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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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Ende. Dem protestantischen Principe, dem Principe deö freien Gei¬
stes, welches der Althegelianismus allerdings auch vertreten will,
find so ziemlich durch den Schulzwang die Spitzen abgebrochen wor¬
den und man ist über die alte Trennung zwischen dem Leben und der
Philosophie hier nirgends hinausgekommen. Man blieb in dieser und
jeder Beziehung durchaus theologisch. Der Althegelianismus be¬
müht sich, den Staat als Vernunfistaat zu construiren, den "Histori¬
schen" gegenüber und eine Vermittlung des Gegensatzes zwischen Chri¬
stenthum und Wissenschaft zu entdecken; ausdem Gebietedes Schöne", inter
Aesthetik erhebt er sich, wie z. B. in Rötscher, durchaus nicht über die
leere Kategorie einer abstrakten Sittlichkeit. Eine Fortführung des
Hegelschen Systems bis auf die neueren Richtungen ist von den jün¬
geren Docenten der Berliner Universität nicht mit einem allzugroßen
Erfolge versucht worden. Die Zeit wendete sich aus einer verzückten,
systematischen AbstractionSweiSheit allmälig wieder den positiven Wis¬
senschaften zu und wollte die Philosophie nicht mehr an sich selber, in
einer ausgegossenen Schulform, sondern nur in einer allgemeinen und
besonderen kritischen Anwendung gellen lassen. Berlin hörte auf der
Boden für den Dogmatismus irgend einer Philosophie, welchem es sich
in Hegel in aller Ehrfurcht gebeugt hatte, zu fein und es begann nun
die Periode seines philosophischen Kriticimus, des allgemeinen Auflö¬
sungsprozesses der Schulphilosophie. Hierin erhob sich die Hegelsche
Linke zu ihrer Bedeutung, indem sie alle Voraussetzungen des wissen--
schaftlichen Zustandes in dem Prozesse ihrer bewegten und bewegen¬
den Dialektik beleuchtete. Aber sie verkannte sich nicht minder und ihre
Bedeutung. Sie überhob sich in ihrer Kritik und decretirte durch Bruno
Bauer die "Kritik" als die neue, an die Stelle der gestürzten Götter
gesetzte Gottheit. Darin zeigte sie nicht blos ihre übertriebene Abstrac-
tionssucht, sondern auch ihre theologische Richtung. Sie verachtete das
Bestehende und alle praktischen Bestrebungen nicht, sie wurde spöttisch
und wurde gegen dieselbe gleichgiltig, während oft sonderbar genug ihre
Abstraktionen mit der Reaction unserer Zustände parallel liefen und
sich vereinigten. Ihr eben wurde auch, wie wir schon oben erwähn¬
ten, das Schicksal der "Masse" durchaus gleichgiltig in dem Verhält¬
nisse derselben zur "Gattung". Sie sprach hier die rohe Gleichgiltig-
keit des Aristokraten, des Geldmenschen mir philosophisch aus. Die
Auflösung hatte einmal begonnen und Mar Stirner war berufen, sie
in seinem "Einzigen und Eigenthum" mit vielem Scharfsinn weiter zu
führen. Er erhob sich gegen die angemaßte Gottheit der Kritiker,


Ende. Dem protestantischen Principe, dem Principe deö freien Gei¬
stes, welches der Althegelianismus allerdings auch vertreten will,
find so ziemlich durch den Schulzwang die Spitzen abgebrochen wor¬
den und man ist über die alte Trennung zwischen dem Leben und der
Philosophie hier nirgends hinausgekommen. Man blieb in dieser und
jeder Beziehung durchaus theologisch. Der Althegelianismus be¬
müht sich, den Staat als Vernunfistaat zu construiren, den „Histori¬
schen" gegenüber und eine Vermittlung des Gegensatzes zwischen Chri¬
stenthum und Wissenschaft zu entdecken; ausdem Gebietedes Schöne», inter
Aesthetik erhebt er sich, wie z. B. in Rötscher, durchaus nicht über die
leere Kategorie einer abstrakten Sittlichkeit. Eine Fortführung des
Hegelschen Systems bis auf die neueren Richtungen ist von den jün¬
geren Docenten der Berliner Universität nicht mit einem allzugroßen
Erfolge versucht worden. Die Zeit wendete sich aus einer verzückten,
systematischen AbstractionSweiSheit allmälig wieder den positiven Wis¬
senschaften zu und wollte die Philosophie nicht mehr an sich selber, in
einer ausgegossenen Schulform, sondern nur in einer allgemeinen und
besonderen kritischen Anwendung gellen lassen. Berlin hörte auf der
Boden für den Dogmatismus irgend einer Philosophie, welchem es sich
in Hegel in aller Ehrfurcht gebeugt hatte, zu fein und es begann nun
die Periode seines philosophischen Kriticimus, des allgemeinen Auflö¬
sungsprozesses der Schulphilosophie. Hierin erhob sich die Hegelsche
Linke zu ihrer Bedeutung, indem sie alle Voraussetzungen des wissen--
schaftlichen Zustandes in dem Prozesse ihrer bewegten und bewegen¬
den Dialektik beleuchtete. Aber sie verkannte sich nicht minder und ihre
Bedeutung. Sie überhob sich in ihrer Kritik und decretirte durch Bruno
Bauer die „Kritik" als die neue, an die Stelle der gestürzten Götter
gesetzte Gottheit. Darin zeigte sie nicht blos ihre übertriebene Abstrac-
tionssucht, sondern auch ihre theologische Richtung. Sie verachtete das
Bestehende und alle praktischen Bestrebungen nicht, sie wurde spöttisch
und wurde gegen dieselbe gleichgiltig, während oft sonderbar genug ihre
Abstraktionen mit der Reaction unserer Zustände parallel liefen und
sich vereinigten. Ihr eben wurde auch, wie wir schon oben erwähn¬
ten, das Schicksal der „Masse" durchaus gleichgiltig in dem Verhält¬
nisse derselben zur „Gattung". Sie sprach hier die rohe Gleichgiltig-
keit des Aristokraten, des Geldmenschen mir philosophisch aus. Die
Auflösung hatte einmal begonnen und Mar Stirner war berufen, sie
in seinem „Einzigen und Eigenthum" mit vielem Scharfsinn weiter zu
führen. Er erhob sich gegen die angemaßte Gottheit der Kritiker,


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[0294] Ende. Dem protestantischen Principe, dem Principe deö freien Gei¬ stes, welches der Althegelianismus allerdings auch vertreten will, find so ziemlich durch den Schulzwang die Spitzen abgebrochen wor¬ den und man ist über die alte Trennung zwischen dem Leben und der Philosophie hier nirgends hinausgekommen. Man blieb in dieser und jeder Beziehung durchaus theologisch. Der Althegelianismus be¬ müht sich, den Staat als Vernunfistaat zu construiren, den „Histori¬ schen" gegenüber und eine Vermittlung des Gegensatzes zwischen Chri¬ stenthum und Wissenschaft zu entdecken; ausdem Gebietedes Schöne», inter Aesthetik erhebt er sich, wie z. B. in Rötscher, durchaus nicht über die leere Kategorie einer abstrakten Sittlichkeit. Eine Fortführung des Hegelschen Systems bis auf die neueren Richtungen ist von den jün¬ geren Docenten der Berliner Universität nicht mit einem allzugroßen Erfolge versucht worden. Die Zeit wendete sich aus einer verzückten, systematischen AbstractionSweiSheit allmälig wieder den positiven Wis¬ senschaften zu und wollte die Philosophie nicht mehr an sich selber, in einer ausgegossenen Schulform, sondern nur in einer allgemeinen und besonderen kritischen Anwendung gellen lassen. Berlin hörte auf der Boden für den Dogmatismus irgend einer Philosophie, welchem es sich in Hegel in aller Ehrfurcht gebeugt hatte, zu fein und es begann nun die Periode seines philosophischen Kriticimus, des allgemeinen Auflö¬ sungsprozesses der Schulphilosophie. Hierin erhob sich die Hegelsche Linke zu ihrer Bedeutung, indem sie alle Voraussetzungen des wissen-- schaftlichen Zustandes in dem Prozesse ihrer bewegten und bewegen¬ den Dialektik beleuchtete. Aber sie verkannte sich nicht minder und ihre Bedeutung. Sie überhob sich in ihrer Kritik und decretirte durch Bruno Bauer die „Kritik" als die neue, an die Stelle der gestürzten Götter gesetzte Gottheit. Darin zeigte sie nicht blos ihre übertriebene Abstrac- tionssucht, sondern auch ihre theologische Richtung. Sie verachtete das Bestehende und alle praktischen Bestrebungen nicht, sie wurde spöttisch und wurde gegen dieselbe gleichgiltig, während oft sonderbar genug ihre Abstraktionen mit der Reaction unserer Zustände parallel liefen und sich vereinigten. Ihr eben wurde auch, wie wir schon oben erwähn¬ ten, das Schicksal der „Masse" durchaus gleichgiltig in dem Verhält¬ nisse derselben zur „Gattung". Sie sprach hier die rohe Gleichgiltig- keit des Aristokraten, des Geldmenschen mir philosophisch aus. Die Auflösung hatte einmal begonnen und Mar Stirner war berufen, sie in seinem „Einzigen und Eigenthum" mit vielem Scharfsinn weiter zu führen. Er erhob sich gegen die angemaßte Gottheit der Kritiker,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/294>, abgerufen am 24.07.2024.