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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band.

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die sich, wenigstens indirect, auf die Seite der Bureaukraten gegen
die Liberalen stellt. So muß man z. B. die Julius'sche Position in
der Bankfrage betrachten. Ihm und seinen Ansichten hat sich in jüng¬
ster Zeit ein junger berliner Nationalvkonome, Julius Faucher, theils
entgegengestellt, theils angeschlossen. Er sucht zu "intriguiren." Indem
er auf das Monopol der Zettelbank ein großes Gewicht legt, verlangt
er darum Zettelbankfreiheit lind Creditfreiheit. Der große Schaden
soll durch die weiteste Concurrenz geheilt werden. Es macht sich hier
so etwas vom "Einzigen und sein Eigenthum" geltend und Fnucher
meint, es sei das beste Mittel gegen einen Wolf, einen Tiger in's Land
zu setzen, damit dieser jenen verzehre.

Diese kleine Andeutung über die nationalökonomischen Stellungen,
muß hier genügen. Mail definirt in kritisch-abstracter Selbstzufrieden¬
heit und in bürgerlicher Geldstolz-Behäbigkeit, jeder auf seine Weise,
die Begriffe Production und Consumtion, Geld und Credit; oben kämpft
man um theoretische Begriffe und um egoistische Interessen, während
unten das Volk, die Masse unter den praktischen Maßnahmen, unter
den factischen Zuständen leidet. Aber man hat ja auch für die Masse
gesorgt. Hat man nicht die verschiedensten "Theorien der Armuth"
entwickelt und eine praktische Anwendung derselben versucht?

Es eristirt bei uns eine Partei, die es versucht, dadurch hinter
das Wesen und den Grund der Armuth zu kommen, daß sie die Ve>-
armungöursachen von einer Menge Verarmungsfälle, die ihr vorge¬
kommen, dutzendweise heraussucht, dieses so gefundene Dutzend mit
einem zweiten hinzuraisonnirten Dutzend vermehrt lind endlich die ganze
Summe nach gewissen Eintheilungsgründen klassisicirt. Da kommt es
denn vor, daß gegen jede besondere Ursache ein besonderes Mittel
empfohlen wird, daß man glaubt, ein organisches Leiden unserer gan¬
zen Gesellschaft rein äußerlich curiren zu können, die beschränktesten
Ansichten vorbringt und consequent zu nichts Anderm, als zu unend¬
licher Verwirrung und Zersplitterung kommt. Dabei nennt man sich
aber gern praknsch und sieht mit unendlicher Verachtung auf diejeni¬
gen hin, welche das Wesen und die Natur der Armuth tiefer auffassen
und mehr oder minder den Zustand und die Grundlagen der ganzen
Gesellschaft in den Kreis ihrer Kritik ziehen. Einem concreten
Uebel ein concretes Mittel entgegen zu setzen, ist hier das ewige Ge¬
rede. Während man, was man that und wie man verfuhr "praktisch"
nannte und rühmte, bewies man recht eigentlich das Unpraktische
dieses Verfahrens, denn mit allen sogenannten praktischen Bemühungen


die sich, wenigstens indirect, auf die Seite der Bureaukraten gegen
die Liberalen stellt. So muß man z. B. die Julius'sche Position in
der Bankfrage betrachten. Ihm und seinen Ansichten hat sich in jüng¬
ster Zeit ein junger berliner Nationalvkonome, Julius Faucher, theils
entgegengestellt, theils angeschlossen. Er sucht zu „intriguiren." Indem
er auf das Monopol der Zettelbank ein großes Gewicht legt, verlangt
er darum Zettelbankfreiheit lind Creditfreiheit. Der große Schaden
soll durch die weiteste Concurrenz geheilt werden. Es macht sich hier
so etwas vom „Einzigen und sein Eigenthum" geltend und Fnucher
meint, es sei das beste Mittel gegen einen Wolf, einen Tiger in's Land
zu setzen, damit dieser jenen verzehre.

Diese kleine Andeutung über die nationalökonomischen Stellungen,
muß hier genügen. Mail definirt in kritisch-abstracter Selbstzufrieden¬
heit und in bürgerlicher Geldstolz-Behäbigkeit, jeder auf seine Weise,
die Begriffe Production und Consumtion, Geld und Credit; oben kämpft
man um theoretische Begriffe und um egoistische Interessen, während
unten das Volk, die Masse unter den praktischen Maßnahmen, unter
den factischen Zuständen leidet. Aber man hat ja auch für die Masse
gesorgt. Hat man nicht die verschiedensten „Theorien der Armuth"
entwickelt und eine praktische Anwendung derselben versucht?

Es eristirt bei uns eine Partei, die es versucht, dadurch hinter
das Wesen und den Grund der Armuth zu kommen, daß sie die Ve>-
armungöursachen von einer Menge Verarmungsfälle, die ihr vorge¬
kommen, dutzendweise heraussucht, dieses so gefundene Dutzend mit
einem zweiten hinzuraisonnirten Dutzend vermehrt lind endlich die ganze
Summe nach gewissen Eintheilungsgründen klassisicirt. Da kommt es
denn vor, daß gegen jede besondere Ursache ein besonderes Mittel
empfohlen wird, daß man glaubt, ein organisches Leiden unserer gan¬
zen Gesellschaft rein äußerlich curiren zu können, die beschränktesten
Ansichten vorbringt und consequent zu nichts Anderm, als zu unend¬
licher Verwirrung und Zersplitterung kommt. Dabei nennt man sich
aber gern praknsch und sieht mit unendlicher Verachtung auf diejeni¬
gen hin, welche das Wesen und die Natur der Armuth tiefer auffassen
und mehr oder minder den Zustand und die Grundlagen der ganzen
Gesellschaft in den Kreis ihrer Kritik ziehen. Einem concreten
Uebel ein concretes Mittel entgegen zu setzen, ist hier das ewige Ge¬
rede. Während man, was man that und wie man verfuhr „praktisch"
nannte und rühmte, bewies man recht eigentlich das Unpraktische
dieses Verfahrens, denn mit allen sogenannten praktischen Bemühungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_183020/286>, abgerufen am 24.07.2024.