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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Zweck, sondern einzig nur Mittel ist, das Terrain streitig zu machen
sucht.

Man kann und wird hier nun wohl noch ein Weniges über die
literarischen Parteien Berlin's erwarten, welche doch zu einer Charak¬
teristik unseres öffentlichen Zustandes ganz nothwendig das Ihrige bei¬
tragen und dieselbe ergänzen müssen. Aber in Berlin gibt es jetzt
durchaus keine literarische Parteien. Es gibt hier nur literarische
Persönlichkeiten und hier und da literarische Cliqueiwersuche. Weder
die Schilderung der einen, noch der andern kann in dem Zwecke die¬
ses Aufsatzes liegen. Die Stellung der Literatur zum Leben und zur
Gesellschaft ist wie überall, so auch in Berlin nicht diejenige, welche
sie sein sollte. In seinem innern Wesen erscheint der literarische Pro-
ductionsgeist entweder erschöpft oder erst neue Wege suchend und
beginnend. Die Kritik hat sich durch einen journalistischen Schlendrian
um allen Glauben gebracht. Hier kommt sie nicht über alte Vorurtheile
und verblichene Recensionen hinaus. Dort, wo sie von einem neuen
wissenschaftlichen Geiste durchdrungen wird, bleibt ihr kaum etwas An¬
deres übrig, als eine entschiedene Negation. Das literarische Leben
leidet in Berlin grade an denselben Schwächen, woran jetzt überhaupt
unsere Literatur leidet. Hier fehlt noch der volle Ausdruck für den
neuen Gedanken, dort fehlt alle Regsamkeit, alle Frische, alles reine,
innerliche Interesse. Wozu schreibt man Kritiken für die Journale,
wozu schreibt man Romane und Dieses und Jenes? Das sagt sich
Jeder und dennoch schreibt man. Es liegt eine dicke Schwüle auf der
Berliner Literatur. Es fehlt ein frischer, ein feuriger, ein erquickender
Odem. Bei allem Wenigen, was geschieht, macht sich unendlich viel
Anmaßung, Eitelkeit und Selbstüberschätzung geltend. Je weniger ei¬
ner ist und vermag, um so mehr glaubt er wenigstens scheinen zu
müssen. Statt der Kritik allzuoft nur Krittelei, statt des allgemeinen
Interesses allzuoft nur ein Privatinteresse, mehr Verdächtigung als
Würdigung, -- genug Bilder, die sich überall, wenn auch nicht in
solcher Breite, wiederholen, und über die wir deshalb den Schleier
ziehen mögen. Die literarische Bewegung Berlins ist hinter die an¬
deren Elemente, von denen es bewegt ist, sehr zurückgetreten.

Als Eduard Gans im Jahre 1825 in Brüssel war, traf er dort
mit dem Grafen Sieyes zusammen. Sieyes fragte:

"Auch ich bin zu meiner Zeit in Berlin gewesen. Es sind aber
siebenundzwanzig Jahre her, und zwar als Gesandter der französischen
Republik. Sind jetzt noch so viele Gegensätze als sonst vorhanden?


Zweck, sondern einzig nur Mittel ist, das Terrain streitig zu machen
sucht.

Man kann und wird hier nun wohl noch ein Weniges über die
literarischen Parteien Berlin's erwarten, welche doch zu einer Charak¬
teristik unseres öffentlichen Zustandes ganz nothwendig das Ihrige bei¬
tragen und dieselbe ergänzen müssen. Aber in Berlin gibt es jetzt
durchaus keine literarische Parteien. Es gibt hier nur literarische
Persönlichkeiten und hier und da literarische Cliqueiwersuche. Weder
die Schilderung der einen, noch der andern kann in dem Zwecke die¬
ses Aufsatzes liegen. Die Stellung der Literatur zum Leben und zur
Gesellschaft ist wie überall, so auch in Berlin nicht diejenige, welche
sie sein sollte. In seinem innern Wesen erscheint der literarische Pro-
ductionsgeist entweder erschöpft oder erst neue Wege suchend und
beginnend. Die Kritik hat sich durch einen journalistischen Schlendrian
um allen Glauben gebracht. Hier kommt sie nicht über alte Vorurtheile
und verblichene Recensionen hinaus. Dort, wo sie von einem neuen
wissenschaftlichen Geiste durchdrungen wird, bleibt ihr kaum etwas An¬
deres übrig, als eine entschiedene Negation. Das literarische Leben
leidet in Berlin grade an denselben Schwächen, woran jetzt überhaupt
unsere Literatur leidet. Hier fehlt noch der volle Ausdruck für den
neuen Gedanken, dort fehlt alle Regsamkeit, alle Frische, alles reine,
innerliche Interesse. Wozu schreibt man Kritiken für die Journale,
wozu schreibt man Romane und Dieses und Jenes? Das sagt sich
Jeder und dennoch schreibt man. Es liegt eine dicke Schwüle auf der
Berliner Literatur. Es fehlt ein frischer, ein feuriger, ein erquickender
Odem. Bei allem Wenigen, was geschieht, macht sich unendlich viel
Anmaßung, Eitelkeit und Selbstüberschätzung geltend. Je weniger ei¬
ner ist und vermag, um so mehr glaubt er wenigstens scheinen zu
müssen. Statt der Kritik allzuoft nur Krittelei, statt des allgemeinen
Interesses allzuoft nur ein Privatinteresse, mehr Verdächtigung als
Würdigung, — genug Bilder, die sich überall, wenn auch nicht in
solcher Breite, wiederholen, und über die wir deshalb den Schleier
ziehen mögen. Die literarische Bewegung Berlins ist hinter die an¬
deren Elemente, von denen es bewegt ist, sehr zurückgetreten.

Als Eduard Gans im Jahre 1825 in Brüssel war, traf er dort
mit dem Grafen Sieyes zusammen. Sieyes fragte:

„Auch ich bin zu meiner Zeit in Berlin gewesen. Es sind aber
siebenundzwanzig Jahre her, und zwar als Gesandter der französischen
Republik. Sind jetzt noch so viele Gegensätze als sonst vorhanden?


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[0298] Zweck, sondern einzig nur Mittel ist, das Terrain streitig zu machen sucht. Man kann und wird hier nun wohl noch ein Weniges über die literarischen Parteien Berlin's erwarten, welche doch zu einer Charak¬ teristik unseres öffentlichen Zustandes ganz nothwendig das Ihrige bei¬ tragen und dieselbe ergänzen müssen. Aber in Berlin gibt es jetzt durchaus keine literarische Parteien. Es gibt hier nur literarische Persönlichkeiten und hier und da literarische Cliqueiwersuche. Weder die Schilderung der einen, noch der andern kann in dem Zwecke die¬ ses Aufsatzes liegen. Die Stellung der Literatur zum Leben und zur Gesellschaft ist wie überall, so auch in Berlin nicht diejenige, welche sie sein sollte. In seinem innern Wesen erscheint der literarische Pro- ductionsgeist entweder erschöpft oder erst neue Wege suchend und beginnend. Die Kritik hat sich durch einen journalistischen Schlendrian um allen Glauben gebracht. Hier kommt sie nicht über alte Vorurtheile und verblichene Recensionen hinaus. Dort, wo sie von einem neuen wissenschaftlichen Geiste durchdrungen wird, bleibt ihr kaum etwas An¬ deres übrig, als eine entschiedene Negation. Das literarische Leben leidet in Berlin grade an denselben Schwächen, woran jetzt überhaupt unsere Literatur leidet. Hier fehlt noch der volle Ausdruck für den neuen Gedanken, dort fehlt alle Regsamkeit, alle Frische, alles reine, innerliche Interesse. Wozu schreibt man Kritiken für die Journale, wozu schreibt man Romane und Dieses und Jenes? Das sagt sich Jeder und dennoch schreibt man. Es liegt eine dicke Schwüle auf der Berliner Literatur. Es fehlt ein frischer, ein feuriger, ein erquickender Odem. Bei allem Wenigen, was geschieht, macht sich unendlich viel Anmaßung, Eitelkeit und Selbstüberschätzung geltend. Je weniger ei¬ ner ist und vermag, um so mehr glaubt er wenigstens scheinen zu müssen. Statt der Kritik allzuoft nur Krittelei, statt des allgemeinen Interesses allzuoft nur ein Privatinteresse, mehr Verdächtigung als Würdigung, — genug Bilder, die sich überall, wenn auch nicht in solcher Breite, wiederholen, und über die wir deshalb den Schleier ziehen mögen. Die literarische Bewegung Berlins ist hinter die an¬ deren Elemente, von denen es bewegt ist, sehr zurückgetreten. Als Eduard Gans im Jahre 1825 in Brüssel war, traf er dort mit dem Grafen Sieyes zusammen. Sieyes fragte: „Auch ich bin zu meiner Zeit in Berlin gewesen. Es sind aber siebenundzwanzig Jahre her, und zwar als Gesandter der französischen Republik. Sind jetzt noch so viele Gegensätze als sonst vorhanden?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/298>, abgerufen am 24.07.2024.