
der Gräfin Hahn-Hahn u. s. w. lind jene ganze zweideutige Welt,
wo das junge Deutschland die Rehabilitation des Fleisches predigte.
Von dieser falschen, so wenig natürlichen und besonders so wenig deut¬
schen Gesellschaft sind nur hier befreit. Frühlings.- und Waldeödüftc
wehen uns hier entgegen, eine reine stärkende Luft, die vom Felde und
von den Eichen des Schwarzwaldes herkommt. Es fallen mir hier
einige von den reizenden Werken ein, die Deutschland schon auf die¬
sem Gebiet hervorgebracht. Hatte nicht Goethe, der Alles berührte,
in Hermann und Dorothea die neuen Stoffe angedeutet, welche diese
Schilderungen des ländliche" Lebens in Deutschland dem Künstler dar"
bieten? Nach Hermann und Dorothea, nach den Nachahmungen, die
diesem Werk folgten, nach der Louise von Vofi, war noch Raum für
ein tieferes Eingehen in diese naive Natur, für eine detaillirtere Dar¬
stellung derselben. Diese Gedichte, diese Eklogen mit ihrer gelehrten,
vornehmen Form, konnten nicht in die tausend Einzelnheiten des täg¬
lichen Lebens hinabsteigen. Die Romanschriftsteller, die Novellisten sind
die rechtmäßigen Herrn dieser neuen Welt, an ihnen ist es, sich dieses
Stoffes mit Kraft zu bemächtigen, indem sie wo möglich die zarte
Kunst, die ideale Reinheit hineintragen, deren Muster der Dichter Her¬
manns gegeben. Immermann hat einen Anfang dazu gemacht. Dieser
edle Schriftsteller, welcher der Poesie zu früh entrissen ward, bildet
ein sehr beachtenswerthes Mittelglied zwischen der ernsten nunmehr
verschwundenen Generation und der neuen Schule, die um 183t) auf¬
trat. Ueberall, in der epischen und lyrischen Poesie, auf dem Theater
und im Roman, ist er der Letzte der Meister und der Erste der Epi¬
gonen. Hier habe ich es nur mit dem Romanschriftsteller zu thun.
Berthold Auerbach verdankt ihm viel, und die schwarzwalder Dorf,
geschichten würden vielleicht ohne das von Immermann gegebene Bei-


Auerbach. Dieses Buch, das im Jahre 48t3 erschien, hat schon mehr
als eine Auflage erlebt; der Erfolg, den eS fand, ist der vollständigste
und verdienteste, den uns diese drei Jahre darbieten. Wir haben hier
kein unbekanntes Werk zu empfehlen: nur wollen nnr den Erfolg
desselben erklären, unsere Landsleute mit einem originellen Erzähler
bekannt machen und aus diesem Beispiel Rathschläge und Hoffnungen
für unsere deutschen College« ziehen.

Was ist der Inhalt des auerbach'schen Buches? Das Leben der
Bauern seiner Heimath, die Schilderung der armen im Walde versteck¬
ten Dorfgemeinde, die rauhen, naiven Sitten des Landmannes und
des Holzhauers. Wir verlassen — Gott sei gelobt — das Boudoir
der Gräfin Hahn-Hahn u. s. w. lind jene ganze zweideutige Welt,
wo das junge Deutschland die Rehabilitation des Fleisches predigte.
Von dieser falschen, so wenig natürlichen und besonders so wenig deut¬
schen Gesellschaft sind nur hier befreit. Frühlings.- und Waldeödüftc
wehen uns hier entgegen, eine reine stärkende Luft, die vom Felde und
von den Eichen des Schwarzwaldes herkommt. Es fallen mir hier
einige von den reizenden Werken ein, die Deutschland schon auf die¬
sem Gebiet hervorgebracht. Hatte nicht Goethe, der Alles berührte,
in Hermann und Dorothea die neuen Stoffe angedeutet, welche diese
Schilderungen des ländliche» Lebens in Deutschland dem Künstler dar«
bieten? Nach Hermann und Dorothea, nach den Nachahmungen, die
diesem Werk folgten, nach der Louise von Vofi, war noch Raum für
ein tieferes Eingehen in diese naive Natur, für eine detaillirtere Dar¬
stellung derselben. Diese Gedichte, diese Eklogen mit ihrer gelehrten,
vornehmen Form, konnten nicht in die tausend Einzelnheiten des täg¬
lichen Lebens hinabsteigen. Die Romanschriftsteller, die Novellisten sind
die rechtmäßigen Herrn dieser neuen Welt, an ihnen ist es, sich dieses
Stoffes mit Kraft zu bemächtigen, indem sie wo möglich die zarte
Kunst, die ideale Reinheit hineintragen, deren Muster der Dichter Her¬
manns gegeben. Immermann hat einen Anfang dazu gemacht. Dieser
edle Schriftsteller, welcher der Poesie zu früh entrissen ward, bildet
ein sehr beachtenswerthes Mittelglied zwischen der ernsten nunmehr
verschwundenen Generation und der neuen Schule, die um 183t) auf¬
trat. Ueberall, in der epischen und lyrischen Poesie, auf dem Theater
und im Roman, ist er der Letzte der Meister und der Erste der Epi¬
gonen. Hier habe ich es nur mit dem Romanschriftsteller zu thun.
Berthold Auerbach verdankt ihm viel, und die schwarzwalder Dorf,
geschichten würden vielleicht ohne das von Immermann gegebene Bei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/30>, abgerufen am 24.07.2024.