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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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er träumt nicht, wie Cabet und kann man ihm einen Vorwurf ma¬
chen, so ist es der, noch allzuhäufig nach der philosophischen Schule
zu schmecken. Unter allen französischen Schriftstellern dieser Entwick¬
lung ist Prondeon auf ihn von dem allergrößten Einflüsse gewesen.

Bruno Bauer war es, der in der charlottenburger Literatur;"--
tung der "Masse" die "Gattung" gegenüberstellte und damit den Com¬
munismus kritisirte. Seine "Kritik" erhob sich so hoch, daß sie an¬
fing, unmenschlich zu werden. (?) Ebenso kritisirte Stirner den Com-
munismus von dem Standpunkte des "Einzigen" aus. Es wurde
ihm von Heß in der Broschüre die "letzten Philosophen," wenn auch
nicht auf die allerglücklichste Weise, geantwortet, indem Heß es nur
zu einer neuen Kategorie, zu der Kategorie des "Füreinanderseins"
brachte. Allen dialektischen Schulspitzfindigkeiten und Extravaganzen ge¬
genüber hat der Communismus eine tiefe Wahrheit und eine vielleicht
noch größere Zukunft. (?) --

Wir sind unbemerkt ans dem philosophischen Gebiete angekom¬
men. Das muß doch reich sein und große Ausbeute gewähren in
Berlin, in dieser eigentlichen Stadt der Philosophen, der Schulsysteme?
Aber grade hier sehen wir, welche große, tiefgreifende Umwandlung
mit Berlin im Lause der neueren Zeit vorgegangen ist, denn man
kann es mit wenigen, kurzen Worten sagen, die Schulphilosophie ist
inBerlin Banquerott geworden und hat hier durchaus (?) keine Zuflucht
mehr. Je reicher das Leben wurde, um so mehr sank die Schulphi¬
losophie in ihrer früheren, unnatürlichen Bedeutung. Wenn in Ber¬
lin von einer Schulphilosophie die Rede, so bezieht sich das natürlich
auf den Hegelianismus. Hier, wo das Hegelsche System seinen grö߬
ten Einfluß übte, hier ist es jetzt auch in der größten Zerfahrenheit
auseinander gegangen und der reactionäre Professor Henning ist eben¬
so gut ein Hegelianer, als Mar Stirner, der "Einzige" und Bruno
Bauer der theologische Atheist, von Hegel datirt. Die Geschlossenheit
der Schule eristirt nicht mehr und wo sie sich noch geltend machen
will, da wird sie mit ihrem Docententvne von der allgemeinen Bewe¬
gung weit übersehen. Der Alt-Hegelianismus, die Hegelsche Rechte,
welche sich ganz unmittelbar an Hegel anschließt, die neueren Richtun¬
gen ignorirt und in Berlin noch verschiedene akademische Repräsentan¬
ten findet, wie Vatke, Holso, Michelet, bis vor kurzem auch noch
Marheinecke, ist immer verstockter und unfruchtbarer geworden. Was
bei Hegel selbst noch ein Inhalt war, wurde bei ihr eine Form, was
bei ihm noch ein Gedanke war, ging bei ihr in einer Terminologie zu


er träumt nicht, wie Cabet und kann man ihm einen Vorwurf ma¬
chen, so ist es der, noch allzuhäufig nach der philosophischen Schule
zu schmecken. Unter allen französischen Schriftstellern dieser Entwick¬
lung ist Prondeon auf ihn von dem allergrößten Einflüsse gewesen.

Bruno Bauer war es, der in der charlottenburger Literatur;«--
tung der „Masse" die „Gattung" gegenüberstellte und damit den Com¬
munismus kritisirte. Seine „Kritik" erhob sich so hoch, daß sie an¬
fing, unmenschlich zu werden. (?) Ebenso kritisirte Stirner den Com-
munismus von dem Standpunkte des „Einzigen" aus. Es wurde
ihm von Heß in der Broschüre die „letzten Philosophen," wenn auch
nicht auf die allerglücklichste Weise, geantwortet, indem Heß es nur
zu einer neuen Kategorie, zu der Kategorie des „Füreinanderseins"
brachte. Allen dialektischen Schulspitzfindigkeiten und Extravaganzen ge¬
genüber hat der Communismus eine tiefe Wahrheit und eine vielleicht
noch größere Zukunft. (?) —

Wir sind unbemerkt ans dem philosophischen Gebiete angekom¬
men. Das muß doch reich sein und große Ausbeute gewähren in
Berlin, in dieser eigentlichen Stadt der Philosophen, der Schulsysteme?
Aber grade hier sehen wir, welche große, tiefgreifende Umwandlung
mit Berlin im Lause der neueren Zeit vorgegangen ist, denn man
kann es mit wenigen, kurzen Worten sagen, die Schulphilosophie ist
inBerlin Banquerott geworden und hat hier durchaus (?) keine Zuflucht
mehr. Je reicher das Leben wurde, um so mehr sank die Schulphi¬
losophie in ihrer früheren, unnatürlichen Bedeutung. Wenn in Ber¬
lin von einer Schulphilosophie die Rede, so bezieht sich das natürlich
auf den Hegelianismus. Hier, wo das Hegelsche System seinen grö߬
ten Einfluß übte, hier ist es jetzt auch in der größten Zerfahrenheit
auseinander gegangen und der reactionäre Professor Henning ist eben¬
so gut ein Hegelianer, als Mar Stirner, der „Einzige" und Bruno
Bauer der theologische Atheist, von Hegel datirt. Die Geschlossenheit
der Schule eristirt nicht mehr und wo sie sich noch geltend machen
will, da wird sie mit ihrem Docententvne von der allgemeinen Bewe¬
gung weit übersehen. Der Alt-Hegelianismus, die Hegelsche Rechte,
welche sich ganz unmittelbar an Hegel anschließt, die neueren Richtun¬
gen ignorirt und in Berlin noch verschiedene akademische Repräsentan¬
ten findet, wie Vatke, Holso, Michelet, bis vor kurzem auch noch
Marheinecke, ist immer verstockter und unfruchtbarer geworden. Was
bei Hegel selbst noch ein Inhalt war, wurde bei ihr eine Form, was
bei ihm noch ein Gedanke war, ging bei ihr in einer Terminologie zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/293>, abgerufen am 24.07.2024.